Stil

Geht es da noch um den Inhalt? | ABC-Z

Bücherregale sind mehr als ein praktisches Möbelstück: Sie sind Insignien des Bildungsbürgertums, dekoratives Element, und vor allem eignen sie sich perfekt zur intellektuellen Selbstdarstellung. Das haben wir spätestens seit dem Regal-Selfie-Trend aus der Pandemiezeit, genannt „Shelfie“, verinnerlicht. Nun dreht sich ein ganzer Inneneinrichtungsstil um das Möbelstück. Den Inhalt wie einen Regenbogen nach Farbe zu sortieren ist jetzt, wenn es denn je wirklich cool war, abgeschrieben. Unter dem Titel „Bookshelf-Wealth“, was übersetzt so viel wie „Bücherregal-Reichtum“ heißt, werden die Regale nun aufwendig dekoriert und zum Blickfang eines Raumes erkoren.

Angelehnt an die Optik von alten britischen Landhäusern und ihren Salons, sind die passenden Exemplare meist aus dunklem Holz und nehmen ganze Wände ein. Es sind aber auch immer wieder hellere, luftigere Exemplare zu finden, die sich an minimalistischen skandinavischen Einrichtungstrends orientieren. Gefüllt werden sie bei Weitem nicht nur mit Büchern, sondern allerhand Schnickschnack, etwa Reise-Mitbringseln, eingerahmten Fotos, Keramik oder – Achtung, bei alldem Papier ringsherum – Kerzen.

Besonders gut machen sich aber auch Gegenstände, die den Staub der Geschichte zu tragen scheinen, zum Beispiel ein Globus, kleine Holzkisten oder allerhand Kunsthandwerk, das wirkt, als sei es seit Generationen in der Familie weitergegeben worden. Diese auf Individualität getrimmten Gegenstände dienen dazu, ein passendes Bild der Buchregal-Besitzer zu malen: Sie zeigen sich als stilbewusst, kulturell interessiert, weltoffen und, dafür sind die Bücher da, als gebildet.

Das Ambiente um das Regal herum wird natürlich passend gestaltet: mit Sekretären, Sofas oder Ledersesseln, dazu Leselampen und ein paar drapierten Coffee-Table-Books, am besten zu Kunst- oder Architekturthemen.

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Der Designtrend verweist aber nicht nur auf (tatsächliche oder gespielte) Belesenheit, sondern vor allem auf, wie es der „Wealth“-Zusatz schon sagt, Wohlstand. Die Dekoration, die in die Regale gestellt wird, darf auf keinen Fall ramschig oder überladen wirken, sondern ordentlich kuratiert, die Materialien der Möbel schwer, glänzend und auf jeden Fall echt.

Damit fügt sich der Trend in die Tradition des Old-Money-Styles ein, der seit ein paar Jahren beliebt ist. Ausgelöst durch Serien wie Succession setzt die Moderichtung darauf, sich optisch vom Neureichtum abzugrenzen. Statt auf Markenlogos, Protz und Bling-Bling setzt diese Stilrichtung auf zeitlose Designs und praktiziert nur leisen, zurückhaltenden und oft gemütlich daherkommenden Luxus. Die Stilrichtung ist also das Gegenteil dessen, wofür der Kardashian-Clan steht, grenzt sich von Marken präsentierenden Influencern ab und täuscht vornehme Zurückhaltung vor.

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Der Anschein von „Old Money“

Der Trend um Bookshelf-Wealth macht nun besonders deutlich, worum es beim Old-Money-Style aber eigentlich geht: nicht nur um Geld, sondern um kulturelles Kapital. „Altes Geld“ verweist auf Familienzugehörigkeit und damit auf das ererbte Wissen von Umgangsformen, wie man sich in gediegenen Kreisen bewegt und seinen gehobenen Geschmack darstellt. Die Ästhetik, die sich daraus ergibt, spielt mit Andeutung und setzt auf Oberflächlichkeit. Sie ahmt den Anschein von „Old Money“ nach, ohne dass es vorhanden sein muss. Für den Quiet-Luxury-Style, das modische Äquivalent, muss der Pullover also nicht echt aus Kaschmir sein, sondern nur so aussehen. Genauso verhält es sich auch mit dem Globus im Bücherregal: Ob tatsächlich von den Großeltern, vom Trödelmarkt oder aus dem Online-Store ist nicht entscheidend, Hauptsache, er fügt sich gut in das Gesamtbild ein.

Für die Bücher gilt grundlegend dasselbe. Damit zeigt der „Bookshelf-Wealth“-Trend einmal mehr, wie sie zum Objekt gemacht werden. In zahlreichen Ratgebervideos zur passenden Raumgestaltung wird etwa davor gewarnt, die Regale vollzupacken – bitte auch nicht mit Büchern! Damit unterscheidet sich der Stil grundlegend von der Ästhetik der viralen Lesevideos unter den Schlagworten #booktok auf Tiktok und #bookstagram auf Instagram. Die Bücher, die dort in Massen vorgestellt werden, passen nicht in die Welt des leisen Luxus. Statt farblich zurückhaltend oder leinengebunden zu sein, tragen sie geschwungene, zuweilen glitzernde Schriften, leuchten pink- oder pastellfarben und sind fast immer neu gekauft. Der Bookshelf-Wealth-Stil dagegen ist gedeckter, die Bücher nicht die letzte New-Adult-Liebesroman-Neuerscheinung, sondern ältere, gebundene Exemplare, gerne Klassiker, Bildbände oder Antiquariatsfunde; es geht um den Anschein der Besinnung auf kulturelles Gut statt aufs Ausstellen der Liebe zu Love-Story-Unterhaltung.

Denn am Ende entscheidet nicht der Inhalt, sondern die Optik, ob ein Buch ins Regal passt. Es geht nicht um Stauraum, sondern um die Gesamtwirkung des Raums und damit die der Person, die ihn eingerichtet hat. Der Stil zeigt einmal mehr, dass Bücher als Teil der Popkultur zu Accessoires geworden sind und als Deko-Objekte und Symbol der eigenen Lebensführung dienen.

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