“Beängstigend”: Rechtsextreme nehmen Regenbogen-Paraden in Bayern ins Visier | ABC-Z

Beim ersten CSD in Bautzen seien es etwa 40 bis 60 gewesen, sagt Grünen-Stadtrat Jonas Löschau: Personen aus dem rechtsextremen Spektrum, die filmten, mit Sprechchören störten, Eier warfen und versuchten, einzelne Teilnehmer der Regenbogen-Parade auf dem Heimweg einzuschüchtern.
Ein Jahr später reisten Hunderte Rechte zum CSD 2024 nach Bautzen, mobilisiert über das Internet, unter anderem von der Jugendorganisation der Neonazi-Kleinstpartei Die Heimat (früher NPD). Ein Großaufgebot der Polizei war im Einsatz, um den Umzug der LGBTQ-Gemeinde zu schützen. Trotzdem brannten mehrere Regenbogenfahnen.
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Die Veranstaltung endete laut Polizei ohne gravierende Zwischenfälle – die Abschlussparty sagten die CSD-Organisatoren um Jonas Löschau jedoch aus Sicherheitsgründen ab. “Es gibt etliche Erfahrungsberichte von Menschen, die in Bautzen wegen eines Regenbogenstickers oder gefärbter Haare bespuckt, bepöbelt oder angegriffen wurden”, erzählt der Grüne. Dieser Gefahr habe man die Partygäste auf dem Nachhauseweg nicht aussetzen wollen.
Bundesinnenministerium: Angriffe auf queere Szene nehmen deutlich zu
Die Vorgänge in der ostsächsischen Kreisstadt sind kein Einzelfall. Rechtsextremisten und Neonazis nehmen deutschlandweit die queere Szene immer stärker ins Visier, wie Zahlen des Bundesinnenministeriums zeigen. Seit Jahren steige die Zahl verbaler Angriffe, seit Juni komme es vermehrt zu einer “realweltlichen und physisch-gewaltorientierten Fokussierung”, beispielsweise bei CSD-Veranstaltungen, teilte das Ministerium auf Anfrage der Grünen mit.
Das sei eine “besorgniserregende Entwicklung”. Für den Zeitraum zwischen Juni und September 2024 zählte die Bundesregierung 22 Proteste gegen öffentliche CSD-Umzüge. Die Protestierenden seien überwiegend Personen aus der gewaltorientierten rechtsextremistischen Szene gewesen.
“Wir haben da ein bayerisches Problem”: Rechtsextreme Gruppierung mobilisiert in Landshut
So wie im September 2024 im niederbayerischen Landshut. Dort versammelten sich etwa 50 Protestierer, um die Parade zu stören (was nicht wirklich gelang, bei der Anreise hatte es am Hauptbahnhof München allerdings eine Auseinandersetzung zwischen rechten und linken Demonstranten gegeben).

© Rolf Poss/imago
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Sie waren einem Aufruf der rechtsextremen Gruppierung “Jung und Stark Bayern” gefolgt, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. “Ihre Mitglieder sind extrem jung, oft erst zwölf, 13 oder 14 Jahre alt. Sie radikalisieren sich online und organisieren sich über Instagram oder Chat-Gruppen – genau wie 2023 in Bautzen”, sagt der grüne Landtagsabgeordnete Florian Siekmann. “Aber sie kommen aus Bayern. Wir haben da ein bayerisches Problem.”
Und Löschau fügt hinzu: “Es ist beängstigend, wie dieser Kult in so kurzer Zeit wieder anschlussfähig und massentauglich geworden ist.”
Einer der Gründe, zumindest im Osten: Rechtsextreme Netzwerke und Strukturen hätten in den letzten Jahren Räume besetzt, die gesamtgesellschaftlich offengelassen wurden – etwa in der Jugendarbeit oder beim Sport, sagt Löschau.
“Die Junge Alternative organisiert bei uns Beach-Volleyball-Turniere und ein Oktoberfest.” In Bayern rief deren “Mutterpartei”, die AfD, 2024 zum Protest gegen den CSD in Wasserburg auf.
Grünen-Politiker Florian Siekmann: In Bayern finden am meisten Regenbogen-Paraden statt
Heuer sind im Juni über 30 Regenbogen-Paraden in Bayern geplant, “mehr als in jedem anderen Bundesland”, sagt Florian Siekmann mit Stolz. “Doch die meisten von ihnen finden im ländlichen Raum statt: in Wasserburg, Landshut oder Traunstein und die sind genauso anfällig für rechten Gegenprotest, für Störungen oder Gewalt wie der CSD in Bautzen”, warnt er.
Auch vor dem Hintergrund, dass 2023 im Freistaat 190 und im vergangenen Jahr 177 queerfeindliche Straftaten zur Anzeige gebracht wurden (bei einer hohen vermuteten Dunkelziffer), darunter mehrere wegen schwerer Körperverletzung. 37 Prozent der Täter stammten aus dem rechten Spektrum. “Deshalb müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir unsere bayerischen CSDs vor solchen rechtsextremen Übergriffen schützen können”, fordert Siekmann.
Verfassungsschutz und Polizei sollen mehr gestärkt werden
Die Polizei müsse die Online-Mobilisierung der Rechten im Blick behalten. Das Landesamt für Verfassungsschutz brauche mehr digitale Agenten, um einschlägige Chatgruppen zu beobachten. “Es ist die Aufgabe des Staates, CSDs als politische Versammlungen zu schützen und sicherzustellen, dass jeder, der hingeht, auch wieder sicher nach Hause kommt”, so der Sprecher für Queeres Leben der Landtags-Grünen.
“Beim Schutz von CSDs geht es um den Schutz von Grundwerten unserer Verfassung: Die Leute gehen für Freiheit, die freie Entfaltung der Persönlichkeit und für die Menschenwürde auf die Straße”, sagt Siekmann. “Das sind die Werte, die auf dem Spiel stehen, wenn CSDs bedroht werden.” Das müsse auch in der Polizeiarbeit vermittelt und bei der Strafverfolgung berücksichtigt werden.
Entschiedeneres Vorgehen gegen die AfD
Ein wichtiger Beitrag zum Schutz der queeren Community sei außerdem ein entschiedeneres Vorgehen gegen die Alternative für Deutschland oder deren Verbot.
Siekmann: “Dass die AfD wie in Wasserburg gegen CSDs mobilisiert, gegen Veranstaltungen also, auf denen Leute für die Verwirklichung ihrer Grundrechte demonstrieren, ist doch ein weiteres klares Zeichen dafür, dass sie auf dem Kriegsfuß mit unserer Verfassung steht.” Auch deshalb sei die Staatsregierung gefordert, die Prüfung eines Verbotsverfahrens zu unterstützen.