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Sportprothesen für Amputierte: Warum die Finanzierung immer noch schwierig ist – Sport | ABC-Z

Johannes Kamps ist im vergangenen Sommer zu den Paralympics nach Paris gereist, um sich inspirieren zu lassen. Er wollte sehen, wie Menschen mit Beinprothesen laufen, Rad fahren, schwimmen. Kamps, dem im Dezember 2023 nach einem Autounfall sein Unterschenkel amputiert werden musste, will das auch. Aber anders als bei vielen der mehr als 4000 Athletinnen und Athleten, die es nach Paris schafften, fehlen ihm dafür noch die Hilfsmittel.

Kamps, 25, hat von seiner Krankenkasse eine sogenannte mikroprozessorgesteuerte Alltagsprothese erhalten, um seinen Alltag, etwa seinen Bürojob, wie vor dem Unfall bestreiten zu können. Die Prothese war etwa 78 000 Euro teuer. Trotzdem wurde sie mehr oder weniger problemlos finanziert, erzählt er. Bei einer Sportprothese ist das nicht so leicht.

Kamps konnte zwar schon einige Monate nach dem Unfall wieder mit Krafttraining starten. Aber Fußball spielen, skaten oder für einen Triathlon trainieren, ist mit seiner Alltagsprothese nicht möglich. Das sind jedoch die Sportarten, die er vor dem Unfall gerne gemacht hat. Daher wollte er sich auch so schnell wie möglich eine Sportprothese organisieren: „Aber das war super schwierig. Erstens wusste man nie so richtig, wann man genug Reha hatte, wann der Stumpf ausreichend verheilt ist. Und dann wusste man gar nicht, was jetzt überhaupt für ein Prozess auf einen zukommt.“

Es ist ein Prozess, den er als kompliziert und nervraubend beschreibt und in dem er Unterstützung vermisst. Kamps sagt: „Als Amputierter fällt man irgendwie durchs Raster.“

Um diesen Prozess zu verstehen, muss man erst mal nachvollziehen können, warum Alltagsprothesen, auch Alltagsrollstühle, in der Regel nicht die Anforderungen für den Sport erfüllen. Kamps, der eine Sportprothese immerhin schon mal ausprobieren durfte, vergleicht die gebogene Laufprothese mit der Funktion einer Achillessehne, „die im richtigen Moment die Kraft von einem Vorfuß nimmt und dann nicht so krass in dein Becken reinschlägt“. Ein schnelleres Tempo sei mit der Alltagsprothese nur zehn bis 20 Schritte lang auszuhalten. „Und deshalb braucht man halt diese Feder“, sagt er.

Eine Sportprothese mit Karbonfeder kostet 10 000 bis 25 000 Euro

Diese Feder, damit ist ein Karbonfederfuß gemeint, der einer Laufprothese die Dynamik verleiht, aber natürlich nicht billig ist. Eine Sportprothese kann etwa 10 000 bis 25 000 Euro kosten. Deshalb ist für die meisten Menschen die Finanzierung durch einen Träger notwendig.

Wie viele andere Menschen hat Kamps die Finanzierung seiner Sportprothese bei der Krankenkasse eingereicht. Bei ihm waren es sogar gleich drei, da er an sein Triathlontraining aus der Zeit vor dem Unfall anschließen möchte – und für alle drei Disziplinen eine andere Prothese benötigt. In Bezug auf die Radprothese hat er noch keine finale Rückmeldung bekommen. Die Badeprothese wurde nach einem ersten Widerspruch finanziert, die Laufprothese abgelehnt. Die Krankenkassen begründen das damit, dass sich ihre Leistungen nur auf die medizinische Rehabilitation beschränkten. Dazu gehöre Sport nicht – außer es gehe um Rehasport und Schulsport für Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren. Dann gelte Sport als Grundbedürfnis.

Heinrich Popow (rechts) bei seinem Paralympics-Sieg 2012 in London. Inzwischen hat Popow mit der Firma Ottobock ein Leihsystem für Sportprothesen entwickelt. (Foto: Kerim Okten/dpa)

Dem widerspricht etwa die UN-Behindertenrechtskonvention, in der das Recht auf gleichberechtigten Zugang zu Sport für Menschen mit Behinderung betont wird. Auch das Bundesteilhabegesetz soll die Teilhabe und Selbstbestimmung verbessern. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, mindestens 150 bis 300 Minuten pro Woche aktiv zu sein. Dennoch treiben laut dem jüngsten Teilhabebericht der Bundesregierung 55 Prozent der Menschen mit Behinderung in Deutschland nie Sport. Neben individuellen Hürden kann auch das Nicht-Vorhandensein von Sporthilfsmitteln ein Grund dafür sein.

Bei einem Arbeitsunfall gelten wieder andere Zuständigkeiten

Menschen, die ihre Behinderung durch einen Arbeitsunfall erlangt haben, bekommen in der Regel das Sporthilfsmittel von ihrer Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse finanziert, da diese zur Rehabilitation auch die soziale Teilhabe unterstützen möchte: „Sport und Bewegung sind dafür optimale Mittel“, heißt es von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, einem Kooperationspartner des Deutschen Behindertensportverbands (DBS). Auch Kamps ist noch im Austausch mit seiner Haftpflichtversicherung: „Die sind auf jeden Fall auch dafür zuständig, so eine Sportprothese zu zahlen. Aber auch die sagen, dass man es erst mal über die konventionellen Kostenträger versuchen sollte.“

Wenn die Krankenkasse ablehnt, gibt es noch eine weitere Möglichkeit: die Beantragung bei einem Träger der Eingliederungshilfe. Dafür muss jedoch zunächst ein Antrag bei der Krankenkasse gestellt werden, die wiederum dafür verantwortlich ist, die antragstellende Person bei einer Ablehnung an die Eingliederungshilfe zu verweisen. Das ist durch die UN-Behindertenrechtskonvention geregelt. Bei ihm, sagt Kamps, sei das jedoch nicht passiert.

Außerdem gebe es im Bereich der Eingliederungshilfe einen Flickenteppich, sagt Frank Ullrich (SPD), der Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, „wer Träger der Eingliederungshilfe ist, wird je nach Bundesland unterschiedlich geregelt. Hochgerechnet hätten wir bei 294 Landkreisen und 106 kreisfreien Städten 400 verschiedene Ansprechpartner“. Ullrich sagt, auch die Aufklärung Betroffener zu diesem Thema müsse besser werden.

Paralympics-Sieger Heinrich Popow hat ein Mietmodell für Sportprothesen entwickelt

Im Sportausschuss wurde auch schon eine Idee des Medizintechnik-Unternehmens Ottobock vorgestellt, das den Zugang zu Sportprothesen erleichtern soll: ein Mietmodell für Sportprothesen namens Mysportbox, initiiert vom zweimaligen Paralympics-Sieger Heinrich Popow. „Es war mein Traum, Sport zugänglicher zu machen“, sagt der 41-Jährige, der nach seiner Amputation als Kind selbst unter fehlenden Sportmöglichkeiten litt. Heute möchte er erreichen, dass Sport auch nach der Schule nicht am Geld scheitert: „Das Verlangen nach einem aktiven Lebensstil hört mit dem 18. Lebensjahr ja nicht auf“, sagt er. Mit Mysportbox können Nutzer Prothesen für eine monatliche Gebühr mieten. Das Modell, das laut Popow keinen Gewinn abwerfe, solle Kostenträger zum Umdenken anregen.

Bis es so weit kommt, ist Johannes Kamps entschlossen, den komplizierten Weg zu gehen, um sich seinen Traum vom Triathlon zu verwirklichen. Er hat dank privater Kontakte gelegentlich Zugang zu einer alten Sportprothese und konnte deshalb nach langer Zeit mal wieder richtig rennen. Habe sich „mega“ angefühlt, sagt er.

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