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München: Kein Bier nach halb zehn? Da wurde die Biergartenrevolution angezettelt – München | ABC-Z

Revolution in Bayern? Da fällt einem zuerst Kurt Eisner ein, der 1918 den Freistaat ausrief und damit die Monarchie abschaffte. 65 Jahre später dann Konstantin Wecker: „A Revoluzzer miaßt ma sei, dann war des Leidn schnei vorbei. Aber wer macht si scho di Plog und macht sei Mei auf, wenn a mog.“ Und sonst so? Wenig Revolutionäres.

Vor genau 30 Jahren aber, am 12. Mai 1995, hat es auf dem Marienplatz einen Aufstand gegeben: die Biergartenrevolution. Denn so weltoffen und liberal der Bayer sich gerne sieht: Das „Leben und leben lassen“ und die vielgerühmte „Liberalitas Bavariae“ hören genau dann auf, wenn man dem Bajuwaren ans Bier geht und ihn, noch bevor er keinen Durst mehr hat, nach Hause schicken will. Dieses Kulturgut, die als einzigartig empfundene Lebensart des Mit- und Nebeneinanders am Biertisch, fernab von Standesunterschieden, schien Anfang der 90er-Jahre auf dem Spiel zu stehen.

Was passiert war? Nun, Ärger hatte es gegeben, und zwar rund um die Waldwirtschaft, dem Biergarten in Großhesselohe, einst bekannt und beliebt wegen des sonntäglichen Jazz-Frühschoppens und wegen der Spareribs. Doch daran entzündete sich der Ärger nicht, sondern an den mit dem Auto an- und abfahrenden Besuchern. Fünf Anwohner klagten – und bekamen Recht. Die Folge: Die Wawi – so der putzige Spitzname – müsse um 21.30 Uhr schließen und jedes zweite Wochenende zusperren, hieß es.

Es folgte: ein Aufschrei des Entsetzens. Halb zehn! Da ist es im Sommer noch nicht mal dunkel, sondern gerade so richtig gemütlich, und da will uns irgend so ein Gericht schon heimschicken? So weit kommt’s noch! Der Richterspruch weckte den Revolutionär im Bayern – und in Ursula Seeböck-Forster.

Die PR-Managerin hatte kurz zuvor den Vorsitz des 1991 in weiser Voraussicht gegründeten Vereins zur Erhaltung der Biergartentradition e.V. übernommen, setzte sich ans Telefon – das Internet war noch nicht so weit – und mobilisierte ihr Netzwerk, mit Erfolg: 25 000 Demonstranten zeigten am 12. Mai 1995 zwischen Marien- und Odeonsplatz Flagge für den Erhalt des Kulturguts.

Bei der Kundgebung spricht der damalige Bundesfinanzminister und CSU-Chef Theo Waigel. Der vom Oktoberfest bekannte Schichtl köpft symbolisch die „Liberalitas Bavariae“. (Foto: Claus Schunk)
Der Schichtl, bürgerlich Manfred Schauer, hatte der Biergartenrevolution ihren Namen gegeben, hier spricht er in der Waldwirtschaft im Münchner Süden.
Der Schichtl, bürgerlich Manfred Schauer, hatte der Biergartenrevolution ihren Namen gegeben, hier spricht er in der Waldwirtschaft im Münchner Süden. (Foto: Claus Schunk)

Ein paar Tage vor dem Jubiläum erwischt man die Revoluzzerin am Telefon, in Rom. Als es um die von ihr und Kompagnon Manfred Schauer (genau: der Schichtl vom Oktoberfest) angezettelte Revolution geht, sprudelt es nur so aus ihr heraus: „Wir wussten: Wenn das in der Wawi so käme, würde es nicht lange dauern, bis es in anderen Biergärten zu weiteren Klagen von Anwohnern kommen würde. An der Menterschwaige und am Hirschgarten haben sie schon mit den Hufen gescharrt.“

Was also tun? „Zuerst wollten wir wieder etwas an der Waldwirtschaft organisieren“, wie Jahre zuvor den Trauermarsch, als die Biergartentradition symbolisch zu Grabe getragen worden war. „Aber wir wollten etwas Größeres“, sagt Seeböck-Forster. Sie arbeitete damals im Münchner Rathaus und fühlte vor, ob eine große Versammlung am Marienplatz mit anschließendem Marsch durch die Stadt genehmigt werden würde. Als keine Einwände kamen, nahm die Revolte Fahrt auf.

Manfred Schauer gab dem Kind einen Namen: „1. Bayerische Biergartenrevolution“. Brauereien, Wirte und Hotel- und Gaststättenverband unterstützten nach Kräften, auch die Lokalpresse machte mit. Die tz sammelte Unterschriften und titelte: „Auf geht’s! Heut’ retten wir die Biergärten.“ Seeböck-Forster erinnert sich: „Die haben gemerkt, dass da etwas Großes entsteht. Es ging nicht mehr nur um die Biergärten, sondern um unser bayerisches Lebensgefühl, unsere Lebensart.“

Nicht wenige der 25 000 auf dem Marienplatz waren zum ersten Mal auf einer Demo, vermutet sie. Sie bekamen ein schönes Spektakel geboten: Der Schichtl haute erst mal der „Liberalitas Bavariae“ den Schädel runter, wie es halt so seine Art ist. Nach dem Marsch zum Odeonsplatz, vorneweg das Münchner Kindl im dekorierten Brauereiwagen, erwartete die Revoluzzer an der Feldherrnhalle Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), dem man eine Denkschrift mit mehr als 200 000 Unterschriften in die Hand drückte.

Sein Gegengeschenk: die eilig zusammengestrickte „Bayerische Biergartenverordnung“, samt Bestandsschutz und Regelung akzeptabler Öffnungszeiten. Eigentlich ein Grund zum Feiern und direkt in den nächsten Biergarten abbiegen. Seeböck-Forster gesteht: „Dafür waren wir viel zu kaputt.“

Die Wawi – so der Spitzname der Waldwirtschaft – hätte nach dem Urteil schon um 21.30 Uhr schließen und jedes zweite Wochenende ganz zusperren müssen.
Die Wawi – so der Spitzname der Waldwirtschaft – hätte nach dem Urteil schon um 21.30 Uhr schließen und jedes zweite Wochenende ganz zusperren müssen. (Foto: Claus Schunk)
Fast noch eine Biergartenrevolution gab es 2001: Da hatte das Forsthaus Wörnbrunn von Richard Süßmeier (li.) Ärger mit Nachbarn – wieder mit dabei Ursula Seeböck-Forster (2. v. re.) und Wawi-Wirt Sepp Krätz hier mit der Sängerin Franzi Kinateder.
Fast noch eine Biergartenrevolution gab es 2001: Da hatte das Forsthaus Wörnbrunn von Richard Süßmeier (li.) Ärger mit Nachbarn – wieder mit dabei Ursula Seeböck-Forster (2. v. re.) und Wawi-Wirt Sepp Krätz hier mit der Sängerin Franzi Kinateder. (Foto: Claus Schunk)

Vorbei war der Streit mit den Anwohnern aber noch lange nicht. Nach weiteren Gerichtsverhandlungen und Normenkontrollklagen bis vor den Bundesgerichtshof musste die Verordnung nachjustiert werden, schafft aber seit 1999 Rechtssicherheit. Die Kernpunkte: Um 22 Uhr muss die „Musi“ gehen, eine halbe Stunde später die letzte Maß, um 23 Uhr Feierabend. Endlich Klarheit.

Kurz nach der Revolution gab’s beim „Biergarten-Rettungsfest“ in der Menterschwaige für Stoiber das „Goldene Kastanienblatt“ – und für die Besucher die Mass Bier für fünf Mark. Ganz so günstig geht es bei diesem Jubiläum nicht mehr zu, aber wenn am Montag von 14 Uhr an in der Wawi gefeiert wird, rückt Wirt Sepp Krätz die Mass für zehn Euro und die Spareribs für 12,50 Euro raus – ein Preis, der übrigens den ganzen Sommer gilt.

Ursula Seeböck-Forster blickt mit Stolz auf das Erreichte zurück: „Biergärten erfüllen eine wichtige soziale Funktion, sind das El Dorado für Familien. Wo sollen Leute, die Kinder und nur einen Mini-Balkon haben, in Großstädten hingehen, wenn die mal draußen essen und etwas Natur um sich haben wollen? Das ist in der Stadt wichtiger als auf dem Land, wo die meisten Gärten haben.“

Generell dürfe es ruhig wieder ein bisserl mehr Revolte sein, findet sie: „Wir sind zwar nur ein kleiner Verein mit rund hundert Mitgliedern, aber wenn das mit den Hochhäusern so weitergeht, drohe ich bald die nächste Revolution an. Dass sich da nicht längst eine größere Bewegung gebildet hat! Wer will denn darin leben? In anderen Städten wird so was schon wieder abgerissen. Und die Rooftop Bar als Biergarten bezeichnen: ja wirklich nicht! Könnte also schon sein, dass wir da auf unsere alten Tage noch mal mitmischen.“ Einmal Revoluzzer, immer Revoluzzer.

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