Kommunalwahlen in Großbritannien: Der erste Test für Nigel Farage – Politik | ABC-Z

Tritt man an sonnigen Tagen hinaus auf die prächtige Terrasse des Palace of Westminster, die direkt an der Themse liegt, dann kann es vorkommen, dass man dort auf einen grauhaarigen, rauchenden Mann trifft. Erst neulich stand Nigel Farage da wieder, begleitet nur von ein paar Mitarbeitern (seine Mitarbeiter scheinen überwiegend Männer zu sein), eine Hand in der Hosentasche. Er zog langsam an der Zigarette und blickte hinaus aufs Wasser, hinüber zum London Eye und Big Ben. Er stand nicht lange da, zehn Minuten vielleicht, aber das Bild von Farage, der auf der Parlamentsterrasse seine Zigarette und die Aussicht genießt, wird man nicht mehr los, wenn man es einmal gesehen hat.
In Westminster mögen viele dieses Bild nicht, aber es hilft ja nichts. Nigel Farage hat jetzt freien Zutritt hier, er ist jetzt einer von ihnen. Er ist, in den Worten des Magazins The Economist auf dem Titel der aktuellen Ausgabe, „der Mann, den Großbritannien nicht ignorieren kann“. Farage trägt eine Sonnenbrille auf dem Foto der Titelseite, er blickt direkt in die Kamera, mit der ganzen Ausstrahlung des selbstgefälligen Terrassenrauchers.
Reform UK ist eigentlich eine Firma – und Farage der „Director“
Der Rechtspopulist Nigel Farage hat immer schon viel dafür getan, nicht überhört und übersehen zu werden. Etwa, als er vor eineinhalb Jahren ins britische Dschungelcamp ging. Oder, das vor allem, als er 2016 mit der von ihm gegründeten UK Independence Party (Ukip) das Land in den Brexit schubste. Nach acht erfolglosen Versuchen ist er im vergangenen Sommer ins Parlament gewählt worden, zusammen mit vier weiteren Abgeordneten seiner aktuellen Partei Reform UK. Seiner ist dabei wörtlich zu verstehen: Reform UK, das Nachfolgeprojekt von Ukip, ist technisch gesehen keine Partei, Reform UK ist eine Firma, deren größter Anteilseigner bis vor zwei Monaten Farage war; seit Februar ist er nur noch als „Director“ eingetragen. Stattdessen gehört die Partei/Firma nun den 200 000 Mitgliedern, die allerdings den Direktor nur dann entfernen können, wenn mehr als die Hälfte schriftlich ein Misstrauensvotum einfordert.
Die Mitglieder scheint das nicht zu stören, kein Parteichef hat derart hohe Beliebtheitswerte bei der eigenen Klientel wie Farage. In den aktuellen Umfragen liegt Reform gleichauf mit Labour, in manchen gar auf Platz eins. Das liegt zwar hauptsächlich an der dramatisch gesunkenen Zustimmung für die Labour-Partei, und die nächsten Unterhauswahlen sind ohnehin noch mindestens vier Jahre entfernt. Aber genauso lang wird das Land nun die Frage begleiten, ob die Umfragewerte tatsächlich reale Folgen haben können, in Großbritannien im Allgemeinen und in dem Gebäude mit der schönen Terrasse im Konkreten.
Was wirklich zählt: Wie geht es den Wählern?
Eine erste Antwort darauf gibt es an diesem Donnerstag, wenn in Teilen Englands die local elections stattfinden. Normalerweise sind die Wahlen von Bürgermeistern und Stadt- und Gemeinderäten im nationalen Kontext eher nicht der Rede wert, es geht vor allem um Themen wie die örtliche Müllentsorgung oder die Baustellen auf den Straßen der Nachbarschaft. Aber diese Lokalwahlen sind die ersten, seit Reform im Parlament sitzt, die Partei bewirbt sich in zahlreichen Kommunen. Und das macht die Wahlen zu einem ersten Wirklichkeitsabgleich für die selbstbewusste Prophezeiung, die Farage und seine Leute so gern sagen, schreiben und posten: Dass er der nächste Premierminister sein wird.
Spricht man mit Menschen im Umfeld der Parteien darüber oder auch mit Umfrage-Experten, dann ist oft ein Einerseits/Andererseits zu hören: Einerseits, ja, die Bedrohung von rechts für Keir Starmers Labour-Partei und Kemi Badenochs Tories sei real. Andererseits, Nigel Farage als Premierminister, das sei doch unwahrscheinlich, denn: Der Erfolg von Farage hänge weniger von Farage selbst ab, sondern, simple Wahrheit der Politologie, davon, wie es den Wählern gehe. Je schlechter, desto größer ist ihre Wut auf die aktuelle Regierung. Und desto wahrscheinlicher ist, dass die Leute einen wählen, dessen größte Stärke darin liegt, ihnen zu sagen, was sie hören wollen, ganz egal, wie sinnvoll oder realistisch das sein mag.
Die Tories zum Frühstück verspeisen? Aus diesem Spruch macht Farage eine witzige Wahlwerbung
In seinen Aussagen schwankt Farage neuerdings zwischen Sozialismus und strammem Rechtskonservativismus, er plädiert für die Verstaatlichung der Stahlindustrie, aber auch für eine „net-zero-migration“, wie er es nennt. Das ist der größte Unterschied zwischen dem alten Ukip-Farage und dem neuen Reform-Farage: Er versucht, nicht nur die rechte Nischenkundschaft anzusprechen, sondern möglichst auch ein paar auf der anderen Seite des politischen Spektrums.
Die Hauptgegner von Reform UK sind allerdings naturgemäß die Tories, die unter der ungeschickten Führung von Kemi Badenoch weit entfernt sind von früherer Stärke. Vor ein paar Tagen veröffentlichte Reform ein Foto: An einem Tisch sitzt Farage, er isst grinsend Frühstücksmüsli, neben ihm steht eine Packung mit einem geschwungenen, roten K darauf, dazu der Schriftzug „Kemi“. Das war nicht nur eine witzige Wahlwerbung, sondern spielte auch auf die Aussage von Premier Starmer im Parlament an, Farage würde „die Tories zum Frühstück verspeisen“.
Für Labour wäre es wahrscheinlich gut, wenn es so käme. Sollten sich noch mehr Tory-Anhänger Reform UK zuwenden, dann, sagt der Meinungsforscher James Johnson der Süddeutschen Zeitung, wäre das ein Vorteil für Starmer: „Er könnte dann einfach sagen, wollt ihr lieber ihn oder mich in Downing Street?“ Die gruselige Aussicht auf einen Farage, der entweder allein oder in Koalition mit den Tories regiert, dürfte ziemlich viele Wähler links von Farage mobilisieren.
Noch aber ist es nicht so weit, noch ist der Weg für den 61-Jährigen vom Palace of Westminster ins Machtzentrum in Downing Street deutlich länger als die paar hundert Meter Fußmarsch auf der Parliament Street. Aber er ist zumindest schon mal losgegangen. Das allein ist mehr, als sie bis vor Kurzem in Westminster wahrhaben wollten.