72 Ex-Teilnehmer fordern Ausschluss Israels | ABC-Z

Zweierlei Maß – das werfen gleich 72 ehemalige Teilnehmer des Eurovision Song Contest (ESC) der Europäischen Rundfunkunion (EBU) vor. Russland sei 2022 vom ESC in Turin ausgeschlossen worden, weil das Land im Februar jenes Jahres gegen die Ukraine in den Krieg gezogen sei. Darum müsse auch Israel vom ESC ausgeschlossen werden, da das Land „seinen Genozid im Gazastreifen“ fortsetze.
Der Ausschluss Israels hätte schon im vergangenen Jahr vollzogen werden müssen, heißt es in dem offenen Brief, der auf der Seite artistsforpalestine.org.uk erschienen ist. Stattdessen sei der israelischen Delegation völlige Straffreiheit gewährt worden, „während andere Künstler und Delegationen unterdrückt wurden“. Damit sei der ESC in Malmö 2024 „zum politisiertesten, chaotischsten und unerfreulichsten in der Geschichte des Wettbewerbs“ geworden.
Den Brief hat auch ein ESC-Sieger unterschrieben: der Portugiese Salvador Sobral, der 2017 mit „Amar pelos dois“ in Kiew gewonnen hatte. Allein zehn ehemalige finnische Teilnehmer sowie gleich 30 isländische zählen dazu, unter ihnen Kommentatoren, Komponisten, Autoren, Sänger und Tänzer.
Keine deutsche Beteiligung
Aus Deutschland hat sich niemand an dem Protest beteiligt. Vermutlich auch, weil von zweierlei Maß keine Rede sein kann. Zum einen taucht in dem Brief nur Russland als Ganzes auf, aber nicht die beiden zuständigen Sender Perwy kanal und Rossija 1, zugleich wird Israel genannt, aber der Ausschluss des israelischen Senders KAN gefordert, da dieser „an Israels Völkermord an den Palästinensern in Gaza und dem jahrzehntelangen Regime der Apartheid und der militärischen Besetzung des gesamten palästinensischen Volkes“ mitschuldig sei. Gemeint ist, dass KAN über den Gazakonflikt berichtet, aber eben, so die Begründung, nur einseitig.
Die EBU hat wiederholt darauf hingewiesen, dass nicht Staaten, sondern Sender Mitglieder der Union seien, und diese hätten sich „an die Werte öffentlich-rechtlicher Medien“ zu halten. „Angesichts der Eskalation dieses Konflikts muss es unsere Priorität sein sicherzustellen, dass alle Bürger weiterhin Zugang zu vertrauenswürdigen, unabhängigen Nachrichten und Informationen haben und dass Journalisten frei und sicher berichten können“, schrieb die EBU schon im Februar 2022 zum Überfall Russlands auf die Ukraine. Genau dem aber folgen die regierungstreuen russischen Sender nicht, die staatlich oder angeblich auch nur halbstaatlich sind. Dass sie zudem, wie von der russischen Regierung vorgegeben, zentrale europäische Werte missachten, etwa keine Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung, wird ebenfalls Perwy kanal und Rossija 1 vorgehalten. Der israelische Sender KAN wiederum ist öffentlichrechtlich, nicht staatlich. Und er hält sich an die Vorgaben der EBU.
Yuval Raphael vertritt Israel
KAN ist beim ESC in Basel mit der 24 Jahre alten Sängerin Yuval Raphael vertreten. Sie ist Überlebende des Massakers vom 7. Oktober 2023, als Hamas-Terroristen das Supernova-Musikfestival angriffen. Und sie ist auch mit weiteren Überlebenden des Terrorakts schon am Montag in die Schweiz gereist. Am Mittwoch stand sie für ihre erste Probe auf der Bühne der St. Jakobshalle. Dort wird sie am nächsten Donnerstag im zweiten Halbfinale erstmals vor Publikum ihr Lied „New Day Will Rise“ singen.
Wie schon im vergangenen Jahr in Malmö gelten auch für ihren Auftritt und die israelische Delegation erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. Am Donnerstag veröffentlichte Israels nationaler Sicherheitsrat mit Blick auf Reisen zum ESC eine Warnung. Angesichts der zu erwartenden und möglicherweise in Gewalt ausartenden Proteste sollten Israelis bei Schweiz-Besuchen vom Zeigen jüdischer oder israelischer Symbole absehen. Auch sollten Israelis in der Schweiz ihren Aufenthaltsort nicht in sozialen Medien veröffentlichen, nicht über den Militärdienst oder den Krieg diskutieren sowie die App des Heimatfrontkommandos herunterladen, um aktuelle Warnungen zu bekommen.
Im vergangenen Jahr hatte es demnach 360 gegen Israel gerichtete Proteste in der Schweiz gegeben. Der Sicherheitsrat geht davon aus, dass es um den Musikwettbewerb und die Präsenz der israelischen Delegation zu weiteren Protesten kommen könne, die als Deckung für Anschläge auf Israelis genutzt werden könnten.
Yuval Raphael hatte schon zuvor gesagt, dass sie damit rechne, während ihrer Auftritte ausgebuht zu werden. Es kann auch sein, dass Fans im Publikum die palästinensische Flagge hochhalten werden. Das war 2024 noch verboten, da Palästina nicht am ESC teilnimmt, wie begründet wurde. In der Schweiz ist es nun aber erlaubt: Die Fans dürfen alle Flaggen zeigen, die nicht gegen die Gesetze des Landes verstoßen, von der Regenbogenfahne bis hin zur Nationalflagge Russlands. Die Künstler hingegen dürfen nur die Flagge ihres Landes mit auf die Bühne bringen, die ihnen vom zuständigen Schweizer Sender SRG SSR zur „Flaggenparade“ ausgehändigt wird.
Ausgerechnet ESC-Sieger Nemo hatte im vergangenen Jahr eine Flagge auf die Bühne in Malmö geschmuggelt, die schon 2024 nicht erlaubt war: die nicht binäre Flagge, die aus vier horizontalen Streifen in den Farben Gelb, Weiß, Lila und Schwarz besteht und Menschen symbolisiert, die sich außerhalb des binären Geschlechtssystems verorten oder sich zum Beispiel auch mit keinem Geschlecht identifizieren, so wie Nemo.