Marketing-Experte Johannes Heil: “Union zeigt, wie es anders geht” | ABC-Z

Vermarktung im Frauen-Fußball
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“Union zeigt, wie es anders geht”
Die Fußball-Europameisterschaft der Frauen ist in vollem Gange und beschert Top-Einschaltquoten. Doch wie nachhaltig ist das Interesse und worauf müssen die Klubs der Region achten?
rbb|24: Herr Heil, haben sie bereits Spiele der Euro gesehen?
Johannes Heil: Ja, diese EM hat mich eigentlich schon mit dem ersten Spiel der deutschen Mannschaft, der DFB-Frauen gepackt. Die spielen ja nicht nur erfolgreich und sind Titelkandidatinnen, sie treten auch sehr erfrischend und sympathisch auf. Und damit war ich prompt im Turnier drin und gucke jetzt beinahe jedes Spiel.
Was ist Ihnen in der medialen Berichterstattung bisher aufgefallen? Gibt es Neuerungen, geht es professioneller zu?
Mein erster Eindruck ist, dass die EM auch medial wirklich gut läuft. Das Interesse ist spürbar und die Quoten stimmen. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, hatte das erste Spiel der deutschen Mannschaft acht Millionen Zuschauer, das zweite dann sieben – das ist wirklich toll. Die mediale Präsenz ist besser als je zuvor. Die eigenen Studios, viele Expertinnen, neue interaktive Formate, das sind sehr starke Signale, ohne die das Turnier gar nicht so positiv wahrgenommen werden könnte.
Einige Kritiker sagen, bei der Berichterstattung des Frauenfußballs würden im Vorfeld zu häufig die großen Themen aufgemacht: Gleichberechtigung, Feminismus, eine Geschichte von Verboten und Vorurteilen. Braucht es das nach wie vor?
Was es braucht, ist zunächst mal Berichterstattung über den Sport. Der Liga-Alltag wird medial kaum begleitet und da ist die Lücke. Es fehlen uns Geschichten, Gesichter, Kontinuität. Pathetisch formuliert: Es fehlen die Heldenreisen. Spannung und Attraktivität ergibt sich nicht aus Geschwindigkeit und solchen Sachen, sondern aus den Geschichten, die daraus gemacht werden. Dadurch, dass wir diese Geschichten erzählen, bekommt der Frauenfußball mehr Interesse, mehr Aufmerksamkeit.
An was für Geschichten denken Sie da?
So leid mir die Verletzung von Guilia Gwinn tut, für die die EM nach nicht mal einer Halbzeit beendet war – an ihr sieht man auch das Potential. Das wäre vor einigen Jahren überhaupt nicht möglich gewesen, dass eine Verletzung medial so stark aufgeladen wird. Der Frauenfußball hat längst die Kraft zur Bedeutung, wenn man ihm kommunikativ den Raum gibt.
Welches Image hat der Frauenfußball im Jahr 2025?
Ein zunehmend sehr gutes. Wenn man den erfrischenden Auftritt der deutschen Frauen im Turnier sieht, dann ist das sehr klar, sehr unverstellt, sehr glaubwürdig. Da ist viel Leistung, wenig Lärm.
Schauen wir in die Zukunft. Studien sagen dem Frauenfußball eine rasante Entwicklung, ein enormes Wachstum in den nächsten Jahren voraus. Da ist von einer Verdreifachung der Fanbasis die Rede. Stimmen Sie zu?
Ja! Die absolute Benchmark ist der Angel City FC in den USA. Das ist der Klub, der sich wie ein Start-up aufstellt, wie ein Social Business handelt und gleichzeitig sportlich begeistert. Der wurde von Frauen gegründet, von Frauen geführt und verbindet Fußball mit gesellschaftlicher Mission, wie zum Beispiel Diversität. Das ist nicht nur ein Team, sondern eine richtige Bewegung.
Wir haben zwar jetzt gerade noch eine EM, die sich leider nicht selber finanziert. Wirtschaftlich ist das Turnier immer noch ein Verlustgeschäft, querfinanziert durch den Männerfußball. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass schon das nächste Turnier keine Verluste mehr einspielt. Und dann kann das relativ schnell gehen.
Richtig schnell ging es auch beim 1. FC Union Berlin. Ab dieser Saison spielt die Mannschaft in der Bundesliga, hat dazu einen der besten Zuschauerschnitte Europas. Was macht der Verein richtig?
Während viele Frauenteams noch im Schatten der Männer stehen und kaum eigenständig wahrgenommen werden, zeigt Union, wie es anders geht. Mit ganz klarer Kommunikation, mit eigenem Social Media Profil und extrem guten, strategischen Partnerschaften. Das ist mehr als nur Marketing, das ist eine richtig selbstbewusste Positionierung. Die sich nicht an den Männermannschaften abarbeitet, sondern für sich steht. Das ist der Schlüssel. Wenn Union diesen Weg weitergeht, sind sie eine absolute Referenz im deutschen Frauenfußball. Sportlich und auch kulturell.
Hertha BSC spielt in der zweiten Liga und hat es bislang nicht geschafft, eine solche Aufbruchstimmung wie bei Union zu erzeugen. Muss der Verein einfach mehr in den Frauenfußball investieren?
Absolut. Die Frauenmannschaft wird, wenn ich das richtig deute, als integraler Bestandteil der gesamten Marke Hertha gesehen, was sich auch in der Ansprache von Sponsoren und Partnern widerspiegelt. Das heißt, hier bleibt die eigene Vermarktung noch sehr vage, so wie das Storytelling. Die Marke Hertha hat enormes Potential. Aber die Frauenabteilung muss konsequent individuell sichtbarer gemacht werden und nicht als Anhängsel.
Was macht Viktoria 89 richtig?
Die schießen den Vogel wirklich konsequent ab, wenn es um strategische Innovation und moderne Markenbildung geht. Da kann man wirklich nur den Hut ziehen. Das ist der innovativste Klub in der gesamten Region. Die haben ein modernes Branding, eine ganz klare Haltung und ein visuelles Storytelling. Hier entsteht ja wirklich eine Marke mit Zukunft, die den Fußball so ähnlich denkt, wie ich das beim Angel City FC beschrieben habe, also wirklich Start-up-like. Viktoria ist überhaupt nicht männlich kodiert, sondern bewusst anders und das ist ein wirklicher Aufbruch.
Und wie sehen Sie die Vermarktung des früheren Champions-League-Siegers und heutigen Zweitligisten Turbine Potsdam?
Aus der einstigen Pionierin ist eine Suchende geworden. Und das eher kraftlos und unklar. Der Klub steht schon für relevante Werte, für Nachhaltigkeit, Gleichberechtigung, Diversität. Aber es fehlt ein konsistentes, zeitgemäßes Narrativ, das diese Haltung emotional auflädt für Fans, Medien und Sponsoren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview wurde geführt von Fabian Friedmann.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.07.2025, 19:15 Uhr