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Maria Grazia Chiuri geht – was steckt hinter dem Rücktritt? | ABC-Z

Zur letzten großen Schau im März in Paris mischte Maria Grazia Chiuri unter ihre aktuellen Entwürfe noch mal dezent die erfolgreichsten Stücke aus neun Jahren Dior, so lange hat sie das Haus als Kreativdirektorin geführt. Mit Slogan-T-Shirt, Book-Tote-Bag, Schiebermütze und Tüllrock erinnerte sie nun in den Tuilerien an ihre größten Hits. Die Botschaft: Au revoir!

Am Donnerstag, zwei Tage nach ihrer nun wirklich allerletzten Schau für Dior, der Cruise-Kollektion, die sie in ihrer Heimatstadt Rom zeigte, schuf das Pariser Modehaus Fakten und gab den Rücktritt der italienischen Designerin bekannt.

So etwas hatte es bis 2016 noch nicht gegeben

Damit ist das große Stühlerücken in der Mode vorerst abgeschlossen. Viele Spitzenposten waren in den vergangenen Monaten zu vergeben: Bei Chanel ging er an Matthieu Blazy, bei Bottega Veneta rückte Louise Trotter nach, bei Gucci Demna, bei Balenciaga Pierpaolo Piccioli, bei Jil Sander Simone Bellotti, bei Versace Dario Vitale, bei Loewe Jack McCollough und Lazaro Hernandez. Fragt sich nur noch, wer zu Fendi geht. Vielleicht Maria Grazia Chiuri?

Die Nachfolge bei der für Dior besonders wichtigen Damenkollektion übernimmt jetzt wahrscheinlich Jonathan Anderson, nachdem er schon im April als neuer Herrendesigner vorgestellt wurde. Die Häppchen-Bekanntmachung dürfte dem strengen Rhythmus des Modekalenders geschuldet sein. Schließlich gab es noch die Cruise-Kollektion zu präsentieren, was Maria Grazia Chiuri hiermit erledigt hat.

Jetzt beginnen so viele neue Personalien an so vielen entscheidenden Stellen in der Luxusmode wie schon lange nicht mehr. Wenn all diese Designer im September ihre Debüts präsentieren, wird das für Modekritiker ein Fest werden. Das war es für sie bei den Schauen von Maria Grazia Chiuri für Dior nicht immer. Die größte Schwäche dieser Designerin war zugleich ihre größte Stärke: die Nähe zum Kommerz. Damit hat Chiuri Dior in den neun Jahren finanziell in andere Sphären gehoben. Ihre Arbeit, die unter anderem mehr als 55 Kollektion umfasst, die Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und einer Handwerksschule in Indien, die Gründung eines Dior-Museums in Paris, lässt sich auch mit diesem einen weißen T-Shirt erklären.

Ein Slogan-T-Shirt auf einem Dior-Laufsteg, und dann auch noch zum Debüt. So etwas hatte es bis 2016 noch nicht gegeben. Auf der Brust der Slogan: „We Should All Be Feminists“. Das konnte man als Anspielung darauf verstehen, dass Maria Grazia Chiuri die gläserne Decke bei Dior durchbrochen hatte, als erste Chefdesignerin in der Geschichte des Hauses. Kurze Zeit später wurde Donald Trump in Amerika zum Präsidenten gewählt, damit hatte Maria Grazia Chiuri ihr Großthema.

„Wenn ich könnte, würde ich alle Türen entfernen lassen“

Das T-Shirt machte weit über die Mode hinaus die Runde, ein bisschen Baumwolle, ein Spruch, der auf ein Manifest der Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie zurückgeht – und das alles für 600 Euro. Ob das Feminismus sein könne, fragten viele entsetzt. Ein knappes Jahrzehnt später taucht das T-Shirt allerdings noch immer auf, nun zum Preis von 750 Euro. Aus dem Slogan-T-Shirt ist ein Dior-Klassiker geworden, und es steht im Kleinen für gleich mehrere große Phänomene in der Luxusmode der vergangenen zehn Jahre: für die Preissteigerungen auf eh schon unerklärlich teure Stücke; für Vereinfachung, Bequemlichkeit und Luxus im Alltag; für Logomanie, denn selbst wenn Dior nicht wörtlich vorkommt, weiß alle Welt, woher das Stück kommt. Das Feminismus-T-Shirt wurde zum Erfolgsmodell für Dior. Zugleich ist es bezeichnend, dass neun Jahre später so wenig weibliche Chefdesignerinnen wie schon lange nicht mehr in der Luxusmode tätig sind. Der Feminismus ist in dieser Welt nicht weit gekommen.

Immerhin, da war in all den Jahren sie: Als erste Frau an der Spitze dieses Hauses stand Maria Grazia Chiuri weniger in Konkurrenz mit ihren Dior-Vorgängern. So konnte sie unbefangener in den Archiven wühlen. Mal feierte sie Yves Saint Laurent für seine Trapezsilhouette, mal Marc Bohan für seine Miniröcke, mal John Galliano für seine It-Bags, zuletzt Gianfranco Ferré für sein weißes Hemd. Nur einen klammerte sie aus: Raf Simons, ihren direkten Vorgänger, der von 2012 bis 2015 für das Haus tätig war.

Die italienische Modedesignerin Maria Grazia Chiuri bei der Präsentation der Dior Herbst/Winter-Kollektion 2025/2026 am 4. März 2025
Die italienische Modedesignerin Maria Grazia Chiuri bei der Präsentation der Dior Herbst/Winter-Kollektion 2025/2026 am 4. März 2025Scott A Garfitt/Invision/AP

Als Maria Grazia Chiuri dann 2016 zu Dior stieß, so erklärte sie es mal in einem Interview mit dem F.A.Z.-Magazin, habe sie das Haus zunächst von alten Strukturen befreit. „Wenn ich könnte, würde ich alle Türen entfernen lassen“, sagte sie damals, wobei es einem um die schönen Flügeltüren im Altbau an der Avenue Montaigne schon leidtäte.

Die Geschichte des Hauses wird sie aber eben gerade nicht als Enge empfunden haben, sondern als Chance. Damit kannte sie sich aus. Chiuri hatte in jungen Jahren bei Fendi begonnen, war dann zu Valentino gewechselt, wo sie in knapp zwei Jahrzehnten zuletzt als Kreativdirektorin neben Pierpaolo Piccioli gearbeitet hatte. Es folgte der Umzug nach Paris, zu Dior. Sie war allein gekommen – ohne Mann und die damals gerade erwachsenen Kinder. Ihre ältere Tochter Rachele Regini holte sie jedoch später dazu, als Beraterin.

Nicht nur schnell, sondern auch originell

„Wenn man jung ist, kann sich das Leben schnell wie eine Prüfung anfühlen“, sagte sie damals im Jahr 2018. „Ich glaube, dass ich nichts zu verlieren habe.“ Es folgten sieben weitere Jahre, in denen sie sich nach der Kundin und nicht den Kritikern richtete. Die Umsätze schossen unter ihr bis zum Jahr 2023 in Rekordhöhe, dann kam, wie bei vielen Marken, der Einbruch.

Eine neue Designerriege soll es jetzt richten. Maria Grazia Chiuri, 61 Jahre alt, geht. Jonathan Anderson, 40 Jahre alt, dürfte wahrscheinlich kommen. In seinen elf Jahren bei Loewe hat er mindestens erreicht, dass auch für viele Deutsche Loewe nicht mehr allein ein Unternehmen für Fernseher aus Kronach war, sondern eine Ledermanufaktur aus Madrid. Und im Gegensatz zu Chiuri hat Anderson die Modekritik gesammelt auf seiner Seite. Es wird schwer, jemanden zu finden, der von seinem künstlerischen Spiel mit Trompe-l’Œils bei zugleich bewusster Alltagsleichtigkeit nicht beeindruckt ist. Jonathan Anderson lässt sie dabei alle staunend zurück und ist schon wieder weiter. Bei der Arbeit an seinem eigenen Label, bei einer Kollektion für Uniqlo, am Filmset, wie im vergangenen Jahr bei „Challengers“, dessen Kostüme er entwarf.

Der britisch-irische Modedesigner Jonathan Anderson
Der britisch-irische Modedesigner Jonathan AndersonAFP

Das Pensum dieses Mannes entspricht ungefähr dem seiner Vorgängerin bei Dior. Und Jonathan Anderson ist nicht nur schnell, sondern auch originell. Als der Brite bei Loewe anfing, so erzählte er es dem F.A.Z.-Magazin 2016, gab er den Handwerkern ein Projekt auf: „Macht die Tasche, auf die ihr Lust habt.“ Berühmt wurden später ein kleiner Elefant aus Leder an einem langen Riemen und die Puzzle Bag, die aus 50 einzelnen Stücken besteht. Schon damals wurde er als Nachfolger von Nicolas Ghesquière bei Louis Vuitton gehandelt. Das ist jetzt neun Jahre her, und Ghesquière ist noch immer auf seinem Posten. Er gehört zu den wenigen an der Spitze, deren Stuhl in den vergangenen Monaten nicht wackelte.

Von Dior hat sich die Frau, die dieses Haus neun Jahre lang kreativ leitete, offenbar schon emanzipiert. Ihre letzte Schau in Rom zeigte Maria Grazia Chiuri im Teatro della Cometa. Gemeinsam mit ihrer Tochter Rachele hatte sie das heruntergekommene Haus aus den Fünfzigerjahren vor einer Weile eigens gekauft und renoviert. Am Dienstag, zur Dior-Schau, war Neueröffnung.

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