Bayer Leverkusen: Xhaka – „Mein Vater hat mich noch nie gelobt. In 32 Jahren noch nie“ | ABC-Z

Im vergangenen Jahr das Double gewonnen, in diesem Jahr noch im Meisterrennen. Bayer Leverkusen erlebt erfolgreiche Zeiten. Ein Grund dafür ist Granit Xhaka. Im Interview spricht der Schweizer privat wie nie.
Die Kräfte schwinden. Die Hoffnung bleibt. Bayer Leverkusen gibt im Meisterrennen nicht auf. „Ich glaube, dass wir immer noch eine Chance auf den Titel haben“, sagt Granit Xhaka, 32, vor dem Schlussspurt der Bundesliga. Im Interview erklärt der Mittelfeldspieler, wie man den FC Bayern noch abfangen will.
Frage: Herr Xhaka, welchen Geldbetrag würden Sie im Meisterkampf auf Leverkusen setzen?
Granit Xhaka: Ich würde keinen Cent auf uns setzen.
Frage: Der Rückstand beträgt trotz des 0:0 gegen Union Berlin fünf Spiele vor Saisonende sechs Punkte.
Xhaka: Ich glaube, dass wir immer noch eine Chance auf den Titel haben. Aber ich bin kein Zocker und würde niemandem empfehlen, Geld auf Fußballspiele zu setzen. Ich investiere auch nicht in Aktien, weil ich nicht beeinflussen kann, was andere machen.
Frage: Sie können aber beeinflussen, dass Leverkusen die letzten Spiele gewinnt und auf 78 Punkte kommt. Reichen die für den Titel?
Xhaka: Wir müssen hoffen, dass 78 Punkte reichen. Wir müssen sie holen, um eine Chance zu haben. Wenn die anderen (Bayern; Anm. d. Red.) am Ende mehr haben, dann geben wir ihnen die Hand und sagen: „Ihr habt eine sehr starke Leistung gebracht, Glückwunsch.“ Aber so weit ist es nicht. Wir müssen unsere Spiele gewinnen. Dann sehen wir, wo wir stehen.
Frage: Wie groß ist der Vorteil, dass Top-Spieler wie Florian Wirtz und Edmond Tapsoba nach Verletzungen zurückgekehrt sind und der FC Bayern im Endspurt Profis wie Jamal Musiala, Dayot Upamecano und Alphonso Davies ersetzen muss?
Xhaka: Auch wenn man beiden nach ihren Verletzungen Eingewöhnungszeit zugestehen muss: Wenn Spieler wie Flo und Eddy wieder dabei sind, bedeutet das, dass wir viel mehr Qualität haben. Ist die Mannschaft komplett, bist du besser. Fehlen dir Leistungsträger, tut es weh. Das war bei uns zu sehen. Wir haben gepunktet, aber zuletzt selten gut gespielt. Mir ist egal, wie es aussieht, weil im Endspurt nur die Punkte zählen. Trotzdem wissen wir, dass wir besser spielen müssen. Das hat uns Xabi Alonso letzte Woche auch noch einmal gesagt.
Frage: Was genau hat der Trainer der Mannschaft für den Schlussspurt mitgegeben?
Xhaka: Er hat klare Zeichen gegeben: Wir müssen anders auftreten, dominanter, klarer. Dann gewinnen wir unsere Spiele. Auch wenn wir uns gegen Union bisher nicht belohnen konnten, haben wir das in weiten Teilen schon umsetzen können.
Frage: Zwischenzeitlich saßen wegen vieler Ausfälle Jugendspieler auf der Bank.
Xhaka: Es ist schön, wenn 17-Jährige mal reinschnuppern können. Nur: Die Meisterschaft ist keine Schnupperrunde.
Frage: Sie haben vergangene Saison 65 Pflichtspiele absolviert, diese Saison inklusive Nationalmannschafts-Einsätzen schon wieder 50.
Xhaka: Ich weiß, dass ich auch schwächere Spiele dabeihatte. Wie im Pokal-Halbfinale gegen Bielefeld (1:2) und in Heidenheim, wo wir den Sieg (1:0) eigentlich nicht verdient hatten. Das ist nicht das, was ich spielen kann. Alle von uns haben unfassbar viel investiert in den letzten beiden Jahren. Aber das darf keine Ausrede sein. Jetzt sind es noch fünf Spiele. Da kann es keine Müdigkeit geben.
Frage: Trotzdem: Sie machen jedes Spiel. Wie geht das?
Xhaka: Ich bin 32. Ich kenne meinen Körper am besten. Schlaf ist ein Faktor, die richtige Ernährung ein weiterer.
Frage: Haben Sie besondere Abläufe und Fitness-Geheimnisse?
Xhaka: Ich schlafe jede Nacht zwischen sechs und sieben Stunden. Ich stehe sehr früh auf, kümmere mich morgens gerne um die Kinder. Danach fahre ich zum Training. Das Entscheidende ist aber die Erholung.
Frage: Was machen Sie speziell?
Xhaka: Eine Stunde am Tag habe ich zu Hause nur für mich. Ich möchte das nicht genauer erklären. Nur so viel: Diese eine Stunde hilft mir im mentalen Bereich sehr. Wenn du im Kopf nicht bereit bist, 60 Spiele zu machen, wirst du sie nicht spielen können.
Frage: Sie sind gerade zum dritten Mal Vater geworden. Haben die drei Töchter den Papa zu einem besseren Spieler gemacht?
Xhaka: Sie haben mich verändert. Ich bin zwar noch derselbe Granit, der als 19-Jähriger in die Bundesliga gekommen ist. Ich bin noch genauso emotional wie zu meiner Zeit damals in Gladbach. Nur bin ich heute erfahrener und zeige diese Emotionen nicht mehr auf dem Platz, sondern verarbeite sie zu Hause. Wenn ich dort die Kinder in den Arm nehme, dann ist das Spiel erst mal weg. Abends, wenn sie schlafen, fängt meine Show an.
Frage: Wie sieht nach einem Spiel die Xhaka-Show zu Hause aus?
Xhaka: Ich nehme jedes Spiel von uns auf und schaue es mir in aller Ruhe an. Ohne Emotionen. 90 Minuten. Dann realisiere ich alles. Ich erkenne, was warum vorgefallen ist. Anschließend habe ich alles verarbeitet.
Frage: Erkennen Sie eigene Fehler und lernen daraus?
Xhaka: Zu 100 Prozent! Wenn mein Papa dabei ist, wird es noch extremer. Dann müssen wir das Spiel konstant anhalten. Er gibt mir immer neue Tipps. Er war schon immer mein Anschieber.
Frage: Ist er Ihr größter Kritiker?
Xhaka: Das ist er ganz sicher. Mein Vater hat mich noch nie gelobt.
Frage: Im Ernst?
Xhaka: Noch nie. In 32 Jahren gab es kein Lob für mich als Fußballer. Ich sage Ihnen: Es ist meine Motivation, dass einmal der Tag kommt, an dem er mir sagt: „Heute hast du ausnahmslos gut gespielt.“
Frage: Hat Ihr Vater damit Ihren starken Charakter, den Kämpfer geformt?
Xhaka: Vom ersten Tag meiner Karriere an war es so, dass ich jedes Spiel mit meinem Vater analysiert habe. Wir haben telefoniert, wenn er nicht im Stadion sein konnte, oder haben das Spiel zusammen noch einmal geschaut. Immer auf Augenhöhe, ohne emotional zu werden. Er kennt sich aus im Fußball und weiß, was er sagt. Das hat meiner Karriere und mir gutgetan. Deshalb habe ich diesen Hunger, diesen einen Wunsch, dass er bis zum Ende meiner Laufbahn einmal sagt, dass ich gut gespielt habe. Was mir wichtig ist dabei: Mein Vater ist nicht zu hart oder herzlos. Er spornt mich an. Er hat mir beigebracht, tough zu sein, nie aufzugeben, nicht wegzulaufen.
Frage: Wie wichtig waren diese Eigenschaften nach dem Pokal-Aus bei Drittligist Bielefeld, dem Tiefpunkt der vergangenen beiden Jahre?
Xhaka: Das Finale zu verpassen, war ein Schlag ins Gesicht. Uns bringt es aber nichts zu jammern. Im Gegenteil: Manchmal kann ein Schlag ins Gesicht guttun – auch wenn es jetzt sicher der falsche Zeitpunkt war. Grundsätzlich ist es aber gut für die Entwicklung der Spieler und den Verein, mal etwas abzubekommen. Danach musst du wieder zehn Prozent mehr geben.
Frage: Dortmund-Boss Hans-Joachim Watzke hat kürzlich gesagt, dass es ihn ärgert, die Position der zweiten Kraft im deutschen Fußball hinter dem FC Bayern an Leverkusen verloren zu haben. Ist das nach dem Double 2024 die größte Auszeichnung?
Xhaka: Ich habe das gelesen und würde sagen: Die Nummer zwei bist du, wenn du dich viele Jahre ganz oben halten kannst. Leverkusen hat immer um die Champions-League-Plätze mitgespielt. Dass wir in den vergangenen zweieinhalb, drei Jahren wirklich sehr nah an Bayern dran sind, zeichnet die Arbeit des Vereins aus, des Trainers, der Spieler. Darüber sind wir froh. Trotzdem habe ich großen Respekt vor Borussia Dortmund. Sie haben über Jahre bewiesen, da oben bestehen zu können.
Frage: Sie haben den Trainer angesprochen. Das Ausscheiden von Real Madrid in der Champions League gegen Ihren Ex-Klub Arsenal macht einen Wechsel von Xabi Alonso im Sommer zu den Königlichen, für die er schon gespielt hat, nicht unwahrscheinlicher.
Xhaka: Xabi Alonso ist clever genug, um zu wissen, was er hier in Leverkusen hat. Wir müssen aber keine Hellseher sein, um zu erkennen, dass er irgendwann mal bei einem noch größeren Klub arbeiten wird.
Frage: Sind die Spekulationen um Alonso und Wirtz ein Thema in der Kabine?
Xhaka: Wir sprechen nicht darüber, wer gehen und wer kommen könnte. Ich kann auch nicht beeinflussen, was im Sommer passiert. Dafür ist der Verein verantwortlich. Ich weiß nur, dass alle Spieler außer Jonathan Tah einen Vertrag über den Sommer hinaus haben. Und auch bei Jonathan ist es nicht so, dass wir ihn fragen, wohin er geht. Wir sehen, wie professionell er ist. Er ist eine Persönlichkeit in der Kabine und auf dem Platz, unser Chef hinten. Er spielt wie ein echter Kapitän. Jeder schaut zu ihm auf.
Frage: Wie ist es bei Ihnen? Ihr Vertrag läuft bis 2028. Viele andere Spieler denken mit knapp 33 an den letzten großen Vertrag in der Wüste oder den USA.
Xhaka: Daran denke ich null Komma null. Ich habe mich damals nicht ohne Grund langfristig für Bayer 04 entschieden.
Der Artikel wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) verfasst und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.