Foodstylistin Janice Poon über Essen in Serien und Filmen | ABC-Z

Frau Poon, Sie arbeiten seit vielen Jahren als Foodstylistin für Film und Fernsehen und sind dabei für die unterschiedlichsten Mahlzeiten verantwortlich, die auf der Leinwand und auf dem Bildschirm zu sehen sind. Wie landet man in so einem Beruf?
Das war nichts, was ich mir bewusst vorgenommen habe, es war reiner Zufall. Wobei mein Interesse für das Kochen und meine Freude am Essen mich bestens auf den Job vorbereitet haben. Ich bin in einer Familie großgeworden, in der fast jeder in der Gastronomie arbeitete oder sogar eigene Restaurants betrieb – und ich war mir lange sicher, dass ich auf gar keinen Fall beruflich mit Essen zu tun haben möchte. Also ging ich in die Werbung. Doch gleich die ersten drei Kunden, mit denen ich dort als Art-Direktorin zu tun hatte, waren eine Fast-Food-Kette und zwei Lebensmittelfirmen. Das Schicksal lachte mir also geradezu ins Gesicht.
Der Weg vom Hamburger aus der Werbung zum Film war also nicht weit?
Doch, der nahm noch ein paar Umwege. Aber diese ersten Erfahrungen waren wichtig, weil ich naiv und unerfahren war. Anfangs dachte ich, dass man für eine solche Werbung eben ein paar Burger bestellt und fotografiert – und fertig. Erst durch die direkte Arbeit damals verstand ich, wie wichtig es ist, dass so eine Aufnahme verschiedene Sinne anspricht, und welche Emotionen beim Betrachter dabei ausgelöst werden sollen. Und ich lernte, warum die Fotografin einen Gasbrenner und eine Tube mit Silikonflüssigkeit dabei hat. Trotzdem war ich eigentlich erst einmal mit anderem beschäftigt, denn ich wollte Künstlerin sein. Irgendwann hatte ich ein kleines Atelier neben einer Frau, die ein Catering-Unternehmen betrieb. Sie bat mich ab und zu, ob ich nicht beim Design ihrer Veranstaltungen helfen könnte, mit Blumen, Dekoration und solchen Sachen. Dadurch lernte ich einen Bühnenbildner kennen, der mich fragte, ob ich ein Hochzeitsbüffet entwerfen könnte für eine Filmszene. Das wiederum fiel dem Requisiteur ins Auge, in dessen Bereich alles fällt, was nicht nur im Hintergrund zu sehen ist, sondern von den Schauspielerinnen und Schauspielern angefasst wird. Er fragte mich, ob ich für eine Szene am nächsten Tag nicht ein paar Horsd’oeuvres machen könnte.
Irgendwann in den Achtzigern. Ich merkte schnell, dass mir das Designen von Film-Essen mehr liegt als echte Hochzeiten. Denn da muss ich mich nur mit dem Regisseur und dem Requisiteur beschäftigten, nicht mit anspruchsvollen Bräuten, deren dominanten Müttern, nervösen Bräutigamen oder zickigen Gästen. Mein Glück war natürlich, dass damals Foodstyling noch kein Begriff und das Interesse an Essen noch ein ganz anderes war. Heute weiß dank Social Media jeder, wie viel dazu gehört, eine Mahlzeit oder ihre Zutaten gut aussehen zu lassen. Meine Karriere so unbedarft zu starten, wie ich es damals tat, wäre heute vermutlich undenkbar.
In den vergangenen 40 Jahren hat sich in Film und Fernsehen vieles verändert. Gilt das auch für das Essen vor der Kamera?
Unbedingt. Gerade beim Fernsehen, wo ich ja viel tätig bin. Da war früher für meinen Job so gut wie kein Geld übrig. Aber seit das goldene Zeitalter der Serien ausgerufen wurde und alle Produktionen um das Publikum buhlen, muss alles immer optisch viel hermachen, und auch das Budget für das Essen ist höher. Ein Beispiel: Ich erinnere mich noch gut an einen meiner ersten Jobs, damals auch für eine Serie. Es ging um eine Restaurantszene, bei der der Regisseur spätabends plötzlich fand, sie müsse viel betriebsamer aussehen. Was auch hieß: Mehr Essen musste her. Damals hatten Supermärkte selbst in Nordamerika noch sehr limitierte Öffnungszeiten, Restaurants waren um diese Uhrzeit auch alle geschlossen. Am Ende war unsere einzige Option, Salate auf die Teller zu zaubern, die aus Küchenpapier hergestellt waren, das wir mit Lebensmittelfarbe grün gefärbt hatten. Damit käme man heute im Leben nicht mehr durch!
Wird das Essen, das Sie für Filmszenen herstellen, tatsächlich verzehrt? Früher hieß es doch immer, dass Hollywoodstars höchstens ein bisschen kauten und alles sofort ausspuckten, wenn sie nicht mehr im Bild sind.
Den Spuckeimer, der dafür bereitsteht, gibt es immer noch. Aber ich erinnere mich an höchstens einen Fall in den vergangenen zehn Jahren, in dem ein Schauspieler einmal danach verlangt hat. Und der wurde dafür von uns ganz schön aufs Korn genommen.
Es wird also gegessen, was auf den Tisch kommt?
Im Grunde ja. Deshalb muss ich inzwischen vor Drehbeginn enorm viele Informationen abfragen, was Vorlieben und Unverträglichkeiten angeht. Bei einer Abendessenszene mit fünf Personen isst nicht selten mindestens eine vegan, eine hat eine Gluten-Unverträglichkeit, und eine dritte mag keine Avocados. Das ist mühsam, und ich fluche manchmal, aber ich muss darauf Rücksicht nehmen. Klar, das Essen soll auf dem Bildschirm gut aussehen. Aber die Schauspieler müssen sich eben auch wohl fühlen. Niemandem ist damit gedient, wenn am Ende beim Dreh jemand das Gesicht verzieht, eine allergische Reaktion bekommt oder sich erkennbar beim Essen überwinden muss.

Sie zaubern also für jeden eine individuell zugeschnittene Mahlzeit auf den Tisch, die optisch etwas hermacht und auch noch köstlich ist?
Ganz ehrlich: Köstlich kommt auf der Agenda ziemlich weit unten. Die Optik ist das Wichtigste, und essbar muss es sein. In der Regel ist es sogar ganz hilfreich, wenn das Essen eher ein wenig fad schmeckt. Schließlich kommt es vor, dass ein Schauspieler den gleichen Bissen zwanzigmal essen muss. Da wäre es kontraproduktiv, wenn der zu scharf ist oder sonst irgendwie intensiv schmeckt.
Obendrein müssen Sie vermutlich aufs Geld achten und können nicht unbedingt die teuersten Steaks und Trüffel auffahren.
Das Budget ist natürlich immer ein Faktor.Ich versuche schon, gute und gesunde Zutatenzu integrieren, aber gleichzeitig muss ich genau kalkulieren – und selbstverständlich Puffer einbauen für Notfälle. Aber es gibt auch Momente, in denen man nicht zu knauserig sein darf. Wenn eine Szene nach Luxus verlangt, müssen zum Beispiel ein paar Hummer dran glauben. Schließlich symbolisiert nichts so sehr ein opulentes Mahl wie Krustentiere.
Wenn Sie gerade Notfälle erwähnen: Kam es schon vor, dass Ihnen beim Dreh das Essen ausging, weil die Szenen so oft wiederholt wurden?
Wenn Planung und Absprachen gut genug sind, kommt das eher nicht vor. Schwieriger ist es, wenn plötzlich am Set Ideen im Raum stehen, die kein bisschen so geplant waren. Ich erinnere mich an ein Projekt, bei dem für eine Restaurantszene der erste Gang aus Austern, der zweite aus Hühnchen bestand. Als ich alles besprach, versicherte man mir, dass ich mich ganz auf das Hühnchen konzentrieren kann. Denn von den Austern würde man nur noch sehen, wie die letzten Schalen abgeräumt werden. Ich fragte dreimal nach wegen der Austern, denn die konnte ich nicht einfach auf Verdacht besorgen. Aber die Requisite war sich sicher, dass wir keine brauchen.

Für alle Fälle welche in petto zu haben war keine Option?
Nein, und zwar nicht der Kosten wegen. Austern sind erstens aufwendig, weil man sie nur frisch essen und nicht vorbereiten kann. Und zweitens gelten Austern als lebende Tiere, weswegen dann bei einem Hollywood-Set die Tierrechts-Ansprechperson ins Spiel kommt. Ich hatte schon Außendrehs, bei denen die Tier-Beauftragte fand, dass die Austern unzufrieden seien, weil es zu warm war. Ich war also nicht unfroh, dass ich bei besagter Szene auf die Austern verzichten konnte. Doch es kam natürlich anders: Am Drehtag fand der Regisseur abends plötzlich, es könnte doch nett sein, ein paar Austern im Film zu haben.
Wie haben Sie dann improvisiert?
In solchen Fällen schaut man als erstes, was das Catering zu bieten hat. In diesem Fall hatten wir das Glück, ein paar leere Austernschalen dort zu haben. Am meisten hatten wir Bananen, also formte ich aus denen etwas, das ein bisschen aussah wie Austern. Vor allem nachdem ich die Ränder etwas andrückte, damit sie braun werden. Improvisation ist alles, denn in meiner Position möchte man ungern diejenige sein, die zu einem Regisseur oder einer Showrunnerin sagt: Sorry, deine Vision lässt sich nicht umsetzen.
Die Filme und Serien, für die Sie gearbeitet haben, gehören zu verschiedenen Genres. Haben Sie bestimmte Vorlieben?
Ich liebe historische Geschichten, weil ich mich da ganz in die Recherche stürzen kann und enorm viel über die Geschichte der Menschheit und ihr Ess- und Kochverhalten lerne. Da versuche ich, mir so viel Wissen wie möglich anzueignen, weil ich glaube, dass Authentizität selbst in den kleinsten Details zur Qualität einer Produktion beiträgt. Gleichzeitig liebe ich es, für das Essen von „Star Trek: Discovery“ verantwortlich zu sein. Bei Science-Fiction gibt es keinerlei Vorgaben, nichts, was ich recherchieren kann. Deswegen ist meine kreative Freiheit in keinem Genre größer.
Am bekanntesten sind wohl Ihre häufig ekligen Kreationen für die Serie „Hannibal“, in der es um den legendären Kannibalen Hannibal Lecter geht.
Das Wort „eklig“ schmerzt, aber ich weiß, was Sie meinen. Außerdem bin ich ohnehin jemand, der bei dem Thema null Berührungsängste oder Hemmungen hat. Ich habe kantonesische Wurzeln – und dort isst man alles. Und das beherzt! Ich würde mich nicht ekeln bei der Vorstellung, Herz oder Lunge zu essen. Für „Hannibal“ war es allerdings durchaus gewünscht, dass sich im Publikum der eine oder die andere ekelt – schließlich taten wir so, als ging es da um echte, womöglich menschliche Organe.

Gehören Schinken aus einem menschlichen Arm oder Herz-Tatar, die man auch in Ihrem Buch „Feeding Hannibal: A Connoisseur’s Cookbook“ findet, zu den krassesten Schöpfungen, für die Sie je verantwortlich waren?
Ach, da gab es schon noch einige andere. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Szene in der dritten Staffel der Serie „The Boys“, in der einer der Protagonisten einen lebenden Oktopus essen muss. Für die Aufnahmen, in denen das Tier auf dem Teller liegt, hatten wir eine Art Oktopus-Roboter und natürlich Spezialeffekte zur Verfügung. Aber dann musste der Schauspieler sich eben auch etwas in den Mund stecken, das essbar war und trotzdem wirkte wie ein lebendiger Oktopus. Ich habe ewig in meiner Küche herumprobiert und landete im Ausschlussverfahren schließlich bei Mochi, dieser japanischen Süßigkeit aus Klebreisteig. Das war das Einzige, was beweglich, stabil und formbar genug war – und überzeugend nach schlüpfrigen Tentakeln aussah.
Apropos Ihre Küche: Von wo aus genau arbeiten Sie?
Ich wünschte, ich könnte Ihnen von einem perfekt hergerichteten großen Hightech-Labor berichten, in dem ich jeden Tag experimentiere. Aber nein, ich arbeite zu Hause, in meiner ganz normalen kleinen Küche. Ich habe noch nicht einmal eine große Gefriertruhe, nur einen großen Kühlschrank samt Eisfach. Mir reicht das, um so viel wie möglich zu Hause vorzubereiten und am Set dann nur das Nötigste zu machen. Die räumliche Beschränkung hilft mir bei der Fokussierung. Je mehr Platz ich hätte, desto mehr würde ich ihn auch nutzen. Und dann wüsste ich am Ende vermutlich nie, wo ich eigentlich meine Oktopus-Tentakel und wo meine blutigen Herzen gelagert habe.
Wenn Sie als Foodstylistin für alles verantwortlich sind, was Schauspielerinnen und Schauspieler in den Mund nehmen, gilt das dann auch für alles, was aus deren Mündern herauskommt?
Sie meinen: Erbrochenes? Das kommt vor, ist in meinem Arbeitsalltag aber eher nebensächlich. Und auch wirklich kein Hexenwerk. Meistens arbeitet man da mit Haferbrei und, wenn es sein muss, ein paar gröberen Stückchen. Aber es kommt hin und wieder auch vor, dass ich mir Dinge ausdenken muss, die in der fertigen Produktion dann gar nicht als etwas Essbares zu sehen sind.
Ach ja? Was zum Beispiel?
Einmal war ich für eine Serie tätig, in der es um Zeitreisende geht, die in einer Szene ihre Handys in einen See schmeißen mussten, um nicht als solche enttarnt zu werden. Das Problem war, dass wir in einem Naturschutzgebiet drehten und es deswegen nicht in Frage kam, dass tatsächlich Smartphones in dem Gewässer landeten. Also zog man mich zu Rate – und ich entwarf am Ende Telefone aus Zucker, die sich im Wasser schnell und ökologisch auflösten. Nichts, was ich je zuvor gemacht hatte. Aber genau deswegen liebe ich meinen Beruf.