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Garching: Der Radl-Doktor als Integrationshelfer – Landkreis München | ABC-Z

Es dürften schon an die 600 Fahrräder sein, die Werner Fuß in den vergangenen fast zehn Jahren hergerichtet hat. Manchmal ist nur der Schlauch geflickt oder ausgetauscht worden, bei den meisten aber hat es eine Runderneuerung gebraucht. Für die Räder gibt es in Garching dankbare Abnehmer: Erwachsene und Familien mit Kindern, die in der Flüchtlingsunterkunft im Norden der Universitätsstadt leben. Die Containeranlage steht am Echinger Weg, weit ab vom Schuss. Da hilft ein Fahrrad ungemein, um mobil zu sein, in die Schule oder zur Arbeit zu kommen und die Einkäufe heimzubringen.

Seit 2015 kümmert sich Werner Fuß in einer Werkstatt der Flüchtlingsunterkunft mit viel Engagement um die Reparatur kaputter Räder und ertüchtigt alte, damit Geflüchtete diese für kleines Geld erwerben können. 15 bis 20 Euro werden verlangt, ein neues Zahlenschloss, das mit jedem der Fahrräder ausgeliefert wird, kostet drei Euro. „Ohne das geht es nicht“, sagt Fuß, der früher beim Max-Planck-Institut für Quantenoptik gearbeitet hat –  sonst ist die Neuerwerbung bald geklaut.

Um an ausrangierte Räder zu kommen, besucht Fuß regelmäßig den städtischen Wertstoffhof. Die Bediensteten dort arbeiten ihm zu, stellen Fundräder und solche, die von Garchingern gebracht werden, neben dem Metallcontainer auf. „Die heben uns die noch brauchbaren Räder und auch solche auf, die als Ersatzteillager dienen könnten“, sagt der agile 82-Jährige an diesem Vormittag im Garten des Familienhauses, wo er zusammen mit seiner Frau Roswitha im Dachgeschoss wohnt, in den Etagen darunter leben die erwachsenen Kinder und die Enkel.

Die Hauptarbeit an den Rädern findet dort statt – entweder im Grünen oder in dem Holzhäuschen, in dem Werkzeuge und Ersatzteile gelagert werden. Die kleine Werkstatt haben Fuß und seine Familie aus einem Bausatz während der Corona-Pandemie errichtet, wie Tochter Tanja Braun erzählt. „Bei uns im Garten sprießen und gedeihen die Fahrräder.“

Eine kleine Hütte dient dem Garchinger Werner Fuß als Werkstatt und Ersatzteillager. (Foto: Robert Haas)

In der Hütte lagert alles, was der Radl-Doktor für seine Arbeit braucht. Und oben auf dem Dach liegen zahlreiche Drahtkörbe, für die es nach den Worten von Fuß eine rege Nachfrage gibt, „weil die Leute aus der Unterkunft einiges transportieren müssen, Einkäufe und Schultaschen zum Beispiel“. An einer kleinen Mauer im Garten hängt ein Reifen. Die Natur hat ihn schon in Beschlag genommen und grün umrankt. Es sieht ein bisschen nach moderner Gartendeko aus. Fuß lacht und klärt auf: „Nein, nein, der hängt dort nur so lange, bis er gebraucht wird.“

So manches Rad hat das Grün im Garten seines Hauses bereits verschlungen.
So manches Rad hat das Grün im Garten seines Hauses bereits verschlungen. (Foto: Robert Haas)

Hinter dem Haus stehen sechs fertige Räder. Sie sind fahrbereit und voll ausgestattet. „Mein Vater legt sehr viel Wert auf Sicherheit“, sagt Tochter Tanja Braun. Licht, Reflektoren – alles da, alles glänzt. Die Geflüchteten zahlen 20 Euro für ein solches Rad; fünf Euro weniger kostet ein fahrbarer Untersatz ohne Licht: Dann muss der Besitzer halt batteriebetriebene Strahler vorn und hinten anstecken, was ja erlaubt, „aber womöglich teurer ist“, wie Fuß sagt. Sorge bereitet ihm, dass die Geflüchteten seit Einführung der Bezahlkarte über kein Bargeld mehr verfügen: „Da müssen wir improvisieren.“

Von den Einnahmen bezahlt der Radl-Doktor die Ersatzteile. Und von denen braucht es einige. Vor allem, wenn die gespendeten oder am Wertstoffhof geholten Räder arg in die Jahre gekommen sind. Bei manchen kann es passieren, „dass gar nichts mehr geht“. Dann werden sie ausgeschlachtet – manchmal bleibt „bis auf die Klingel“ nichts übrig, sagt der 82-Jährige. Für die findet sich dann bestimmt ein neuer Lenker.

Alles wird gebraucht: Für seine Werkstatt an der Flüchtlingsunterkunft sammelt Werner Fuß Ersatzteile jeder Art.
Alles wird gebraucht: Für seine Werkstatt an der Flüchtlingsunterkunft sammelt Werner Fuß Ersatzteile jeder Art. (Foto: Robert Haas)

Manchmal kommt es auch vor, dass ihm die Leute aus der Stadt ihre alten Räder vor die Tür stellen. Gerade nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, der viele Schutzsuchende nach Garching hat kommen lassen, sei das der Fall gewesen, erzählt die Tochter. Oder es rufen Menschen aus der Nachbarschaft an, die ihr Fahrrad nicht mehr brauchen und spenden wollen. Auch das passiert Werner Fuß immer wieder. Dann macht er sich – natürlich – mit seinem eigenen Rad auf den Weg und holt die Gefährte ab. Ist es nicht gefährlich, in dem Alter auf einem zu fahren und das andere neben sich zu führen? „Nicht wirklich“, sagt der Senior lachend, man müsse nur wissen, wie’s geht. Werner Fuß ist ein geübter Radler.

Jeweils am Freitagnachmittag macht er sich auf seinem Bike auf den Weg zur Unterkunft am Echinger Weg. Dabei hat er meist ein zweites funktionstüchtiges Rad dabei, auf dem Anhänger liegen noch welche für Kinder und viel Werkzeug sowie Ersatzteile. Seit dem vergangenen Jahr wird Werner Fuß von zwei gleichgesinnten Garchingern unterstützt: Robert Krings, 77, und Joachim Paul, 70, warten an diesem Tag bei mehr als 30 Grad schon auf dem großen Platz zwischen den Containern am Echinger Weg, damit das Reparieren losgeht. Der Radl-Doktor und seine zwei Unterstützer kennen sich aus dem örtlichen Repair-Café.

Die Stadt Garching hat Werner Fuß im vergangenen Herbst mit dem Ehrenamtspreis ausgezeichnet – für sein unermüdliches Engagement. Eine Würdigung, die ihn auf der einen Seite natürlich freut, aber auch gar nicht so recht ist, wie seine Tochter Tanja Braun sagt: „Mein Vater steht nicht gern im Mittelpunkt.“ Außer in seiner Werkstatt im heimischen Garten oder eben draußen am Echinger Weg, wenn es etwas zu basteln gibt.

Robert Krings gehört seit dem Sommer 2024 zum Team der Radl-Retter.
Robert Krings gehört seit dem Sommer 2024 zum Team der Radl-Retter. (Foto: Robert Haas)

Die drei Männer stehen an diesem sommerlich-heißen Nachmittag in der gleißenden Sonne auf dem Hof der Garchinger Flüchtlingsunterkunft. Umringt von Buben und Mädchen, die dort zusammen mit ihren Eltern leben, schrauben die drei Ehrenamtlichen unermüdlich an kleinen wie großen Rädern herum und beseitigen den einen oder anderen Platten und Schaden. Was nicht passt, wird passend gemacht.

Cedric Twahirwa aus Ruanda bringt sein Fahrrad und das seiner Frau zur Reparatur zum Freitagstreff am Echinger Weg in Garching.
Cedric Twahirwa aus Ruanda bringt sein Fahrrad und das seiner Frau zur Reparatur zum Freitagstreff am Echinger Weg in Garching. (Foto: Robert Haas)

An einem Kinderrad soll der Sattel höhergestellt werden, wie der aus Syrien geflohene Vater dem 70-Jährigen radebrechend erklärt. Doch die Schraube dreht durch, kann nicht gelockert werden. Zusammen schaffen es der Mann und Paul mit einer Zange, das Ding zu lösen. Schnell wird aus dem Fundus von Schrauben, die in den mitgebrachten Werkzeugkästen lagern, eine passende als Ersatz gefunden. Der Sattel hat nun die richtige Höhe – und schwups wird er befestigt. Der syrische Vater und der Garchinger sind zufrieden.

„Opa, schau mal, hier stimmt etwas nicht“, ruft ein Bub und zeigt Werner Fuß einen Spielzeugtraktor, auf dem man sitzen und herumfahren kann. Das Lenkrad ist locker. Der 82-Jährige dreht das Vehikel um, zerrt am Steuer und erneuert die Schraube. Schon läuft der grüne Bulldog wieder. Den drei älteren Männern ist anzumerken, wie viel Spaß ihnen das Herumwerkeln macht – und wie stolz sie sind, wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner mithelfen beim Reparieren. Sommers wie winters wird unter freiem Himmel geschraubt. Dürften sich Fuß, Krings und Paul etwas wünschen, dann wäre es ein Platz drinnen in der Containeranlage, geschützt vor der stechenden Sonne oder frostigen Temperaturen.

Manchmal darf es auch ein Bobbycar sein: Werner Fuß sorgt auch für die ganz kleinen Bewohner der Flüchtlingsunterkunft vor.
Manchmal darf es auch ein Bobbycar sein: Werner Fuß sorgt auch für die ganz kleinen Bewohner der Flüchtlingsunterkunft vor. (Foto: Robert Haas)

Die Kinder in der Radlwerkstatt mitten auf dem Hof sprechen alle gut Deutsch, übersetzen für ihre Eltern und schauen ganz genau zu, wenn Fuß, Paul und Krings einen Schlauch flicken, einen Sattel tauschen oder die Klingel einstellen. „Die Verständigung klappt gut“, erzählt Fuß und sieht sich sowie seine Mitstreiter nicht nur als Radl-Richter, sondern auch als Integrationshelfer in einer Zeit der zunehmenden „Unwillkommenskultur“, wie er es ausdrückt. Dass sie versuchen, den Kleinen – wenn möglich – ihre Farbwünsche zu erfüllen, sei eine Selbstverständlichkeit, sagt der Garchinger. Manchmal bringen sie auch ein Bobbycar mit für die ganz Kleinen, die noch nicht Fahrrad fahren können.

Die Arbeit geht Werner Fuß und seinen beiden Kollegen nicht aus. Anfang August sollen bis zu 200 Geflüchtete die gerade neu aufgestellten Container am Echinger Weg beziehen. Da dürften wieder zahlreiche Räder gebraucht werden.

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