Schweiz bei der Fußball: EM: Spiel verloren, Herzen erreicht – Sport | ABC-Z

So sahen keine Verliererinnen aus, auch wenn sich nichts mehr drehen und wenden ließ. Auf der Anzeigetafel im Berner Wankdorfstadion stand in unerbittlichen Lettern „Congratulations Spain“ geschrieben, als die Schweizer Nati geschlossen über den Rasen ging und die einzigartige Atmosphäre um sich herum wahrnahm. Kaum ein Zuschauer hatte eine Viertelstunde nach Abpfiff das Stadion verlassen, sie alle applaudierten und jubelten, zweimal teilten Mannschaft und Publikum gemeinsam die Welle. Auch die Spanierinnen warteten noch, sie bildeten auf dem Weg in die Kabine eine Spalier für die Gastgebernation, die im Viertelfinale ausgeschieden ist. Aber einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.
„Es ist das Größte gewesen, was ich in meiner Karriere erlebt habe“, sagte die Kapitänin Lia Wälti, die ihre Mitspielerinnen über den Rasen führte. Die 32-Jährige hatte da schon erkannt, dass es bei aller Trauer über die sportliche Niederlage wichtig war, diesen Abend mit einer ausführlichen Ehrenrunde abzuschließen: „Wir haben uns so etwas nie erträumt, wir wollten das unbedingt noch alles aufsaugen.“
Träumen, das war überhaupt das Motto dieses Viertelfinals gewesen. „Zeit, Berge zu versetzen“, so hatte der Leitspruch gelautet, der auf einem Plakat in der Schweizer Fankurve zu lesen war und davor schon auf dem Fanmarsch, bei dem sich 25 000 Menschen in der Berner Innenstadt versammelt hatten. Im Wissen, dass man das fußballerische Äquivalent zur Eiger Nordwand bezwingen müsste, um die Turnierfavoriten aus Spanien zu schlagen, ging die Schweiz in dieses Spiel. Und verdiente sich zumindest Respekt, bei diesem 0:2.
Mit einem höchst intensivem, aber nicht komplett passivem Ansatz probierte es die Schweiz, der fast in der achten Minute schon gescheitert wäre. Ein unnötiges Foul im Strafraum führte da zum Elfmeter für Spanien, den Mariona Caldentey allerdings am Tor vorbeischob und damit im Sinne des Heimpublikums den Weg ebnete für eine enge Partie. Nur selten fanden die Spanierinnen trotz erdrückendem Ballbesitz kreative Wege zu Chancen, die besten Gelegenheiten ergaben sich aus Standards. Es war eher die Defensive, die bei den Schweizer Kontern glänzte.
Bei der WM unterlag die Schweiz Spanien noch mit 1:5
Bis zur 66. Minute ging das so, bis zu einem Geniestreich der amtierenden Weltfußballerin. Es war Aitana Bonmatís Hacke, die die Schweizer Abwehr überrumpelte und Athenea del Castillos Abschluss, der das 1:0 brachte. Und zu weiterer individueller Genialität inspirierte: Fünf Minuten später klaute Claudia Pina vor dem Strafraum Wälti den Ball und traf schon zum zweiten Mal in diesem Turnier formvollendet mit einem Schuss ins Kreuzeck. „Am Schluss haben wir gegen das weltbeste Team verloren, da muss man den Hut ziehen“, sagte Wälti später. Sportlich hatten die Schweizerinnen nichts mehr entgegenzusetzen, außer einer Parade der Torhüterin Livia Peng, die in der 89. Minute das 3:0 von Alexia Putellas verhinderte. Es war der zweite vergebene Elfmeter des Abends für Spanien, was den Gesamteindruck abrundete, dass der Turnierfavorit weit unter seinen Möglichkeiten geblieben war.
Ein Gradmesser war das Spiel allerdings viel mehr für die Schweiz, die ihre Entwicklung unter Beweis stellte. Vor zwei Jahren, bei der WM in Neuseeland und Australien, waren sie den Spanierinnen im Achtelfinale noch mit 1:5 unterlegen gewesen. Eine Demontage war das damals, aus der sich die Kritik an der Ex-Nationaltrainerin Inka Grings speiste, die später zu ihrer Entlassung führte. Grings allerdings verdient im Nachhinein trotzdem Anerkennung, sie hatte damals schon die Weichen gestellt für eine Entwicklung, auf der nun die erfahrene Schwedin Pia Sundhage aufbauen konnte. „Wir haben Spielerinnen mit viel Potential, die viel frischen Wind in unsere Mannschaft gebracht haben, das war enorm wichtig“, sagte Wälti. Sie meinte unter anderem Sydney Schertenleib und Iman Beney, die beiden 18-Jährigen, denen die Zukunft gehört.
Sundhages großer Verdienst lag darin, ihrer talentierten Mannschaft die Ruhe beizubringen. Die erfahrene Schwedin erhielt ihren eigenen Applaus und wurde von den Anhängern minutenlang mit Sprechchören gefeiert wurde. So glücklich sie über den Zuspruch war, kamen einem dennoch die Schlagzeilen in den Kopf: Vor wenigen Wochen noch waren solche Szenen unvorstellbar.
Lächerlich gemacht wurde die Nati da, auch von ihren landeseigenen Medien, etwa für eine hohe Niederlage gegen eine männliche Jugendmannschaft. Sundhage wurde schon vor dem Turnier für antiquiert und distanziert erklärt, aber vielleicht brauchten die Schweizerinnen auch noch den Trotz als Ansporn, um ihre Geschichte neu zu schreiben. Den Kritikern jedenfalls hat die Nati eine Lehre erteilt. Spätestens nach diesem Turnier steht fest, dass die sportbegeisterte Nation nicht mehr nur eine Nationalmannschaft hat, auf die sie stolz sein kann.
Den gegenseitigen Dank dafür spürte man in Basel, für die vergangenen Wochen, in denen die Gastgeberinnen ihren Beitrag zu einem Turnier geleistet haben, das von allen Seiten gelobt wird. Aitana Bonmatí etwa nutzte die Gelegenheit bei ihrer Pressekonferenz als Spielerin des Spiels, um der Schweiz zu gratulieren: „Das Land und die Menschen hier verschaffen uns einzigartige Erlebnisse, die wir niemals vergessen werden.“
Das galt am Freitagabend insbesondere für Wälti und ihre Mitspielerinnen, die „sehr privilegiert“ waren, ein solches Heimturnier in ihrer Karriere zu erleben. Und inmitten dieser warmen Atmosphäre in Bern kehrte bei den Verliererinnen, die so gar nicht wie Verliererinnen wirkten, eine gewisse Zufriedenheit ein. „Wir haben das Beste draus gemacht“, sagte Wälti: „Und wir haben das größte Ziel erreicht: die Herzen.“