Fliegerhorst Fürstenfeldbruck: Abschied von der Wiege der Luftwaffe – Fürstenfeldbruck | ABC-Z

Scheiden tut weh, heißt es in einem Lied. Davon ist beim Verabschiedungsappell des 124. Offiziersanwärter-Lehrgangs an der Offizierschule der Luftwaffe im Fliegerhorst von Fürstenfeldbruck nichts zu spüren. Obwohl der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Holger Neumann, vor etwa 420 bei strömendem Regen angetretenen Soldatinnen und Soldaten, die ihr Offizierspatent erhalten, von einer historischen Zäsur spricht, herrscht Aufbruchstimmung. Schließlich steht in der Woche nach dem Abschied des Lehrgangs der letzte Teil des Umzugs der Offizierschule an deren neuen Standort in Roth bei Nürnberg an. Damit endet nach fast fünf Jahrzehnten, in denen dort seit 1977 der gesamte Offiziersnachwuchs der Luftwaffe zuerst ausgebildet und dann während seiner Dienstzeit regelmäßig fort- und weitergebildet wurde, eine Ära für die Bundeswehr und die Garnisonsstadt Fürstenfeldbruck.
Eigentlich ist damit auch das Aus des Traditionsstandortes besiegelt, der als Wiege der Luftwaffe der Bundeswehr gilt. In sicherheitspolitischen Krisenzeiten, wie sie zurzeit zu erleben sind, können solche Zäsuren eine gewisse Ambivalenz entwickeln. So steht nach der bisherigen Planung mit dem Abschied der Offizierschule und fast 30 Jahre nach Einstellung des Flugbetriebs in Fürstenfeldbruck der zivilen Umgestaltung der Kaserne nun eigentlich nichts mehr im Weg. Aber kann es sich die Bundeswehr angesichts des Angriffskriegs von Putin gegen die Ukraine, der Debatte über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht und über Unterbringungsmöglichkeiten dringend benötigter zusätzlicher Soldatinnen und Soldaten noch erlauben, einen Standort wie den in Fürstenfeldbruck komplett aufzugeben?
Dieses heikle Thema spricht beim militärischen Zeremoniell mit Fahnenabordnungen, Ehrenzug und Musikkorps, das unter anderem den Fliegermarsch spielt, kein Redner an. Aber das hindert zivile und militärische Gäste nicht daran, über diese Option, die wie ein Elefant im Raum steht, zu spekulieren. Dass solche Überlegungen noch möglich sind, ist dem Umstand geschuldet, dass sich der Umzug nach Roth um etwa ein Jahrzehnt verschob. Wäre alles nach Plan gelaufen, wäre der Fliegerhorst längst abgewickelt.
Ohne störenden Fluglärm gäbe es auch keine Akzeptanzprobleme mehr, die das Miteinander von Landkreisbevölkerung und Bundeswehr lange belasteten. Weshalb sich Andreas Lohde im für Ehrengäste reservierten Bereich vorbehaltlos für einen Teilerhalt der Kaserne ohne Flugbetrieb ausspricht. Dabei kann er sich auf einen entsprechenden Antrag der CSU-Stadtratsfraktion berufen, deren Vorsitzender er ist.
Die Hoffnung von Lohde und anderen, dass der Standort doch noch eine Zukunft haben könnte, lässt den Abschied in einem milderen Licht erscheinen. Wie von der Bundeswehr zu hören ist, habe man sich in Fürstenfeldbruck wohlgefühlt. Nun soll für die Luftwaffe auf einem neuen, 262 Millionen teuren Campus in Mittelfranken etwas Neues beginnen, auf das man sich freut. Es geht um mehr als nur einen Ortswechsel, sondern, wie ebenfalls zu hören ist, um einen Quantensprung, der in neuen Gebäuden neue, an die aktuelle Lage angepasste Lehrinhalte und eine bessere Unterbringung bietet.

Soldaten lernen, Widrigkeiten zu trotzen. So merkt Eike Schneider als Lehrgangsbester in seiner Rede an, es sei zurzeit keine Selbstverständlichkeit, sich für den Soldatenberuf zu entscheiden. Ihm habe der unter Offiziersanwärtern häufig thematisierte Ukrainekrieg gelehrt, wie wichtig sein Beruf sei. Das empfand er als „sinnstiftend“. Schneider zeigt sich zudem dankbar dafür, in Deutschland in Sicherheit und Freiheit zu leben. Und er erinnert daran, dass es sich lohne, diese Werte zu verteidigen und für andere zu erhalten.
Neue Kriegsszenarien für Europa
Auch weitere Absolventen denken wie er. Das bestätigt ein Stabsfeldwebel, der seit mehr als zwei Jahrzehnten an der Offizierschule arbeitet. Der Wandel der Bundeswehr infolge der Bedrohung der Nato durch Russland sei bei den Offiziersanwärtern angekommen, sagt er im Gespräch mit der SZ. Die jungen Soldaten wüssten, dass nach neuen Kriegsszenarien für Europa Angriffe wie in der Ukraine gegen Zivilisten und zivile Einrichtungen wie Krankenhäuser geführt würden. Deshalb sei den Absolventen bewusst, dass Zivilisten von einem Krieg stärker betroffen sein könnten als Soldaten, die gelernt hätten, mit solchen Herausforderungen umzugehen.

Von den Spekulationen, wie sie den in einer Soldatenfamilie aufgewachsenen Lohde umtreiben, bekommt der auf dem Sportplatz im dunkelblauen Dienstanzug angetretene Offiziersnachwuchs nichts mit. Der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Holger Neumann, erinnert an die Serenade im Juli zur Verabschiedung der Offizierschule vor der Klosterkirche. Er würdigt die mit der Verlegung nach Roth verbundene Zäsur als Ende einer Tradition, weshalb er die vor ihn angetretenen Absolventen als „historischen Jahrgang“ bezeichnet, für den nun ein Studium oder die Fachausbildung beginnt. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und auf die regelbasierte Ordnung habe gezeigt, dass Offizier zu sein mehr bedeute, als eine anspruchsvolle Ausbildung zu absolvieren und einen fordernden Beruf auszuüben.

Der Kommandeur der Offizierschule, Brigadegeneral Gero von Fritschen, gibt den jungen Offizieren mit auf den Weg, dass Deutschland auf sie zähle. Führung beginne bei der eigenen Haltung und werde an ihrer Wirkung gemessen. In Fürstenfeldbruck seien die Soldaten nicht nur ausgebildet, sondern auch geprägt worden und hätten gelernt, ein Team zu bilden. Laut dem Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Florian Herrmann (CSU), bombte Putin Deutschland in die Realität zurück. Der Angriff auf die Ukraine habe dessen „Urlaub von der Geschichte“ beendet. Mit ihrer Bereitschaft, das Land zu verteidigen, hätten die zum Appell Angetretenen Haltung gezeigt. Dafür gebühre den Soldatinnen und Soldaten ebenso wie deren Angehörigen Dank und Respekt.

Die Frage der SZ, ob er sich als Soldat, der im Notfall sein Leben für die freiheitliche Gesellschaft einsetzt, wertgeschätzt fühlt, beantwortet ein Absolvent aus den neuen Bundesländern, der nicht namentlich genannt werden möchte, mit einem klaren Ja. „Durch die Bedrohungslage und die Debatten über eine Reaktivierung der Wehrpflicht wird die Bundeswehr wieder Gesprächsthema“, sagt er. Das zwinge besonders die Jugend, sich eine Meinung über die Streitkräfte zu bilden.

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Positiv bewertet er, dass mit zunehmender Bedrohungslage die Gespräche mit Freunden und Familie intensiver würden und daher der Schritt zur Bundeswehr bewusst erfolge. Daraus wachse ein Auftrag, der verbinde und motiviere. Angesprochen auf die Folgen der „Zeitenwende“, meint er, einen neuen Wind in der Luftwaffe zu verspüren. Der Wandel habe nicht primär nur etwas mit Material zu tun, sondern müsse sich auch in Denkprozessen und in der Ausbildung widerspiegeln. Eines aber lehnt der junge Mann strikt ab. Der allgemeinen Kritik an der Bundeswehr, „zu wenig, zu langsam, kaputt, zu schlecht ausgebildet“ zu sein, schließt er sich nicht an.