Südkorea: Linker Oppositionschef Lee Jae Myung siegt bei Präsidentenwahl | ABC-Z

Sieger der Präsidentschaftswahl in Südkorea ist der
Mitte-links-Kandidat Lee Jae Myung. Laut der südkoreanischen Nachrichtenagentur
Yonhap kommt Lee nach Auszählung von mehr als 99 Prozent aller Stimmen auf rund 49 Prozent, sein konservativer Rivale Kim Moon
Soo auf rund 41 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag mit 79,4 Prozent überaus hoch.
Lee bedankte sich bereits bei seinen Wählern für die
“großartige Entscheidung”. Er werde alles daran setzen, “die
große Verantwortung und Aufgabe zu erfüllen”, die ihm anvertraut worden
sei, um die Erwartungen des südkoreanischen Volkes nicht zu enttäuschen, sagte
Lee. Sein Wunsch sei es, die Südkoreaner zu vereinen.
Sein Rivale Kim räumte seine Niederlage ein. Auf einer Pressekonferenz gab er bekannt, dass er Lee bereits zu dessen Wahlsieg gratuliert habe.
Sobald die
Nationale Wahlbehörde die Auszählungen abschließt und das Ergebnis bestätigt,
wird Lee das Amt des Präsidenten antreten – voraussichtlich bereits am
Mittwochmorgen (Ortszeit). Die sonst übliche zweimonatige Übergangsphase
wird es diesmal nicht geben.
Wahl nach Staatskrise
Die vorgezogene Wahl fand statt, nachdem der frühere
konservative Staatschef Yoon Suk
Yeol wegen seiner kurzzeitigen Ausrufung des Kriegsrechts im Dezember vom
Parlament abgesetzt worden war. Seitdem hatten wechselnde Politiker übergangsweise
die Staatsführung übernommen.
Yoons
kurzzeitige Ausrufung des Kriegsrechts Anfang Dezember hatte die südkoreanische
Demokratie schwer erschüttert. Der konservative Staatschef hatte die drastische
Maßnahme angesichts eines Haushaltsstreits ergriffen und unter anderem
damit begründet, dass die linke Opposition angeblich von kommunistischen und
staatsfeindlichen Kräften unterwandert sei. Beweise für diese
Anschuldigungen legte er nicht vor.
Zwar hob Yoon das Kriegsrecht nach wenigen Stunden wieder auf, gleichwohl
stimmte das Parlament für seine Absetzung. Seine Entmachtung wurde dann Anfang
April vom Verfassungsgericht bestätigt. Nun muss er sich wegen
Hochverrats vor Gericht verantworten.
Lee steht für Annäherungskurs gegenüber China und Nordkorea
Der ehemalige Menschenrechtsanwalt Lee steht für einen
Ausbau der erneuerbaren Energien, eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte und
einen außenpolitischen Annäherungskurs gegenüber China und Nordkorea. Von
den heimischen Medien wurde Lee in der Vergangenheit auch als
“südkoreanischer Bernie Sanders” bezeichnet – in Anspielung auf den
langjährigen, linksgerichteten US-Senator.
Lee Jae Myungs Sinn für soziale Gerechtigkeit wird auch auf
eine schwere Jugend zurückgeführt: Er wuchs in Armut auf und musste als
Teenager in Fabriken unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen seinen
Lebensunterhalt bestreiten.
Trotz seiner Beliebtheit im linken Lager ist Lee Jae Myung nicht
unumstritten. So hatte der neue Präsident Südkoreas bis zuletzt mit
rechtlichen Skandalen zu kämpfen. Ein Verfahren wegen Verstößen gegen
das Wahlrecht hätte Lee beinahe seine Präsidentschaftskandidatur
gekostet.
Der 73 Jahre alte Gegenkandidat Kim hingegen forderte einen
harten Kurs gegen Nordkorea und die Stationierung taktischer US-Nuklearwaffen
auf südkoreanischem Boden. Wirtschaftlich versprach er eine Deregulierung für
Unternehmen, hob jedoch auch den Stellenwert von Sozialleistungen für benachteiligte
Gruppen hervor.
Zölle und Wirtschaft beschäftigt Wähler
Der südkoreanische Präsident verfügt über weitreichende
Befugnisse: So leitet er nicht nur die Regierung, sondern ist auch
Oberbefehlshaber des Militärs. Zudem kann er Präsidialverordnungen erlassen,
etwa um die konkrete Umsetzung einzelner Gesetze zu bestimmen. Anders als in
vielen anderen Staaten kann der Präsident in Südkorea sein Amt nur für eine
einzige, fünfjährige Legislaturperiode ausüben.
Neben der politischen Krise hatte das Land zuletzt auch
wirtschaftliche Probleme. Das Bruttoinlandsprodukt sank im ersten Quartal des
Jahres um 0,2 Prozent. Die US-Zollpolitik stellt das exportorientierte Land
womöglich vor weitere Schwierigkeiten.