Rezension des Kinofilms „Fantastic Four: First Steps“ | ABC-Z

Dies ist ein Liebesfilm. Über die Liebe zwischen Mann und Frau, die von Eltern zu ihrem Kind, die einer Heimatlosen zu ihrer Herkunft. Es ist auch ein Marvel-Superheldenfilm. Aber wer sich über die letzten fünfundzwanzig Jahre hinweg, seit mit der ersten „X-Men“-Adaption der anfangs erquickende und dann immer ermüdendere Siegeszug der Marvel-Comics-Ausschlachtung begann, die heute mit all dem auch von anderen Lizenznehmern Produzierten rund fünfzig Filme umfasst (Fernsehserien nicht einmal mit eingerechnet), an Rumsbums-Spektakel mit endlosen Showdowns gewöhnt hat, der wird sich wundern. In „Fantastic Four: First Steps“ geht es ungewohnt ruhig zu, selbst als am Ende der göttergleiche Planetenzerstörer Galactus seinen Weg nach New York und damit in die Heimatstadt der Titelhelden findet.
Wer nun sagt: Fantastic Four im Kino, das hatten wir doch längst, der hat recht. Die erste Verfilmung stammt aus dem Jahr 2005 und sollte eigentlich Bernd Eichinger, den erfolgreichsten deutschen Filmproduzenten, noch erfolgreicher machen. Die Kinorechte an den „Fantastic Four“ hatte er schon zwanzig Jahre früher gekauft, als noch niemand damit rechnete, dass die Produktionen nach Marvel-Comics einmal eine Lizenz zum Gelddrucken bedeuten würden.
Die vier Superman-Filme der Siebziger- und Achtzigerjahre sowie Tim Burtons erster „Batman“-Film von 1989, der erst das ästhetische Potential des Genres aufzeigte, beruhten noch alle auf Figuren der Konkurrenz des DC-Verlags. Marvel-Comics galten ihrer psychologischen Ambivalenz wegen als zu unheroisch fürs Kino. Dabei hatte gerade der innere Zwiespalt der Marvel-Helden deren Kiosk-Erfolg in den Sechzigerjahren begründet. Und „Fantastic Four“ war die erste Heftserie dieses neuen Typs vom Comics: ein Meilenstein. Aber im Kino ein Stolperstein – sowohl beim ersten Versuch 2005 als auch bei zwei weiteren Verfilmungen 2007 und 2015.
Ungewohnte Sensibilität der Helden
Jetzt hat das längst zum Disney-Konzern gehörende Marvel-Filmstudio die Rechte wieder für sich erwerben können, und mit „First Steps“ soll die an den Kinokassen jüngst schwächelnde Ausdehnung des sogenannten „Marvel Cinematic Universe“ (MCU) abermals Fahrt aufnehmen. Dabei setzt man mit Pedro Pascal auf einen Schauspieler, der in der Titelrolle der Streamingserie „The Mandalorian“ zum Publikumsliebling wurde, ohne auch nur einmal sein Gesicht gezeigt zu haben (was er dann als Hauptdarsteller in Ridley Scotts „Gladiator II“ vor einem Jahr überreichlich nachholte). Als Richard Reed alias Mr. Fantastic, Kopf der Superheldengruppe Fantastic Four, bringt er nun einen Dreitagebart in die traditionell in den Comics glattrasierte Herrenriege – das Vorbild von Robert Downey Jr., als „Iron Man“ die prägende Figur der ersten Phasen des MCU, lässt grüßen.

Ungewohnt ist auch Reeds Sensibilität als Vater eines ungeborenen Babys namens Franklin, das er mit seinem Ensemblemitglied Sue Storm alias The Invisible Girl (gespielt von Vanessa Kirby) gezeugt hat. Die verbleibenden beiden aus dem Helden-Quartett, Sues jüngerer Bruder Johnny alias The Human Torch (Joseph Quinn), und Ben Grimm alias The Thing (Ebon Moss-Bachrach), wollen den werdenden Eltern an Kinderfreundlichkeit nicht nachstehen und freuen sich schon auf ihre Rollen als „beste Onkel der Welt“.
Der unverhoffte (und genreuntypische) Familienzuwachs spielt sich ab in einer Boomerwelt der Sechzigerjahre, äußerst liebevoll rekonstruiert bis hin zur Filmmusik von Michael Giacchino. Dafür ist Matt Shakman genau der richtige Regisseur: Auch wenn er sich bislang nur im Fernsehen Meriten erworben hatte, war darunter die zauberhafte Marvel-Serie „WandaVision“ von 2021, bei dem das Familienleben einer Superheldensippe im Stil einer Sitcom inszeniert wurde – empfindlich gestört durch den Einbruch böser Mächte.
Der Silver Surfer wird zur Frau
Selbstverständlich ist auch dem Glück des Fantastic-Four-Liebespaars keine Dauer vergönnt. Alsbald kündigt der Herold des Weltenverschlingers Galactus den Erdbewohnern den alsbaldigen Verzehr ihres Planeten durch den unersättlichen Allgewaltigen an, und so setzt man in „Fantastic Four: First Steps“ schon nach fünfzehn Kinominuten ins Bild, womit die Comiclegenden Stan Lee und Jack Kirby sich in der Heftserie sechs Jahre Zeit ließen: den Auftritt der tragischsten aller Nebenfiguren der Populärkultur, des Silver Surfers, ebenjenes Herolds, der im Film zu einer Frau mutiert, auf dass der nun auch innerlich entflammte Johnny in einen Gefühlszwiespalt gerät, der der Filmhandlung ein doppelt heroisches Ende bescheren wird.

Vorher aber kommt Sue Storm im Weltall nieder, lässt sich auch das felsspaltenzerfurchte Gesicht von Ben Grimm einen Bart stehen, tritt ein derart niedlicher Roboter namens Herbert auf, dass Pixars Wall-E in Vergessenheit gerät, und wird ein Gewissenskonflikt zwischen Kernfamiliendenken und Menschheitsrücksichtnahme auf den schmächtigen Schultern des neugeborenen Franklin ausgetragen. Das Ganze aber mit einer erzählerischen Ruhe und Selbstironie, die man vom hyperpathetisierten MCU niemals erwartet hätte – wobei abzuwarten sein wird, wie die sechzig Jahre zurückliegende Handlung in die bereits angekündigten neuen „Avengers“-Filme münden wird. Aber auch in „First Steps“ werden dem eher kleinteilig klingenden Titel zum Trotz schon insgesamt neun Jahre Handlungszeit überbrückt.
Und ist das Ganze jetzt bloß ein Aufgalopp? Keineswegs, es ist der charmanteste aller bisherigen Marvel-Filme, ein Genre-Ausreißer, wie es vor einem ganzen Jahrzehnt auch die Komödie „Ant-Man“ war, die bislang letzte positive Überraschung im Superheldentrubelkino. Obwohl die Verleihfirma wie üblich darum bittet, nichts vom Finale der Geschichte zu verraten, mag das allerletzte Kinobild von „Fantastic Four: First Steps“ zitiert sein. Es blendet nach dem Abspann einen Satz von Jack Kirby ein, dem schon 1994 gestorbenen Zeichner fast aller Marvel-Helden: „Wer meine Figuren sieht, findet in ihnen ein Stück von mir.“ In seinen Fantastic Four steckt das schönste. Nun auch im Kino. Dies ist ein Lieblingsfilm.