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Was Umhängetaschen über Pilger aussagen | ABC-Z

Wenn reiche Saudis ins Ausland reisen, dann meist mit ganz großem Gepäck. Alles kommt mit in den exquisiten Koffern und Trolleys: Kleidung, Status, Überfluss. Wenn bloß das Kofferschleppen nicht wäre! Man kann leicht den Status verlieren, wenn man den halben Hausstand durch die Flughäfen der Welt bugsiert.

Die Gepäckfrage stand vor rund sechs Jahren auch am Anfang der Überlegungen, wie sich das Land selbst dem Tourismus öffnen sollte. „Ursprünglich wollten wir zum elektronischen Visum einen Gepäckservice vor dem Abflug anbieten“, berichtete dazu vor einiger Zeit eine saudische Prinzessin bei einer Veranstaltung – und musste gleich über sich selbst lachen. „Das war natürlich ein bisschen zu kurz gegriffen. Wir wollen ja jeden Besucher ansprechen, nicht nur Mitglieder von Königshäusern.“

Der Plan scheint aufzugehen. Rund 27 Millionen ausländische Gäste reisten im Jahr 2023 nach Saudi-Arabien, elf Millionen mehr als im Vorjahr, und 2024 waren es noch einmal mehr. 13 Millionen von ihnen kamen 2023 allerdings nicht als Touristen, sondern um die heiligen Stätten in Mekka und Medina zu besuchen. Jedem Muslim ist es geboten, mindestens einmal im Leben diese Pilgerreise zu unternehmen, sei es auf der Hadsch, der großen kollektiven Pilgerfahrt, sei es auf der Umra, die jeder Gläubige das ganze Jahr über auch einzeln unternehmen kann.

Reisen mit wenig Gepäck

Und nun waren auf einmal auch wir, obwohl wir keine Muslime sind, in Medina. Leicht war unser Gepäck, ganz leicht. Genau 9,3 Kilogramm wog der Rollkoffer, den wir vor dem Abflug nach Dschidda auf die Förderbandwaage stellten. Geradezu unsaudisch wenig. Es wurde noch weniger. Für den zweitägigen Ausflug nach Medina nahmen wir nur einen Rucksack mit. Selbst den ließen wir im Hotelzimmer stehen, denn um die alte Oasenstadt anzusehen, braucht man eigentlich nur eine Wasserflasche.

Auch nicht-Muslime dürfen inzwischen nach Medina reisen.Christoph Moeskes

Sie gluckste fröhlich in der Umhängetasche, als wir durch die neue Fußgängerzone zur Quba’-Moschee liefen. Halb gefüllt war sie, als wir mit einem Sightseeing-Bus zum Berg Uhud fuhren. Als wir uns endlich auf eine Betonbank vor dem Vorplatz der Prophetenmoschee setzten, war sie auch schon ausgetrunken. Dieses Gelände dürfen nur Muslime betreten, es ist das heiligste in Medina. Hier fand der Prophet Mohammed im Jahr 632 seine letzte Ruhestätte.

Tauben flogen auf. Die Sonne brannte. Wir saßen auf der Betonbank und staunten. Ein unablässiger Strom von Menschen ergoss sich aus der Prophetenmoschee: usbekische Pilger, die mit Tarakkana Travel, Sta Travel oder Salaam Travel die Umra unternahmen, indonesische Pilgergruppen aus der Provinz Aceh, britische Wallfahrer, indische Muslime, die Al Rahman aus Bhopal zu den heiligen Stätten führte.

Umhängetaschen zeigen die Gruppenzugehörigkeit

Woher wir das so genau wussten? Es stand auf den Taschen, mit denen die Reiseveranstalter die Pilgergruppen ausgestattet hatten. So gut wie jeder, der aus der Prophetenmoschee kam, hatte sie, nylonstark und reißfest, um die Schulter gehängt, auch die leicht verschleierten Türkinnen von Felah Turizm und die etwas stärker verschleierten Algerierinnen von Yakoub Voyage, die Usbekinnen von Elite Tour sowieso. Dazu trug das Pilgerkollektiv grüne Leibchen.

Der Strom riss nicht ab. Es war ein ganzes Fußballstadion, das sich nach und nach auf den Vorplatz vor dem Vorplatz ergoss. Wenn man dachte, nun sei er endlich abgeebbt, kamen schon die nächsten Pilger, Kirgisen, Marokkaner, Malaysier – in Umlauf gebracht von einem Tourismus, von dem wir uns sonst kein Bild machen und der trotzdem stattfindet, jeden Tag, rund um die Uhr. Ganz billig ist diese Art des Massentourismus freilich nicht. Auch in den Reisebüros von Bhopal und Banda Aceh kostet die ein- bis zweiwöchige geführte Pilgerreise ein paar tausend Euro – ein eindeutiges Zeichen dafür, dass der Mittelstand im Globalen Süden wächst.

Wie ein Ausweis: In Medina weiß man schon anhand der Taschen, woher die Pilger kommen. So erkennen sich die Reisegruppen auch untereinander.
Wie ein Ausweis: In Medina weiß man schon anhand der Taschen, woher die Pilger kommen. So erkennen sich die Reisegruppen auch untereinander.Christoph Moeskes

Wir haben selten einen Ort erlebt, der trotz des enormen Andrangs so friedvoll war. Leicht wird einem ums Herz, wenn man in Medina auf einer Betonbank sitzt und die Pilger in Seelenruhe an einem vorbeiströmen, ganz leicht. Niemand sprach ein Wort. Höchstens versuchte man, Kontakt zur Gruppe zu halten, was durch den Aufdruck des Reiseveranstalters auf der Pilgertasche praktischerweise nicht schwer war.

Was ist drin in solch einer Pilgertasche? Das haben wir uns an diesem Tag in Medina nicht zu fragen getraut. Ein paar Wochen später holten wir es nach, in einem auf Pilgerreisen spezialisierten türkischen Reisebüro in Berlin-Neukölln. Ein Koran sei darin, sagte der freundliche Mann dort und rollte den Stuhl weg vom Computer, sodass wir uns besser sehen konnten. Dazu ein Miswak, eine hölzerne Zahnbürste, die aus den Zweigen des gleichnamigen Baums gebrochen ist. Ihr wird eine antibakterielle Wirkung nachgesagt.

Überhaupt sei Reinheit sehr wichtig, sagte der Reisebüroexperte weiter. Der Pilgerreisende müsse im Zustand des Ihram sein, das heißt: kein Geschlechtsverkehr, Rasieren, Nägelschneiden und Parfum. Sich zu waschen ist erlaubt, Brillen, Ringe und Uhren zu tragen ebenso. Ihram heißen auch die beiden Baumwolltücher, die manche männliche Pilger tragen, um ihre Reinheit und Bescheidenheit vor Gott zu bezeugen. So könne man auch nicht unterscheiden, ob jemand reich oder arm sei.

„Sagen Sie, Sie waren wirklich in Medina?“ – „Waren wir.“ – „Und Sie sind kein Muslim?“ – „Nein, Medina ist neuerdings auch für Nicht-Muslime zugänglich, Mekka ist aber weiterhin verboten.“ Der Mann machte eine Pause, es hatte den Eindruck, als würde er gleich fragen, ob wir denn Muslime werden wollten. Doch dann brach der Touristiker in ihm durch, und er fragte: „Und, wie war es?“ – „Gut, sehr gut sogar. Auch wir waren mit leichtem Gepäck unterwegs.“

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