Wie Bilder den Staat beschleunigen | ABC-Z

Stephan Breidenbach hat ein Problem. Seinen Studenten einfach zu erklären, wie ein Gesetz funktioniert. Vor gut 20 Jahren findet der Jura-Professor eine überraschende Antwort: mit einem Bild. Heute kann seine Idee der Bundesregierung bei einer Aufgabe helfen, die gemeinhin als besonders schwierig gilt: Bürokratie abbauen, schneller werden. Und bessere Gesetze schreiben. Die jüngst vorgelegte Modernisierungsagenda jedenfalls setzt darauf.
Breidenbach zerlegt ein Gesetz in kleine Entscheidungsschritte, die aufeinander aufbauen. Jede Entscheidung bekommt ein Kästchen, verbunden sind sie mit Linien. Das Ergebnis ist eine Art Baum, bei dem auf der einen Seite die große Frage steht, etwa: Kann der Bau der Windanlage genehmigt werden? Auf der anderen finden sich sehr kleinteilig Detailfragen: Sind bedrohte Tiere betroffen?
Bürokratieabbau: Start-Up verspricht Beschleunigung – mit einem einfachen Kniff
So wird aus dem Gesetz für einen Bauantrag ein Entscheidungsplan, im Englischen Rulemap (etwa Gesetzeskarte). Sie zeigt, wie ein Jurist vorgeht: Erst die kleinen Fragen prüfen, denn wenn seltene Tiere bedroht, sind, wird das Windrad garantiert nicht genehmigt, dann die größeren. Bis hierher hilft die Idee vor allem Jurastudenten. Jetzt kommt Software dazu: Sie kann entlang des Entscheidungsbaums deutlich schneller prüfen als der Mensch. Das beschleunigt Bürokratie, ohne die Gesetze ändern zu müssen.
„Es geht darum, die juristische Entscheidung zu automatisieren. Keiner unserer Konkurrenten weltweit ist derart präzise wie wir“, sagt Till Behnke, Mitgründer und Chef der Berliner Rulemapping Group, die Breidenbachs Idee vermarktet. Die Entscheidungsbäume lassen sich maschinenlesbar speichern. Hinterlegt sind alle Abhängigkeiten, alle Verknüpfungen, alle Bedingungen, auch Listen wie die der bedrohten Tiere.
Die Gesetzesbeschleuniger: Dirk Woywod (von links), Tilo Wend, Ina Remmers, Matthes Scheinhardt, Till Behnke und Stephan Breidenbach sind die Gründer von The Rulemapping Group.
© SprinD | PR
Bürokratieabbau: Handlungsempfehlungen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz
Die Software liefert als Prüfergebnis eine Karte, in der jede Einzelentscheidung mit „erfüllt“ oder „nicht erfüllt“ markiert ist nebst Erklärungen, warum. Und es gibt eine Empfehlung für die zentrale Entscheidung. Dafür nutzt die Firma auch Künstliche Intelligenz. „Wir setzen sie als Helfer ein, um alle Einzelfragen in einer Rulemap durchzugehen“, sagt Behnke. „Da kann sie nicht halluzinieren und liefert schnell präzise Antworten.“ Und Tempo ist wichtig.
„Die Automatisierung verkürzt eine Genehmigung für Windräder zum Beispiel von vier Jahren auf vier Monate“, sagt Behnke. „Das entlastet die Behörden.“ Thüringen hat das Unternehmen gerade beauftragt, die Baugenehmigungen zu beschleunigen. Pilotprojekte für Richterassistenzsysteme laufen bereits in mehreren Bundesländern.
Bürokratie: Rulemapping kam bereits beim Dieselskandal zum Einsatz
Die Technologie ist bereits seit 15 Jahren im Einsatz und markterprobt, unter anderem im VW-Dieselskandal. Große Kanzleien prüften damit, wie groß die Chancen Einzelklagen auf Erfolg sind, optimierten damit, welche Angaben des Klägers wichtig sind. Später nutzten auch die Anwälte der beklagten Konzerne das Produkt, um die Verfahren abzukürzen. Zum Schluss stiegen auch VW und Mercedes ein, um schnell abschätzen zu können, was sie die Verfahren kosten werden.
Entsprechend sieht Behnke auch nicht nur den Staat als Kunden. „Im Idealfall nutzen Firmen und Behörden dieselben Programme. Dann kann das Unternehmen zum Beispiel einen Bauantrag optimal ausfüllen und weiß vorher, ob er genehmigt werden kann. Die Behörde wiederum kann schnell prüfen“, sagt er. „Wenn beispielsweise ein großer Konzern 500 Millionen Euro in ein neues Werk investieren will, will er wissen, ob der Antrag durchgeht.“
Werden bald alle Gesetze in Entscheidungsbäume umgewandelt?
Behnke will alle Gesetze in Entscheidungsbäume umwandeln. Und auch der Bund hat Interesse und entsprechende Aufträge vergeben. „Es ist jetzt möglich, das komplette Steuerrecht und das Sozialrecht per Rulemap wieder greifbar zu machen“, sagt der Firmen-Chef. „Aufgrund der Kompliziertheit der Gesetze sind sie momentan nicht komplett zu beherrschen.“
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Seine Vision: „Künftig liegen alle Gesetze maschinenlesbar in einem standardisierten Format in einer öffentlichen Gesetzesbibliothek. Sie lassen sich dann einfach updaten. Und jeder, der sie nutzt, hat automatisch die aktuelle Version.“ Bei dem Update würden einfach die entsprechenden Entscheidungsfelder verändert oder neue hinzugefügt.
Folgen einer Gesetzesänderung lassen sich simulieren
Die KI hilft Behnkes Team auch hier. Bestehende sehr umfangreiche Gesetze lassen sich mit ihr in Entscheidungsbäume umwandeln. Die Juristen, die bisher Rulemaps erstellen, stoßen da an Grenzen. Grundsätzlich gilt: Je dicker das Gesetz, desto umfangreicher der Entscheidungsbaum. Die Software kann die Gesetze dann auch nach Widersprüchen und Überflüssigem durchsuchen und Vorschläge für schlankere Gesetze machen. Hier läuft ein Projekt mit der Technischen Universität München.
Und noch mehr ist möglich. „Die Folgen einer Gesetzesänderung lassen sich simulieren. Etwa, was eine Anpassung des Steuergesetzes für eine Alleinerziehende mit zwei Kindern bedeutet“, sagt Behnke. Und der Traum vieler Politiker ließe sich verwirklichen: „Gesetzentwürfe lassen sich theoretisch per Knopfdruck aus einem Politikpapier erstellen. Bisher dauert es drei bis sechs Monate.“
Tempo machen will der Bund auch an anderer Stelle und auch hier ist die Rulemapping Group dabei. „Wer in Deutschland ein Unternehmen gründen will, braucht Zeit und muss sehr viel beachten. Der Entscheidungsbaum hat mehr als 25.000 Knoten“ sagt Behnke. „Wir arbeiten gerade daran, die Firmengründung in 24 Stunden möglich zu machen. Unser System geht das schneller an, als es ein Mensch kann.“

















