Tennisprofi Tatjana Maria nach ihrem Titel in London: Queen of Queen’s – Sport | ABC-Z

Wenn Tatjana Maria Tennis spielt, steht ein Buggy neben dem Platz. An das sanfte Ploppen der Bälle sind ihre Töchter gewöhnt, hat sie den staunenden britischen Reportern dieser Tage erzählt: Die Jüngste schläft bei den Matches manchmal sogar durch. Es hat sich einiges grundlegend verändert, seit Profitennisspielerinnen letztmals, 1973, im Londoner Queen’s Club ein WTA-Turnier bestritten hatten und die damalige Siegerin in öffentliche Verkehrsmitteln stieg, um im Finale aufzuschlagen. Tennis ist zu einem hochprofessionellen, sogar familienkompatiblen modernen Sportbusiness geworden. Und das Schöne ist, dass noch immer diejenige gewinnt, die auf dem kurzgeschorenen Grün in West Kensington das beste Rasentennis spielt.
Es wäre verwegen zu behaupten, dass Tatjana Maria, 37 Jahre alt, Mutter einer vierjährigen und einer elfjährigen Tochter, vor Turnierbeginn zu den Favoritinnen des neu belebten Frauen-Wettbewerbs zählte. Nun ist sie zur „Queen of Queen’s“ aufgestiegen, zur älteste Turniersiegerin der WTA-Tour seit Serena Williams, weil sie ihr rar gewordenes Repertoire und den Schatz ihrer jahrelangen Erfahrung nutzte, um eine Weltklassespielerin nach der anderen aus dem Feld zu schlagen. Sie hat einen funkelnagelneuen Pokal in Empfang genommen (die alte Trophäe, die Olga Morosowa vor 52 Jahren gewann, ist verschollen). Und sie hat nebenbei den Briten Stoff für eine Geschichte geliefert, die „als ein Glanzpunkt der Saison in Erinnerung bleiben wird, wenn sich der Tennissommer gen Ende neigt“, wie The Times in angemessener Würdigung des Ereignisses schrieb.
:“Ich bin sicher: Da kommt noch mehr von Tatjana”
Charles-Edouard Maria ist der Trainer und Gatte von Wimbledon-Halbfinalistin Tatjana. Ein Gespräch über das Familienleben mit zwei Kindern auf der Tour, Liebe auf den ersten Blick – und die Zukunft ihrer älteren Tochter.
Denn Tatjana Maria, die in Bad Saulgau aufwuchs und mit der Familie in Florida lebt, hatte zwei Monate lang kein Tennismatch mehr gewonnen, ehe sie nach London kam. Neun Niederlagen in Serie standen zu Buche; aus Stuttgart, Madrid, Rom, Straßburg, Paris und Birmingham musste sie mit Mann und Kindern schon jeweils nach dem Auftakteinzel abreisen. In der Weltrangliste war sie auf Rang 68 platziert, so weit hinten, dass sie im Queen’s Club zunächst die Qualifikation überstehen musste, um im Hauptfeld antreten zu dürfen.
Dann besiegte sie vier Spielerinnen aus den Top-15 der Welt: die Grand-Slam-Siegerinnen Karolina Muchova, Jelena Rybakina sowie Madison Keys, die im Januar in Melbourne triumphiert hatte. Im Finale ließ sie dann Amanda Anisimova aus den USA beim 6:3, 6:4-Sieg keine Chance. „Das bedeute mir sehr viel“, sagte Maria über die fabelhafte Sieben-Siege-Serie. „In der Vergangenheit haben Leute oft gesagt: Oh, vielleicht wird’s Zeit, du bist zu alt. Tatsächlich bin ich ein Beispiel dafür, dass man auch in meinem Alter große Pokale gewinnen kann.“ Cleverness und technische Raffinesse im Umgang mit dem Racket vorausgesetzt.
Der Slice in allerlei Ausprägungen ist die Spezialität von Tatjana Maria, schwierig zu spielen für Powertennis-Spielerinnen
Tatjana Maria hat ihre Gegnerinnen entnervt, deren Taktik zerlegt mit ihrem unkonventionellen Spiel, einem Slice: also unterschnittenen Bällen mit hohem Drall, die sie sowohl mit der Rückhand als auch – eine Seltenheit im Tennis – mit der Vorhand übers Netz sensen kann. Es ist ihr Markenzeichen, sie kann diesen Slice kurz, lang, als Stopp, als Lob, zur Verteidigung und zum Angriff spielen. Und sie hat sich mit dieser Variante schon 2022 bis in das Halbfinale von Wimbledon geschnibbelt.
„Tatjana ist immer tricky zu spielen“, sagt Bundestrainer Torben Beltz. Denn in einer Ära, in der Spielerinnen wie Rybakina oder Keys auf hartes, schnelles Powertennis vertrauen, bringt der Slice die Rivalinnen aus dem Tritt, weil die Bälle auf dem Rasen noch flacher als ohnehin schon abspringen. „Das ist nicht gerade alltäglich“, gab Anisimova am Finalsonntag zu verstehen.

Sie hätte gewarnt sein können. Denn Tatjana Maria, die von ihrem Mann Charles Edouard Maria trainiert wird, hatte auf diese Art schon drei Titel auf der WTA-Tour gewonnen: 2018 beim Rasenturnier auf Mallorca sowie 2022 und 2023 auf dem Sand in Bogota. „Das ist immer mein Stil“, sagte sie in London. „Aber auf Rasen funktioniert das für mich perfekt, weil ja keiner sonst so spielt.“ Die Sterne müssen wie generell bei jedem Triumph günstig stehen, und für Maria stehen sie offenbar besonders günstig im Sternzeichen Zwilling oder Krebs, wenn auf den Courts der Rasen sprießt.
In knapp zwei Wochen beginnt das Wimbledon-Turnier, und die „Queen of Queen’s“ wird mehr denn je im Fokus stehen, wenn sie mit der Familie erscheint und den Buggy zum Trainingsplatz schiebt. Denn sie beweist Woche für Woche, dass man sich im harten Profigeschäft auch mit variablem Spiel und individuellem Lebensstil durchsetzen kann. „Wir reisen immer alle zusammen“, hat Tatjana Maria dem Londoner Publikum am Sonntag bei der Siegerehrung erläutert, als ihr Ehemann, die beiden Töchtern sowie der Fitnesstrainer neben ihr standen. „Wir haben den Pokal alle gewonnen, weil wir alles immer als Familie gemeinsam machen. Deshalb ist es so schön, dass wir das auch gemeinsam erleben.“
Das Familienunternehmen Maria basiert auf einer erprobten Logistik. Tochter Charlotte, 11, begleitet die Eltern rund um den Globus, seit sie krabbeln kann und wird schulisch privat unterrichtet. Inzwischen ist sie selbst eine vielversprechende Tennisjuniorin, die angefangen hat, Turniere zu spielen und mit einem eigenen Trainer arbeitet. „Sie wächst bei den besten Spielerinnen auf“, erzählte Tatjana Maria kürzlich lachend – da hatte die Tochter in Stuttgart gerade zum Spaß ein paar Bälle mit der Weltranglistenersten Aryna Sabalenka geschlagen.
Wenn möglich, will die Familie das Tour-Leben noch ein paar Jahre fortführen, und vielleicht, sagte Tatjana Maria, könnte sie eines Tages mit der Tochter ein Doppel spielen. Gegeneinander sicherlich nicht – „das wäre zu hart“. Wichtig ist ihr, dass die Tochter Freude am Tennis hat. Varianten wie den Slice wird sie sich abschauen, denn für die Queen of Queen’s ist das der Krönungsschlag.