Max Verstappen zu Mercedes? F1 vor Rennen in Silverstone in Aufruhr | ABC-Z

Gerade aufgestanden und schon Zoff? Morgens früh um kurz nach sieben biegen zwei Männer um die fünfzig streitend in die Brackley Road ein. Sie kommen von einem der Campingplätze getrottet, von denen es in der Gegend um Silverstone ein gutes Dutzend gibt. Nun wollen sie zum Einlass. Die Männer haben ihr Ornat angelegt: die kurzen Hosen, die Kurzarmhemden und die Fischerhüte auf den Köpfen – alles gehalten in den Farben ihres Lieblingsrennstalls Red Bull Racing.
Und wenngleich der Anreiseverkehr das Streitgespräch der Männer übertönt, scheint vor dem britischen Grand Prix an diesem Sonntag (16.00 Uhr MESZ im F.A.Z.-Liveticker zur Formel 1 und bei Sky) schnell erraten, was die beiden schon in Herrgottsfrühe aufwühlt.
Seit dem vergangenen Mittwoch ist die gesamte Branche in Aufruhr. Ist es wahr? Der Deal besiegelt? Verlässt Max Verstappen das Red-Bull-Team und wechselt im kommenden Jahr zu Mercedes? Dass die Führung des Silberpfeil-Teams mit dem viermaligen Weltmeister über ein Engagement spricht, plauderte Mercedes-Pilot George Russell – bestimmt nicht zufällig – am vergangenen Wochenende beim Großen Preis von Österreich aus.
Nun berichtete der italienische Sender Sky aus Mailand, Verstappen und Toto Wolff, Rennleiter, Geschäftsführer und zu einem Drittel Mitbesitzer des Mercedes-Teams, seien handelseinig. Nur die Konzernspitze in Stuttgart müsse dem angeblich 100 Millionen Euro schweren Transfer noch zustimmen. Eine Räuberpistole alla milanese?
Verstappen hält sich bedeckt
Das niederländische Blatt „De Telegraaf“, das über einen direkten Draht ins Lager des viermaligen Weltmeisters verfügt und als Sprachrohr des Verstappen-Clans gilt, widerspricht den Italienern. Es gebe keine Einigung: „So weit ist es noch lange nicht“, schrieb „De Telegraaf“ am Donnerstag.
Dass hinter den Kulissen sondiert wird, ist derweil kein Geheimnis mehr. Von Russell in die Bredouille gebracht, gab Toto Wolff entsprechende Gespräche mit Verstappens Seite zu. Der aber wollte in Silverstone nicht einmal das bestätigen. „Ist an dieser Geschichte, dass Ihre Vertreter mit Toto gesprochen haben, etwas Wahres dran?“, wurde der Weltmeister am Donnerstag gefragt.
Er schluckte kurz. Überlegte. Wiederholte die Frage: „Ob da etwas Wahres dran ist?“ Es gebe nichts zu sagen, was er nicht schon gesagt habe, antwortete Verstappen schließlich. Später ergänzte er, dass er noch nicht ans nächste Jahr denke, sein Vertrag bei Red Bull außerdem noch lange gelte (bis Ende 2028).
Der allerdings soll ein Schlupfloch enthalten, eine Klausel, wonach Verstappen den Red Bull verlassen darf, sollte er in der Weltmeisterschaft bis zur bald beginnenden Sommerpause außerhalb der Top Drei notiert sein. Derzeit ist Verstappen noch Dritter, liegt bei drei Grands Prix und einem Sprintrennen bis zum Stichtag neun Punkte vor Russell. Dessen eigene Zukunft in der Formel 1 gilt als eng verknüpft mit dem Ausgang des Verstappen-Pokers. Weder er noch der junge Kollege Kimi Antonelli – beide entstammen der Mercedes-Pilotenakademie – verfügen über einen gültigen Formel-1-Vertrag für das nächste Jahr.
Katapultiert die Regelreform Mercedes nach vorn?
Während der Sommerferien, ließ Wolff wissen, wolle er über die künftige Fahrerpaarung entscheiden. Dass er versuchen muss, Verstappen zu locken, den Besten der Besten, leuchtet ein. McLaren-Boss Zak Brown nannte die Vorstellung von Verstappen am Steuer eines Silberpfeils „beängstigend“. Er wähnt Wolffs Mannschaft auf dem Sprung. Verstappen bei Mercedes, das hieße außerdem: Verstappen nicht mehr bei Red Bull. Teamchef Christian Horner, seit vielen Jahren Toto Wolffs Lieblingsfeind, stünde vor dem Nichts.
Wie plausibel ein Wechsel zu Mercedes für Verstappen schon im kommenden Jahr erscheint, darüber gehen die Meinungen im Fahrerlager auseinander. Seit Monaten geht das Geflüster, Mercedes werde 2026, wenn neue Motorenregeln gelten, die mächtigsten Triebwerke stellen. So lief es schon, als die Silbernen 2014 mit Beginn der Hybrid-Ära zum Dauersieger aufstiegen. Angesichts des voranschreitenden Niedergangs von Red Bull Racing, der 2024 auf wie neben der Rennstrecke begann, fällt es leicht, in Mercedes ein naheliegendes Ziel für Verstappen zu erkennen.
Zumal Red Bull seine Rennwagentriebwerke des kommenden Jahres erstmals in Eigenregie herstellt. Das sei eine „enorme Herausforderung“, sagte Christian Horner am Freitagnachmittag in Silverstone und fügte hinzu, dass es für Mercedes und alle anderen Motorenhersteller „peinlich“ wäre, sollten sie im kommenden Jahr langsamer sein als die Bullen. Dass Horner die Erwartungen vorsorglich herunterschraubt, erscheint nachvollziehbar.
In dieser Branche des Tarnens und Täuschens überrascht es jedoch auch nicht, sollte Mercedes die Gerüchte um den starken Motor selbst befeuern. Den meisten gelten die künftigen Kräfteverhältnisse der Formel 1 als unvorhersehbar. Die neuen Autos werden im Winter an den ersten fünf Tagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit getestet. Das illustriert, wie sehr die Teams eine Blamage fürchten. Ein Wechsel ins Ungewisse könnte zum Fehltritt werden. Das gilt auch für den Ausnahmekönner.