Union und AfD: Das Leben nach der Brandmauer | ABC-Z

Eigentlich hatten sich viele in der CDU in dieser Woche auf ein paar ruhige Tage eingestellt: Der Koalitionsvertrag ist ausgehandelt, die SPD-Basis muss darüber nun abstimmen, Ende April auch die CDU. Diese sensible Phase wollte man mit pfeffrigen Thesen lieber nicht stören – sondern sich die Entspannung gönnen, die es nach Wochen des Wahlkampfs und der Verhandlungen braucht. Aber die Ruhe kurz vor Ostern wird schon seit einigen Tagen gestört – von einer Debatte, die Jens Spahn angestoßen hat. Er schlug am Wochenende vor, die AfD bei parlamentarischen Abläufen künftig genau so zu behandeln wie jede andere Partei in der Opposition.
Spahns Aussagen sind kein Irrläufer. Sondern Ausdruck einer Grundsatzdiskussion, die in der Union schon länger geführt wird. Es geht dabei um nicht weniger als den Sinn der sogenannten Brandmauer zur AfD.
Nach Informationen von ZEIT ONLINE wird in Teilen der Union seit längerem über eine Strategie diskutiert, den Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der AfD perspektivisch aufzugeben und durch etwas anderes zu ersetzen. Die neue Strategie bestünde darin, eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht mehr auf ewig auszuschließen. Sondern der Partei konkrete Bedingungen zu stellen. Wenn diese Bedingungen erfüllt wären, so die Idee, dann solle eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit denkbar sein. Aber nur dann.
“Ausgeschlossene verhalten sich wie Ausgeschlossene”
Der Erste, der diese Idee öffentlich formuliert hat, ist dem CDU-Chef Friedrich Merz bestens bekannt. Der 57-jährige Historiker Andreas Rödder hatte die Grundwertekommission der Union geleitet, ehe er wegen seiner ablehnenden Haltung zur Brandmauer in Ungnade fiel. Schon im Juli vergangenen Jahres forderte Rödder in einem Essay in der Welt, der AfD rote Linien zu nennen – als “Voraussetzung der Gesprächsbereitschaft”. Was Rödder damit genau meinte? Im Gespräch mit ZEIT ONLINE präzisiert er seine Gedanken, nicht ohne vorab zu betonen: Was er hier öffentlich formuliere, wäre vor einiger Zeit noch toxisch gewesen. “Jetzt sage ich es, weil die Dringlichkeit gestiegen ist.”
Aus seiner Sicht gilt: Je höher die Brandmauer, desto stärker die AfD. Sinnvoller finde er stattdessen eine “konditionierte Gesprächsbereitschaft” seitens der Union. Mit dem Ziel, die AfD zu einer Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Radikalität zu zwingen. “Bislang braucht sich die AfD nicht zu mäßigen, weil sie davon gar nichts hätte”, sagt Rödder. Die Brandmauer führe zu einer permanenten Solidarisierung innerhalb der AfD – nach dem Motto: “Ausgeschlossene verhalten sich wie Ausgeschlossene. Und Marginalisierte ziehen sich in ihre Marginalisierung zurück.”