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Der Architekt Sep Ruf wird wiederentdeckt | ABC-Z

Nach dem Pragmatismus der ersten Wiederaufbaujahre, als die Linderung der Wohnungsnot und die Wiederherstellung der Infrastruktur alle Kräfte der Bauwirtschaft und der Architektenschaft banden, fand die Bundesrepublik schnell und treffsicher zu einem sachlich-eleganten architektonischen Ausdruck ihres Selbstverständnisses. Der Wille der progressiven Kräfte in der jungen Demokratie, mit dem baulichen Erbe des Nationalsozialismus ostentativ zu brechen und sich der Welt gegenüber als modern und somit geläutert zu präsentieren, war nicht zu verkennen.

Kaum jemand verkörperte diesen Zeitgeist und die mit ihm verbundene Ästhetik des Understatements prominenter als Sep Ruf. Er fand Zugang zu führenden Protagonisten des Landes. Der bayerische Architekt entwarf für Ludwig Erhard in Gmund am Tegernsee einen 1954 fertiggestellten Bungalow. An die dort entwickelten Gestaltungsprinzipien knüpfte Ruf im großen Maßstab an, als er gemeinsam mit Egon Eiermann den deutschen Stahl-und-Glas-Pavillon auf der Expo in Brüssel 1958 entwarf, der trotz seiner kurzen Existenz zum Schlüsselbau des jungen Staates wurde.

Nicht ohne Anfeindungen

Nachdem Erhard Bundeskanzler geworden war, erhielt Ruf den Auftrag, ein Wohn- und Empfangsgebäude für den Regierungschef in Bonn zu errichten; die transparente Architektur des Kanzlerbungalows stieß nach dessen Fertigstellung 1964 allerdings auch auf massive Kritik; mancher empfand sie als nicht repräsentativ genug. Es war nicht so, dass der Siegeszug moderner Architektur ohne Rückschläge und Anfeindungen verlaufen wäre.

Lichtgestalt der deutschen Nachkriegsarchitektur: Sep Ruf in einer Aufnahme von 1967picture alliance / SZ Photo

Ähnlich wie zuvor im Fall des Kölner Kirchenbauers Gottfried Böhm verstärkt derzeit ein Dokumentarfilm das ohnehin ansteigende Interesse am Œuvre Rufs. Der Film „Sep Ruf – Architekt der Moderne“ des Münchner Filmemachers Johann Betz, der derzeit in einzelnen Programmkinos zu sehen ist, zeigt eindrücklich, wie geschickt Ruf süddeutsche Hemdsärmeligkeit mit dem Aufbruchsgeist der Sechzigerjahre zu verbinden verstand. In der Nürnberger Innenstadt wählte er für den Wiederaufbau der Baye­rischen Staatsbank (1949 bis 1951) noch eine überwiegend steinerne, dunkle Fassade, die sich in die Umgebung einfügte; München schenkte er hingegen mit dem Geschosswohnungsbau an der Theresienstraße und der Neuen Maxburg zwei schlanke, helle Großbauten, die bis ins Detail hinein Ausdruck einer gemäßigten, freundlichen Moderne waren.

Ruf hat keine nennenswerten Schriften oder Theorien hinterlassen, er verstand sich nicht als Intellektueller, obwohl er mit Geistesgrößen seiner Zeit wie Romano Guardini verkehrte, mit Golo Mann und Werner Heisenberg seit Jugendtagen befreundet war und auch Interesse an zeitgenössischer Kunst hatte. Der Film zum Werk Rufs belässt es daher auch dabei, die heitere Leichtigkeit von Bauten wie der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg wohlwollend ins Bild zu setzen.

Anerkennung durch Denkmalschutz

An dem Ruf-Revival hat auch die Sep-Ruf-Gesellschaft mit Sitz in München großen Anteil. Sie wurde 2016 – nach dem Vorbild schon länger bestehender Gesellschaften für Eiermann und Ernst May – gegründet und versteht sich nicht als Fanclub des Architekten, sondern als Lobbygruppe für die Erforschung, Bewahrung und Verbreitung des Werks.

Für den Münchner Architekturhistoriker Winfried Nerdinger, der selbst Mitglied der Ruf-Gesellschaft ist, handelt es sich bei dem neuen Interesse an dem Architekten um eine verdiente und überfällige Ehrenrettung nach den Schmähungen, die dieser durch Konrad Adenauer und andere habe erfahren müssen. Dass seit etwa 2010 viele Ruf-Bauten unter Denkmalschutz gestellt werden, führt Nerdinger auch auf die Gründung der Gesellschaft anlässlich des hundertsten Geburtstages des Architekten zurück, der zudem mit einer Ausstellung und Publikation von Irene Meissner gefeiert wurde.

Die Rundkirche St. Johann von Capistran in der Stuntzstraße in der Parkstadt Bogenhausen in München,
Die Rundkirche St. Johann von Capistran in der Stuntzstraße in der Parkstadt Bogenhausen in München,picture alliance / SZ Photo

Einen Schub hat die Aufmerksamkeit für Rufs Werk zudem erfahren, als im Jahr 2014 auf der Architektur-Biennale von Venedig der repräsentative Teil des Kanzlerbungalows im Maßstab eins zu eins in den Deutschen Pavillon eingebaut wurde. In dem Pavillon von 1938 kam die Architektur des Sechzigerjahrebaus durch das Mittel des Kontrasts besonders stark zur Geltung. Der Dialog zweier Generationen deutscher Architekturgeschichte wurde international wahrgenommen.

In die Position, seine besondere staatstragende Rolle zu spielen, kam Ruf auch durch den Lauf der Geschichte: Vier der prägenden deutschen Architekten aus der Frühzeit der Moderne waren Ende der Vierzigerjahre entweder tot (Bruno Taut), oder sie machten keine Anstalten, in ihre deutsche Heimat zurückzukehren: Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius ging es gut in den Vereinigten Staaten, und Erich Mendelsohn hatte es über Palästina nach Kalifornien verschlagen. Hans Scharoun galt manchen Bauherren als zu exaltiert, Paul Baumgarten hingegen als zu streng. Da kam ein gemäßigt-moderner Architekt wie Ruf wie gerufen.

Wiederentdeckung einer Münchner Kirche

Der Ruf-Film (wie zuvor schon der Film über Gottfried Böhm) liefert nur wenig architekturhistorische Einordnung, auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem Werk verzichtet er gleich ganz. In seinem Blick auf das Werk Rufs ist er zudem recht münchenlastig. Rufs bahnbrechende Bungalows im Berliner Hansaviertel etwa werden mit keiner Silbe erwähnt, obwohl sie beweisen, dass sich der Architekt von der Bonbon-Farben-Mode seiner Zeitgenossen in den Fünfzigern nicht anstecken ließ und lieber auf angenehm wertige Materialien setzte wie Holz und Klinker.

Der Kanzlerbungalow im Park des Palais Schaumburg in Bonn, aufgenommen in den Sechzigerjahren.
Der Kanzlerbungalow im Park des Palais Schaumburg in Bonn, aufgenommen in den Sechzigerjahren.Picture Alliance

Auch die amerikanische Botschaft in Bonn wird im Film nicht erwähnt. Immerhin: Die kreisrunde Kirche St. Johann von Capistran von 1958 ist dem Film als Wiederentdeckung zugutezuhalten: So viel Ausdruckskraft mit so einfachen und sympathischen Mitteln der Geometrie zu erreichen, das ist außer Ruf wohl nur Timo und Tuomo Suomalainen mit ihrer Felsenkirche in Helsinki gelungen.

Der Film ist Ausdruck einer überfälligen späten Wertschätzung des Mid-Century Modernism in Deutschland zur Zeit des Wirtschaftswunders und danach. In den Achtzigerjahren wurde Günter Behnisch in der Nachfolge von Ruf zum führenden Architekten der Bonner Republik, bevor dann I. M. Pei, Norman Foster und Axel Schultes das neue Gesicht des wiedervereinigten Landes und seiner neuen Hauptstadt Berlin architektonisch prägten.

Seitdem hat sich der Staat auf Bundesebene als Bauherr herausragender Gebäude daheim, auf Weltausstellungen und im Botschaftsbau mit bestenfalls mediokren Lösungen begnügt. Die Suche nach originellen Lösungen für Bauaufgaben ist dem Staat offenbar zu mühsam und politisch riskant geworden.

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