Bauturbo: “Langfristig kann der Bauturbo teuer werden” | ABC-Z

Der Bundestag hat gestern den sogenannten Bauturbo beschlossen: eine bis 2030 befristete Änderung des Baugesetzbuches, die Baugenehmigungsverfahren deutlich beschleunigen soll. Raumwissenschaftler Mathias Jehling sieht die potenzielle Wirkung des Bauturbos kritisch. Er leitet die Forschungsgruppe Urbane Struktur und Politik am Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden und lehrt an der dortigen Technischen Universität.
DIE ZEIT: Herr Jehling, Bauministerin Verena Hubertz setzt große Hoffnungen in den sogenannten Bauturbo, den das Parlament gestern verabschiedet hat: Er soll Planungsverfahren deutlich verkürzen und so neuen bezahlbaren Wohnraum dort schaffen, “wo er gebraucht wird“, und Geld einsparen. Sind die Hoffnungen gerechtfertigt?
Mathias Jehling: Ich erwarte nicht, dass gerade dort Wohnraum entstehen wird, wo Bedarf ist. Die Konsequenz des Bauturbos wird sein, dass wir in vielen kleineren Gemeinden Zersiedelung sehen werden. Statt bezahlbarem Wohnraum in den Kernstädten entstehen dann vielleicht schöne neue Einfamilienhäuser in der Peripherie. In den Regionen muss dann viel neue Verkehrsinfrastruktur gebaut werden, um sie
anzubinden. Dabei überlasten die Infrastrukturkosten die Kommunen sowieso schon.
Außerdem erschwert der Bauturbo es, Leerstände wiederzubeleben. Eigentlich hatten
wir in den vergangenen Jahren eine gute Debatte darüber gehabt, den Bestand
zu entwickeln.
ZEIT: Warum gehen Sie davon aus, dass nicht dort gebaut werden wird, wo es dringend nötig wäre?
Jehling: Wir sehen
keine Fokussierung auf den Problembereich der dynamischen Großstädte,
sondern eine Abkehr. Der Bauturbo gibt keinen Anreiz, dort mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die größten Probleme beim Bauen sind hohe Kosten und fehlendes Fachpersonal. Am Planungsrecht zu ruckeln, dürfte die kleinste Stellschraube sein. Auch wenn es ja grundsätzlich zu begrüßen ist, dass die Politik was ausprobiert.
Aber bereits ohne den Bauturbo gibt es viel nicht genutztes
Baurecht in Deutschland. Etwa Baulücken, die leer bleiben, weil die Eigentümer mit ihnen gerade einfach nichts machen wollen. Wir hätten großes Potenzial für Wohnraum, wenn Bodeneigentümer das, was heute schon geht, nutzen würden. Ist dann wirklich
eine Wirkung vom Bauturbo zu erwarten?
ZEIT: Teils offenbar schon, wenn Sie zersiedelte Kleinstädte fürchten?
Jehling: Da geht es aber nicht um den Bedarf von Menschen mit geringen und mittleren
Einkommen in München und Hamburg, sondern es geht darum, dass sich Menschen, die es sich leisten können, persönliche Wohnqualitätswünsche erfüllen. Ich sehe nicht die Möglichkeit, dass wir deutlich mehr bezahlbaren Wohnraum hinbekommen. Ich glaube, der wird kommen für Menschen in Mittelstädten, etwa in Thüringen und Rheinland-Pfalz. Also in ländlichen Regionen, wo man es sich leisten kann.
Und auf die Frage, wie man intelligent mit dem
unglaublich großen Bestand in schrumpfenden Räumen umgeht, gibt der
Bauturbo keine Antwort. Er kann vielmehr eine große Gefahr für diese
Räume darstellen.
ZEIT: Inwiefern?
Jehling: Insofern, als die Kommunen ihrer Möglichkeiten beraubt werden, ihre Siedlung kompakt
zu halten, mit ihren bestehenden Infrastrukturen umgehen zu können und leerstehende Immobilien wiederzubeleben. Es gibt ja den schönen Begriff
der Donutdörfer mit leerem Ortskern. Der Bauturbo könnte das
verschärfen, wenn neue Bebauung am Rand zusätzliche Konkurrenz für die Ortskerne schafft.
ZEIT: Der Bauturbo soll doch auch auf die Entwicklung bestehender Gebäude abzielen.
Jehling: Ja, und das sehe ich auch als Chance, eine größere
Dynamik in die Bestandsentwicklung zu bekommen. Allerdings ist es
billiger, an Stadträndern neu zu bauen, als Gebäude in Innenstädten
anzupassen. Weil er beides will, wird der Bauturbo also eher dazu führen, dass Gemeinden nach außen wachsen und die Potenziale innen nicht genutzt werden. Denn die Innenentwicklung macht mehr Arbeit und bringt weniger Margen.
Eine Beschränkung auf Neubauten mit mindestens sechs Wohneinheiten wäre wichtig gewesen; sie ist aus dem Gesetzentwurf gestrichen worden. Dadurch ist der Eindruck entstanden, dass man die
Möglichkeiten der Innenentwicklung eher als Feigenblatt mit sich führt.
ZEIT: Das Gesetz hätte stärker auf den Bestand fokussiert sein sollen?
Jehling: Das wäre sinnvoll gewesen. Schauen Sie sich unsere Infrastruktur an: Es ist viel Arbeit nötig, um Schlaglöcher zu reparieren, und nicht sinnvoll, primär neue Straßen zu bauen. Das Gleiche gilt sinnbildlich für den Wohnungsbestand.
ZEIT: Mit einem alleinigen Fokus auf den Bestand entstünden aber vermutlich nicht genug neue Wohnungen.
Jehling: Natürlich kann innerhalb einer Großstadt wie Hamburg nicht die komplette Wohnungsnachfrage bedient werden. Im Umland dagegen ist noch sehr viel Verdichtungspotenzial, das mittelmäßig bis gar nicht genutzt wird. Das Kommunen vielleicht auch gar nicht nutzen möchten, weil sie ihren Charakter mit vielen Einfamilienhäusern bewahren wollen. Also entsteht dort höchstens neuer Wohnraum auf der grünen Wiese für Menschen, die die Möglichkeit haben, zu pendeln. Das bringt für die Allgemeinheit die bereits erwähnten Kosten bei der Infrastruktur mit sich und große Probleme aus ökologischer und klimatischer Sicht. Neue Mehrfamilienhäuser wird es fast nur in Innenstädten geben – und dort hauptsächlich sehr hochpreisige.





















