Tadej Pogacar stürzt, steht auf – und gewinnt trotzdem | ABC-Z

Unwahrscheinliche Kräfte und ein Schutzengel. Auf erstere kann sich Tadej Pogacar seit beinahe Jahr und Tag verlassen. Seit seinem Sieg bei Strade Bianche im März 2024 hat der derzeit erfolgreichste Radprofi an elf Rundfahrten und Eintagesrennen teilgenommen und neun davon (inklusive Giro d’Italia, Tour de France und Weltmeisterschaft) gewonnen. Um auch den ersten Härtetest der Saison 2025 beim prestigeträchtigen toskanischen Klassiker Strade Bianche am Samstag als Sieger beenden zu können, benötigte der Slowene aber auch einen Schutzengel.
Bei hoher Geschwindigkeit war Pogacar in einer Linkskurve mit seinem Velo weggerutscht, hart auf den Asphalt aufgeschlagen, auf dem Gesäß weitergerutscht und sich überschlagend im Straßengraben gelandet. Alles vorbei im Frühjahr für ihn und sein hochgerüstetes Team UAE Emirates-XRG. Nicht doch. Pogacar klettert aus dem Graben, nahm das Rad, schwang sich darauf und schon ließ sich erkennen, dass der Abflug seinen Höhenflug nicht Knall auf Fall beendete. Dem dämpfenden Gras sei dank.
Die großen Drei des Radsports wissen aus jüngsten Erfahrungen ein schmerzhaftes Lied davon zu singen, wie ein harter Crash im Frühjahr die großen Ziele für den Sommer in Frage stellt oder unerreichbar werden lässt. 2024 erwischte es Jonas Vingegaard und Remco Evenepoel bei demselben Unfall im Baskenland, 2023 brach sich Pogacar bei einem Sturz bei Lüttich-Bastogne-Lüttich das Handgelenk. Keiner der drei Stars vermochte anschließend in jenen Jahren eine der großen Landesrundfahrten zu gewinnen.
„Ein bisschen besorgt“
Pogacar gab am Samstag auf seine Art Entwarnung. An Schulter, Ellbogen, Oberschenkel und Knie gezeichnet, setzte er seine Tour fort. Als er 50 Kilometer später mit souveränem Vorsprung (1:24 Minuten) das Ziel auf der Piazza del Campo in Siena als Erster erreicht hatte, sagte der 26-Jährige: „Einen Moment lang wusste ich nicht, ob es mir gut geht. Das Rad funktionierte nicht, also musste ich es wechseln.“ Er sei „ein bisschen besorgt“ gewesen, denn ein Sturz verlange dem Körper viel ab. Aber er habe noch ausreichend Energie gehabt, „um es zu Ende zu bringen“.
Mitte März weiß die Konkurrenz schon wieder, voran sie ist: Die erste Rundfahrt (UAE Tour) und das erste Eintagesrennen (Strade Bianche) als Teil seines Programms hat dieser radelnde Alleskönner schon dominiert. Zumal die Hatz durch die toskanischen Hügel Höchstschwierigkeiten bereithält: Allein schon wegen ihrer 3500 zu bewältigenden Höhenmeter auf 213 Kilometer Gesamtlänge.
Aber mehr noch wegen ihrer 16, sich auf 80 Kilometer summierenden Schotterpassagen, den namensgebenden weißen Straßen. Fahrer in Staubwolken, Duelle auf schmalen Sträßchen vor dem Hintergrund der idyllischen Landschaft und begeisterte Fans am Wegesrand haben der mit 19 Austragungen jungen Strade Bianche den Rang eines der wichtigsten Frühjahrsklassiker verliehen.
Pidcock wartet aus Respekt
Und so sendete Pogacar ein starkes Signal: Selbst ein Crash verschafft der Konkurrenz keinen gewinnbringenden Vorteil. Während der letzten zwei von insgesamt 5:15 Stunden bot nur Tom Pidcock Paroli. Der Brite (Team Q36.5) hatte es sogar gewagt, ein geplantes Manöver von Team UAE und Pogacar zu durchkreuzen. Die Equipe hatte ein unbarmherziges Tempo angeschlagen, was im Peloton kaum zwei Dutzend Profis mitzugehen vermochten.
In Vorbereitung des vermutlich entscheidenden Zuges, dass sich Pogacar schon 80 Kilometer vor dem Ziel – wie bei seinem Sieg mit mehr als drei Minuten Vorsprung im Vorjahr – solo absetzen kann. Doch Pidcock, Strade-Sieger des Jahres 2023 und Olympiasieger im Mountainbike, sprang mit einer harten Tempoverschärfung nach vorne, zwang Pogacar mitzugehen und machte an der Spitze gemeinsame Sache mit dem Weltmeister. Ihr Begleiter Connor Swift (Team Ineos) entpuppte sich als nicht stark genug an ihren Hinterrädern.
Dann der Sturz. „Ich bin in meiner Karriere dort sicher schon 20 Mal lang gefahren. Manchmal verschätzt man sich halt“, sagte Pogacar, sichtlich erschöpft in zerrissener Arbeitskluft. Pidcock war weitergefahren, hatte sich dann aber halb aus Respekt vor dem Tour-Sieger und halb aus Respekt vor der noch langen Fahrt bis nach Siena entschieden, auf Pogacar zu warten.
Als der während der vorletzten Schotter-Passage den Turbo zündete, konnte sich Pidcock nur noch wenige Meter wehren. Trotz des Sturzes gewann Pogacar mit einem Rekordtempo von im Schnitt 40,7 Kilometern pro Stunde. Nächster Stopp auf seiner Rad-Route: Mailand-Sanremo am 22. März. Übrigens eines der beiden Rennen, die er in den vergangenen zwölf Monaten nicht als Sieger verließ.