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SZ-Kolumne „Auf Station“: Wie mit dem Leid von Intensivpatienten umgehen? – Ebersberg | ABC-Z

Es ist bestimmt zehn Jahre her, als ich mich mit einer damaligen Kollegin zum Kaffee getroffen habe – sie war in Elternzeit. Irgendwann kamen wir auf die Arbeit zu sprechen. Ich merkte schnell, dass das Thema sehr in ihr rumorte. „Pola, wie schaffst du das eigentlich?“, fragte sie mich, bevor sie sagte: „Ich glaub, ich kann das einfach nicht mehr.“

Auf unserer Intensivstation ist der Patientenklientel meistens alt oder hochaltrig – jemand mit 60 gilt für uns als Jungspund. Gerade die Hochaltrigen sind überwiegend multimorbide, sind also an verschiedenen Krankheiten erkrankt. Im Grunde heißt das: Diese Patienten werden nicht wieder gesund, schließlich waren sie auch schon vor ihrem Aufenthalt auf der Intensivstation krank.

Vielleicht schaffen wir es mithilfe der Medizin, dass sie zumindest wieder gesünder werden – so gesund, dass sie entlassen werden können. Doch oft genug dauert es nicht lange und wir sehen sie wenig später als Patienten auf unserer Station wieder. Vielleicht schaffen wir aber von vornherein keine Besserung ihres Zustands und sie sterben in unserem Krankenhaus.

Im Grunde lässt es sich knapp formulieren: Auf der Intensivstation sehen wir viel Leid. Bei jedem Dienst.

Das finde auch ich nicht schön, sondern belastend, manchmal sogar zermürbend. Bei meiner Kollegin traf das so sehr zu, dass sie sich nicht mehr vorstellen konnte, wie sie wieder in einen Beruf zurückkehren sollte, in dem sie ständig so viel Schmerz ausgesetzt ist. „Ich pack das nicht mehr, ständig das Leid und Elend von so vielen Menschen miterleben zu müssen“, sagte sie.

Dieses Gefühl kenne auch ich von manchen schlechten Tagen, insofern verstand ich meine Kollegin. Doch nur bis zu einem gewissen Punkt. Weil ich, so glaube ich, eine andere Perspektive auf die Versorgung solcher Patienten habe.

Für mich geht es in unserer Arbeit nicht immer darum, dass jemand wieder gesund oder gesünder wird. Manchmal kann das Ziel auch sein, dass eine Therapie nicht fortgesetzt wird. Nicht immer muss das etwas Negatives sein. Dann geht es darum, die dem Patienten verbliebene Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten, also schmerz- und angstfrei. Da schüttelt ein Kollege dann gerne mal den Kopf, weil er nicht nachvollziehen kann, wie ich solche hoffnungslosen Fälle, wie er sie nennt, immer wieder übernehmen kann. „Am Ende werden sie ja doch sterben“, heißt es dann.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ja, antworte ich daraufhin – aber ich kann etwas tun, dass sie es in Würde tun. Das zu erreichen, ist gar nicht so leicht. Ich bin zufrieden, wenn sich Angehörige bei mir bedanken, dass wir für einen schönen Abschied gesorgt haben, manchmal kommen auch Dankeskarten. Das hat für mich auch etwas mit Hoffnung zu tun: Die Hoffnung, dass Patienten würdevoll sterben können.

Doch Perspektiven können sich im Laufe des Lebens ändern, so wie bei meiner damaligen Kollegin. Und wenn man merkt, dass sie nicht mehr vereinbar ist mit unserem Job, ist es besser, man kehrt ihm den Rücken – sonst macht man sich selbst kaputt. Heute arbeitet die Kollegin in einer anderen Branche.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind online unter sz.de/aufstation zu finden.

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