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SZ-Kolumne „Auf Station“: Ein Herzinfarkt läuft nicht ab wie im Fernsehen – Ebersberg | ABC-Z

Es war im Nachtdienst, als ich gerade an unserem Stationsstützpunkt saß und Schreibarbeit erledigte. Dort befinden sich auch die Monitore, die die Herzfrequenzen all unserer Patienten aufzeichnen. Wenn etwas nicht im Normalbereich ist, verändert sich der Signalton – und das tat er nun auf einmal. Auf dem Bildschirm konnte ich sehen, wie der Herzschlag von einem meiner Patienten immer langsamer wurde. Sofort bin ich aufgesprungen und in sein Zimmer gerannt, ich sprach den Mann an und er antwortete mir. Allerdings nicht lange, er sackte einfach weg – da hörte ich draußen auf dem Gang schon die Kollegen mit dem Reanimationswagen anrollen.

Mein Patient war eigentlich gar kein Intensivpatient, sondern lag auf dem IMC-Bereich unserer Station. IMC steht für Intermediate Care, dort kommen Patienten hin, wenn ihre Werte für eine gewisse Zeit konstant überwacht werden müssen, ihr Zustand aber eine intensivmedizinische Betreuung nicht notwendig macht – etwas zwischen Intensiv- und Normalstation sozusagen. Nach OPs ist das beispielsweise der Fall, oder nachdem Stents gelegt wurden, so wie bei meinem Patienten: Er hatte einen Herzinfarkt gehabt.

Dass es bei einem verhältnismäßig jungen Patienten ohne schwere Vorerkrankungen nach dem Einsetzen von Stents zu Herzrhythmusstörungen kommt, ist äußerst selten. In diesem Fall könnte es damit zusammenhängen, dass der Mann seinen Herzinfarkt zunächst nicht als solchen erkannt hatte.

Er war erkältet gewesen und in dem Zuge hatte sich ein starker Husten entwickelt. Als der Mann dann Brustschmerzen bekam, dachte er, sie kämen vom Husten. Es dauerte, bis er dem Drängen seiner Familie nachgab und schließlich das Krankenhaus aufsuchte. Dort stellte sich heraus, dass er einen Verschluss an der Herzrückwand hatte, und der war nicht gerade klein.

Zufälligerweise hatte ich in derselben Woche noch eine weitere Herzinfarkt-Patientin, die die Symptome zu Beginn falsch interpretiert hatte. Sie war Asthmatikerin, ihr starkes Druckgefühl im Brustbereich schob sie unter anderem darauf. „Ich habe irgendwo gelesen, dass ein Herzinfarkt bei Frauen ein ausstrahlender Schmerz in die Schultern ist“, erzählte sie mir. Doch leider ist dieser Wissensstand längst überholt.

Intensivfachpflegerin Pola Gülberg von der Ebersberger Kreisklinik. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein Herzinfarkt kann überallhin Schmerzen ausstrahlen – ich habe schon Patienten versorgt mit Schmerzen am Kiefer oder am Rücken, sogar solche im Oberarm habe ich erlebt. Das hängt ganz davon ab, wo sich der Verschluss im Herzen befindet. Sicher ist nur: Es ist ein plötzlich auftretendes, starkes Schmerz- oder Druckgefühl – aber eine Vorstellung wie im Fernsehen oft gezeigt, dass sich jemand auf einmal an die Brust greift und zwei Sekunden später tot zusammenbricht, ist völliger Quatsch.

Als ich meinen weggetretenen Patienten nun mit lauterer Stimme ansprach und ihn ein wenig rüttelte, macht er zum Glück die Augen wieder auf – seine Herzfrequenz normalisierte sich ganz ohne die Hilfe des Reanimationswagens.

Pola Gülberg ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 40-Jährige jede Woche von ihrer Arbeit an der Kreisklinik in Ebersberg. Die gesammelten Texte sind unter sueddeutsche.de/thema/Auf Station zu finden.

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