Syrische Ärzte: „Ohne uns würde es nicht gehen“ | ABC-Z
Zwei Kleidungsstücke bestimmen, wie die Menschen im thüringischen Meiningen auf Raneem blicken: Da ist ihr weißer Arztkittel. Und da ist ihr Kopftuch.
Heute trägt sie nur den Hidschab, ein elegantes Modell aus cremefarbenem Satin, vorne mit einer Tüllschleife zusammengebunden. Raneem, 30, ist gerade in Elternzeit. Wir sitzen in einem Café in der schmucken Altstadt. Die meisten anderen Gäste sind ergraute Senioren, Raneem und ihr Mann Ali fallen hier auf. Neben den beiden reckt sich im Kinderwagen ihr Sohn Mustafa, zehn Monate alt, er ist in derselben Klinik zur Welt gekommen, in der seine Eltern als Anästhesisten arbeiten.
Es dauert eine Weile, bis Raneem auftaut. Sie ringt um die richtigen Worte, sorgt sich darum, missverstanden zu werden. Auch deshalb möchte sie nur mit Vornamen genannt werden. Über die Menschen in Meiningen will sie nicht pauschal urteilen: „Viele haben uns am Anfang sehr geholfen“, sagt sie, beim Deutschlernen, bei Umzügen.
Raneem und ihr Mann verließen Syrien 2019. Erst wohnten sie bei ihrem Bruder in Bonn, einem Bauingenieur, der schon 2015 nach Deutschland gekommen war. Später fanden beide eine Stelle an der Helios-Klinik in Meiningen. Unter Kollegen habe sie sich Respekt erarbeitet, auch unter jenen, die die AfD wählen, sagt Raneem stolz. Und eine Patientin habe neulich vor der Operation ausdrücklich nach ihr gefragt: Sie wolle bitte von der netten Ärztin mit Kopftuch behandelt werden!
In der Fußgängerzone, im Park, beim Bäcker sähen viele aber nur die Muslimin mit dem dunkelhäutigen Kind. „Die Leute starren uns an. Ich fühle mich wie ein Fremdkörper“, sagt Raneem. Seit 2022 die Menschen aus der Ukraine nach Deutschland kamen, habe sich die Stimmung gegenüber Geflüchteten spürbar gedreht. Die Blicke würden kälter, sagt Raneem, bohrender. Mit jedem Anschlag, ob in Mannheim, Solingen oder Magdeburg, etwas mehr. Im Regionalzug habe sie eine ältere Frau kürzlich gefragt: „Warum sind Sie hier? Was wollen Sie bei uns?“
Bei „uns“, das ist im Süden von Thüringen, Wahlkreis Meiningen-Schmalkalden II. Ergebnis des AfD-Kandidaten bei den Landtagswahlen im Herbst: 39,8 Prozent. „Heimat statt Multikulti“: Solche und ähnliche Wahlplakate hingen in der Straße vor Raneems Haus. Sie hat sie fotografiert und im Handy gespeichert.
Bei „uns“, das ist auch einer der Landstriche im Osten mit dem bundesweit höchsten Ärztemangel. Eine der Gegenden, wo alternde Ärzte für ihre Praxen keine Nachfolger mehr finden und Experten in den kommenden Jahren ein Kliniksterben erwarten, sofern nicht zugewanderte Mediziner die Jobs übernehmen. In besonders ländlichen Regionen Thüringens, viele von ihnen AfD-Hochburgen, kommt inzwischen fast jeder vierte Arzt aus dem Ausland, der Ausländeranteil im Gesundheitswesen ist hier mehr als dreimal so hoch wie im Landesdurchschnitt. An der Helios-Klinik in Meiningen stammt der Chefgynäkologe aus dem Libanon, der oberste Urologe aus Ägypten, der Chef der Gefäßchirurgie aus dem Iran. Viele weitere Kolleginnen kommen aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion. Die Klinik möchte auf Anfrage nicht angeben, wie viele ausländische Ärzte sie beschäftigt – offenbar erachtet sie das Thema als heikel.