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Syriens Fußball vor Neuordnung: Der große Umbruch in einem politisierten Spiel | ABC-Z

Während des Bürgerkriegs in Syrien gewann der Fußballverein Tishreen aus der Hafenstadt Latakia dreimal die Meisterschaft. Viele Fans des Klubs sind Alawiten, gehören also derselben Minderheit an wie die langjährige Herrscherfamilie al-Assad. Lange war Fawaz al-Assad der Ehrenpräsident von Tishreen gewesen. Der Cousin des Diktators Baschar fuhr gern mit einem Cabrio ins Stadion ein, begleitet von Soldaten und Gewehrschüssen.

Von einer Nähe zur alten syrischen Machtelite ist nun bei Tishreen nichts mehr zu sehen. Anfang der Woche, nach dem Sturz des Regimes, veröffentlichte der Klub Fotos von zwei ehemaligen Spielern. Sie zeigen, wie Ziad Adschouz und al-Mouttaleb Zartit in Schutzwesten hinter den Meisterschalen posieren. Beide hatten den Fußball vor langer Zeit aufgegeben, um mit den islamistischen Rebellen gegen die Diktatur zu kämpfen.

„Die Gefühle von Freude und Aufbruch sind auch im Sport zu spüren“, sagt der aus Syrien stammende Fußballexperte Nadim Rai, der in Deutschland lebt. „Die Strukturen werden sich grundlegend ändern. Aber es wird Jahre dauern, um die Ins­tru­men­ta­lisierung im Fußball aufzuarbeiten.“

Rückkehr nach Syrien

Nadim Rai hat zuletzt wenig geschlafen. Er hat mit Freunden in Syrien telefoniert, darunter Fußballfans, die jubelnd durch die Straßen zogen. Rai hat stundenlang in sozialen Medien recherchiert. Dabei ist er auf ein Foto von Salim Khadra gestoßen, einen seiner Lieblingsspieler aus Jugendzeiten. Khadra war die Türkei geflohen und erwägt nun wohl eine Rückkehr nach Syrien.

„Der Fußball kann in Syrien zu einem Symbol der Einheit werden“, glaubt Rai. „Aber dafür muss der Verband Vertrauen zurückgewinnen. Die Menschen werden genau beobachten, wer demnächst für die Nationalmannschaft spielt und wer nicht.“ Über viele Jahre war das Nationalteam ein Sinnbild für die Spaltung der syrischen Gesellschaft.

Besonders deutlich wurde das bei der WM 2012, ein Jahr nach Beginn des Bürgerkriegs. Im Finale in Kuwait besiegte Syrien den Irak 1:0. Im Stadion standen sich zwei feindselige Fankurven derselben Mannschaft gegenüber. Die einen schwenkten die Fahnen der syrischen Rebellen, die anderen standen hinter al-Assad.

Unmittelbar nach jenem Endspiel zog der syrische Spieler Omar al-Somah das rote Na­tio­nal­tri­kot aus und streifte sich ein weißes T-Shirt der Rebellen über. Er spielte fünf Jahre nicht mehr für Syrien, kehrte dann aber 2017 für die entscheidenden Qualifikationsspiele für die WM 2018 zurück. Al-Somah, der zu jener Zeit in Saudi-Arabien aktiv war, reiste sogar nach Damaskus zu einem Empfang von Baschar al-Assad.

Wurde Omar al-Somah von der Regierung unter Druck gesetzt? „Die Grenzen zwischen Staatsdienern, Mitläufern und Rebellen waren manchmal fließend“, sagt Rai. So soll Omar al-Somah vor der Rückkehr ins Nationalteam seinen Einfluss genutzt haben, um seinen ehemaligen Mitspieler Mohammad Kneis aus dem Gefängnis freizubekommen. Nun, nach dem Sturz des Regimes, schrieb al-Somah in sozialen Medien: „Glückwunsch an die Syrer und herzliches Beileid an die Gefallenen unter dem Regime. Es lebe das freie Syrien!“

Folter im Gefängnis

Die Lage ist unklar, doch nach Schätzungen mehrerer Exilanten sollen mehr als 40 Spieler aus den ersten beiden syrischen Ligen während des Kriegs getötet worden sein. Dem ehemaligen Nationalspieler Jihad Qassab etwa wurde die Kons­truk­tion von Autobomben vorgeworfen – was er bestritt. Qassab ist 2016 nach schwerer Folter im Militärgefängnis Saidnaya gestorben.

Biografien wie diese werden nun intensiv diskutiert. Fans erinnern zum Beispiel an Abdul Baset al-Sarout. Als erster bekannter Fußballer stellte er sich schon 2011 gegen al-Assad und trat der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) bei. Diese FSA gründete in der Türkei ihren eigenen Fußballverband. Abdul Baset al-Sarout, der al-Qaida nahegestanden haben soll, kam 2019 bei Gefechten ums Leben.

Geflüchtete Spieler, Funk­tio­näre und Sportjournalisten knüpften insbesondere in der Türkei ein syrisches Exilnetzwerk. Von dort trugen sie Informationen aus Syrien zusammen: über die Teilnahmepflicht von Sportlern an politischer Propaganda oder über die Verhaftung von Fußballern.

Ein Beispiel: Der langjährige syrische Nationaltorwart Mosab Balhous wurde 2011 von Regierungstruppen verhaftet, weil er Rebellen Zuflucht geboten haben soll. Fast ein Jahr fehlte von ihm jede Spur, viele Fans hielten ihn für tot. 2012 kehrte er überraschend ins Nationalteam zurück.

Trotz dieser politischen Verflechtungen ließ die Fifa den syrischen Fußballverband gewähren. Während des Kriegs ließ al-Assad den Ligabetrieb in den vermeintlich sicheren Städten Damaskus und Latakia fortsetzen, um etwas Normalität vorzutäuschen. Zeitgleich wurden Stadien in Aleppo und Homs als Militärbasen, Gefängnisse und Flüchtlingslager genutzt. Aus dem Abbasiden-Stadion in Damaskus wurden sogar etliche Raketen abgefeuert.

Baschar al-Assad zeigte sich selten auf den Ehrentribünen, und trotzdem stützte der Fußball seine Agenda. Erst vor einem Monat trat das syrische Nationalteam in Wolgograd in einem Freundschaftsspiel gegen Russland an, in jenem Land also, wo al-Assad inzwischen von seinem Verbündeten Putin Asyl erhielt.

Es ist gut möglich, dass die führenden Funktionäre des syrischen Verbands demnächst ihren Job verlieren, glaubt Fußballexperte Nadim Rai. Ähnlich wie in der Politik scheint die Machtübergabe auch im Fußball relativ geordnet zu verlaufen.

Viele Fans haben weniger Geduld und fordern den Ausschluss von Spielern, die sich für al-Assad positioniert haben. Im Fokus: Nationaltorwart Ibrahim Alma. Bei einem Trainingslager der syrischen Auswahl 2018 in Österreich soll Alma einen Ordner aufgefordert haben, einen Fan mit einem Rebellenbanner aus dem Stadion zu verweisen. Zweimal sollen Vereine in Saudi-Arabien die Verpflichtung Almas abgelehnt haben, weil er sich immer wieder mit Vertretern des syrischen Re­gimes zeigte.

Das syrische Nationalteam hat sein letztes Spiel vor heimischem Publikum 2010 in Damaskus gegen den Irak bestritten. Seither muss sie für „Heimspiele“ ins Exil reisen, nach Katar oder in die Vereinigten Arabischen Emirate. Gerade hat der Asiatische Fußballverband die Spieltermine fürs Frühjahr bekanntgegeben. Der Verband veröffentlichte dazu die syrische Flagge des alten Regimes. Fans empörten sich darüber, denn inzwischen hat auch der syrische Verband ein neues Logo. Und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Heimspiele auch wieder in Syrien stattfinden.

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