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Syrer in Wolfratshausen: „Ich sehe meine Zukunft in Deutschland“ – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Ousama al Manla beobachtet die Entwicklungen in seiner Heimat Syrien mit einer Mischung aus Freude und Unsicherheit. „Es freut uns, dass Assad weg ist“, sagt der 37-Jährige. Nach über 50-jähriger Herrschaft des Diktators Baschar al-Assad gebe es aber viele Probleme: Die Wirtschaft sei am Boden, die Infrastruktur weitgehend zerstört, „kein Strom, kein Wasser“. Eine Rückkehr kommt für al Manla, der seit 16 Monaten einen deutschen Pass besitzt, „im Moment“ nicht in Frage. „Ich sehe meine Zukunft in Deutschland“, sagt er am Telefon in flüssigem Deutsch. Viele junge Syrer machten hier eine Ausbildung, studierten, arbeiteten, eröffneten Läden. Mache sprächen gar kein Arabisch. „Sie haben ein Leben in Deutschland“, sagt al Manla.

Für Syrer, die neu angekommen sind, sei es aber besser, „dass sie zurück gehen“, findet er. Mit seinem Bruder und seiner Schwägerin ist er vor neun Jahren aus Aleppo geflohen, über die Türkei und Griechenland, weil er nicht zum Militärdienst zwangsverpflichtet werden wollte. Ousama al Manla hat Wirtschaft studiert und arbeitet seit April 2016 als kaufmännischer Angestellter im Logistikbereich bei einer Firma in Gauting. Der junge Muslim hat in Wolfratshausen eine Wohnung gefunden und eine Frau aus Aleppo geheiratet, die ein paar Jahre nach ihm geflüchtet ist.

Ousama al Manla hat seit 16 Monaten einen deutschen Pass. (Foto: Hartmut Pöstges)

Seine Mutter und Geschwister leben noch in der Stadt im Norden des Landes. Er würde sie gerne besuchen, aber noch sei kein Flughafen geöffnet. „Es ist immer noch Chaos.“ Dass Assad kampflos aufgegeben habe, sei eine Überraschung gewesen. Und, dass sich die neuen Machthaber der Islamistengruppe HTS offenbar „gut benehmen“, sagt al Manla. „Ich habe das Gefühl, dass die Leute in Syrien keine Angst haben.“ Der neue Führer der Übergangsregierung ist Mohammed al-Baschir, zuvor Regierungschef in der Rebellenhochburg Idlib. In den gut sieben Jahren „war es in Idlib nicht so schlimm unter seiner Kontrolle“, weiß al Manla aus Berichten von Landsleuten. In Syrien lebe ein Konglomerat unterschiedlicher Religionen und Ethnien. Für ein friedliches Zusammenleben brauche es zuallererst ein neues Rechtssystem und eine Verfassung. „Meine Hoffnung ist, dass die Welt die demokratischen Kräfte in Syrien unterstützt. Sonst gehen wir in die andere Richtung, und das wäre schlimm.“ 

Yusef Kadek ist 2015 mit seiner schwangeren Frau aus Syrien geflohen. Sein Sohn kam schwerstbehindert zur Welt. Kadek ist Schreiner und Bodenleger und arbeitet zurzeit beim Wolfratshauser Raumausstatter Heiduk. Im neuen Jahr will er sich in Starnberg selbständig machen. Vor zwei Jahren ist seine Tochter hier geboren, seine Eltern wohnen in Hamburg. Dauerhaft zurück in seine Heimat Syrien will auch der 32-Jährige nicht. Er hat die grausamen Methoden des Regimes am eigenen Leib erfahren: Acht Monate saß der junge Mann in Damaskus im Gefängnis, weil er sich kritisch über Assad geäußert hatte. „Ich habe immer noch Albträume“ – mehr sagt Kadek über diese Zeit nicht.

Yusef Kadek will mit seiner Familie in seiner neuen Heimat bleiben und nur im Urlaub zurück nach Syrien. (Foto: Hartmut Pöstges)

Ob HTS-Chef al-Dschaulani „gut oder schlecht“ sei, könne er nicht beurteilen. Aber eines sei gut: „Er hat Assad gestürzt.“ Noch lasse sich nicht absehen, wie sich die Lage entwickelt, „man muss abwarten.“ Kadek hofft auf eine strikte Trennung von Staat und Religion. „Ich will keinen religiösen Führer in der Regierung.“ Er vermisse Syrien, „aber ich weiß nicht, was dort kommt.“ Sobald der Flughafen wieder offen sei, wolle er hinfahren, um seine Verwandten und Freunde zu besuchen. „Aber nur auf Urlaub“, betont er. Denn seine Heimat sei nun Deutschland. Er habe sich mit seiner Familie ein neues Leben aufgebaut. „Es ist sehr schön hier“, vor allem die medizinische Versorgung für seinen behinderten Sohn sei gut.

Das sieht auch Hassan Mansour so. „Ich bin Deutschland dankbar“, sagt er. Der 35-Jährige ist 2013 aus Aleppo vor dem Kriegsdienst in die Türkei geflohen, zwei Jahre später dann nach Deutschland. Er hat in Syrien Informatik studiert und sich in Deutschland mit Praktika und Jobs weitergebildet: bei Siemens, bei Eagle Burgmann, bei Media Markt. Aktuell ist er Consultant bei der Münchner Firma Cancom. Mansour ist verheiratet, seine beiden Kinder sind in Wolfratshausen geboren. Seit zwei Jahren hat er einen deutschen Pass. Zurück nach Syrien will er nicht. „Ich habe mir hier etwas aufgebaut“, sagt er. Als IT-Fachmann könne er außerdem wenig beitragen, „das Land aufzubauen“, meint er.

Hassan Mansour hat seit zwei Jahren einen deutschen Pass. “Ich hab mir hier was aufgebaut”, sagt er. (Foto: Hartmut Pöstges)

Sein Bruder und sein Vater leben noch in Aleppo, seine Mutter und seine Schwester in der Türkei. Sie wollen zurück in ihre Heimat, wie so viele Flüchtlinge, die in der Türkei und in Libanon Schutz vor dem Assad-Regime gesucht haben. Er höre zurzeit den ganzen Tag Nachrichten, um Neuigkeiten aus seiner alten Heimat zu erfahren. Vor ein paar Tagen war Mansour auf einer Kundgebung am Münchner Odeonsplatz, wo Tausende den Sturz des Diktators gefeiert haben. „Ich habe von vielen gehört, dass sie zurückwollen“, sagt Mansour. Vor allem diejenigen, die sich in Deutschland nicht integriert hätten, nicht die Sprache gelernt und keinen Job hätten. „Sie können zurückgehen, das ist besser für Deutschland“, findet Mansour. Bisher seien die Zeichen, die die neuen Machthaber sendeten, gut. Die Hoffnung auf ein freies, demokratisches Syrien mit fairen Wahlen sei groß. Nach 13 Jahren Bürgerkrieg seien die Leute müde. Mansour glaubt, dass nicht nur viele zurückgehen, sondern auch weniger Syrer nach Deutschland kommen. Nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Denn für die Flucht müssten die Menschen 15 000 Euro bezahlen.

Nur wenige Geflüchtete aus Syrien

Auch im Landratsamt verfolgt man die Ereignisse in Syrien aufmerksam. Zum heutigen Zeitpunkt könne jedoch keine Prognose abgegeben werden, „ob und wenn, wie sich das Geschehen in Syrien auf die Flüchtlingssituation hier vor Ort auswirken wird“, erklärt Pressesprecherin Marlis Peischer. Menschen flüchteten aus vielen Krisenregionen der Welt, weshalb man im Landratsamt nicht davon ausgeht, „dass die Flüchtlingswelle sofort abebben wird.“ Tatsächlich ist die Zahl der syrischen Asylbewerber im Landkreis gering: Von den aktuell rund 920 kommen nur sechs aus Syrien. Insgesamt sind im Landkreis 424 Syrerinnen und Syrer gemeldet, die aber bereits in eigenen Wohnungen leben und arbeiten könnten.

Den Hauptanteil machen im Landkreis Geflüchtete aus der Ukraine aus, deren Zahl zurzeit bei fast 2000 liegt. Sie durchlaufen kein Asylverfahren, sondern haben sofort ähnliche Rechte wie ein anerkannter Flüchtling. Unmittelbar nach der Registrierung bekommen sie einen Aufenthaltstitel und dadurch Zugang zu Arbeitsmarkt und Bürgergeld. „Wenn sie einreisen und noch keinen Ort haben, an dem sie bleiben können“, werde ihnen vom Landratsamt Wohnraum zugewiesen. Es würden deshalb weiterhin dringend größere Unterkünfte gebraucht, erklärt Peischer. Auch der Bauantrag für die Unterkunft in Bairawies werde weiterhin geprüft. In den vergangenen Wochen wurden laut Peischer die Kaserne in Lenggries und die Unterkunft in Münsing Am Schlichtfeld in Betrieb genommen. Im Januar soll die Belegung des Containerdorfs Am Kranzer in Reichersbeuern erfolgen, voraussichtlich im Februar kommt die Unterkunft in der Meichelbeckstraße in Benediktbeuern dazu. 

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