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Syrer aus der Lausitz: „Man kann nicht einfach jetzt gleich nach Syrien. Das braucht viel Zeit und viele Mühen“ | ABC-Z

Interview | Syrer aus der Lausitz

„Man kann nicht einfach jetzt gleich nach Syrien. Das braucht viel Zeit und viele Mühen“


rbb/Screenshot

Audio: rbb24 Brandenburg Aktuell | 07.03.2025 | Sebastian Schiller | Bild: rbb/Screenshot

2014 kam Omar Kassab als Flüchtling nach Deutschland. Heute lebt der selbstständige Unternehmer mit seiner Familie in der Lausitz. Nach dem Sturz von Diktator Assad war er nun erstmals wieder in seiner syrischen Heimat – und träumt von einer Rückkehr.

Vor vier Monaten, im Dezember 2024, wurde Syriens Diktator Assad gestürzt [tagesschau.de]. Damit endete ein dreizehn Jahre dauernder, blutiger Bürgerkrieg nach der Revolution von 2011 mit Hunderttausenden Toten. Der Jubel über den Frieden war groß – auch bei den vielen Geflüchteten aus Syrien, auch in der Lausitz.

Einige träumten schon von einer Rückkehr in ihre Heimat. So wie Omar Kassab. Der 40-Jährige war vor rund zehn Jahren nach Großräschen (Oberspreewald-Lausitz) geflüchtet, lebt und arbeitet dort. Nun hat er erstmals nach dem Sturz von Assad wieder Syrien besucht – vor allem, um seinen getöteten Vater zu finden.

Zur Person

Nahaufnahme von Omar Kassab (Foto: rbb/Screenshot)

rbb/Screenshot

Omar Kassab hat in Syrien Elektrotechnik studiert und als Freiwilliger in einem Waisenhaus gearbeitet. 2014 kam er als Geflüchteter nach Deutschland.

Mittlerweile hat er die deutsche Staatsbürgerschaft. Er lebt er mit seiner Frau, seiner Mutter und seinen fünf Kindern in Großräschen. Dort hat er sich als Unternehmer selbstständig gemacht.

Kassab engagiert sich außerdem im Integrationsbeirat des Landkreises Oberspreewald-Lausitz, ist dort Vorsitzender.

rbb24: Herr Kassab, sie waren im Februar in Syrien. Wie waren ihre Eindrücke?

Omar Kassab: Ich habe zwei Gefühle: große Freude, weil das Land befreit ist – und Traurigkeit, weil das Land zerstört ist. Leider nicht nur das Land, sondern auch die Gesellschaft. Ich war in meiner Heimatstadt Homs. Mehr als 70 Prozent sind schon zerstört. Überall sieht man zerstörte Gebäude, Schulen, Krankenhäuser. Alles ist zerstört.

Haben Sie ihre Stadt wiedererkennt?

Ich war bis 2014 dort geblieben. Da gab es nicht so große Änderungen, weil die schlimmsten Zeiten zwischen 2011 und 2015 waren.

Der Grund für Ihre Reise war ja Ihre Familie.

Die Familie ist für mich das wichtigste Thema. Ich bin nach Syrien gefahren, um Infos über meinen Vater rauszukriegen. Er wurde im Juli 2014 verhaftet. Sie wollten von ihm Informationen über mich haben. [Omar Kassab war nach eigener Aussage Regimegegner und zivil aktiv, d. Redaktion.] Er ist vier Monate und einen Tag im Gefängnis geblieben. Dann haben sie ihn getötet, als sie von ihm nichts bekommen hatten. Er hat gar keine Informationen gegeben. Am 15. November 2014 haben sie entschieden, dass er nicht mehr am Leben bleiben darf.

Sie wissen aber nicht, wo er begraben ist?

Ich habe versucht, Infos rauszubekommen. Ich habe leider gar nichts. Denn die neue Regierung findet jeden Tag Massengräber. Fast jeden Tag finden sie etwas Neues.

Diese Straße hieß ‚Straße des Todes‘, weil sie hier viele Leute umgebracht haben.

Omar Kassab

Sie waren auch im früheren Haus ihres Vaters.

Dort bin ich groß geworden. Diese Straße hieß nach der Revolution [tagesschau.de] „Straße des Todes“, weil dort viele Menschen umgebracht wurden.

In meinem Haus haben Menschen, die die Regierung unterstützt haben, die Möbel geklaut und dann die Stromkabel von den Wänden und von überall rausgezogen. Es wurde auch alles, was für Wasser, Abwasser ist rausgezogen und am Ende haben sie die Wohnung abgebrannt. Aus Hass. Man durfte dort nicht „Nein“ sagen, musste immer alles akzeptieren, was die Regierung macht.

Haben Sie sich bei ihrem Besuch mit jemandem getroffen?

Ich habe viele Leute getroffen, nicht nur Freunde von mir oder Bekannte und Verwandte, sondern auch viele Freunde von meinem Vater. Es war toll, sie wieder gesund zu sehen, sie wieder zu treffen.

Nun gab es in Syrien einen Machtwechsel. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für das Land?

Große Freude. Wenn man auf den Straßen herumläuft, merkt man die Freude, die das Volk hat. Die Leute fühlen sich sicher, sie fühlen sich frei. Das Land ist wieder zurück. Und das ist die Hauptsache. Das Land ist frei.

Von Europa aus hat man den Sturz des Assad Regimes mit Aufmerksamkeit verfolgt. Jetzt, wo der Krieg vorbei ist, heißt es oft, dass die Syrer wieder zurück nach Syrien können.

Das ist ganz schwer. Denn es gibt dort Städte, die schon fast komplett zerstört sind. Es gibt keine Häuser, keine Schulen, keine Krankenhäuser. Man kann nicht einfach jetzt gleich nach Syrien. Das braucht Zeit. Das braucht viel Zeit und auch viele Mühen.

Omar Kassab macht mit einem seiner Söhne Schularbeiten (Foto: rbb/Screenshot)
Omar Kassab mit einem seiner Söhne | Bild: rbb/Screenshot

Ich habe natürlich darüber nachgedacht zurückzukehren. Das ist unsere Heimat und unsere Kultur, unsere Leute, die die gleiche Sprache, die gleiche Kultur haben. Aber es ist keine kleine Entscheidung. Es ist eine schwierige Entscheidung. Ich bin von Syrien wegen der Kinder geflüchtet. Wenn ich jetzt so eine große Entscheidung treffe, dann auch wegen der Kinder.

Die Großen gehen hier in die Schulen. Es ist jetzt nicht so einfach. Hier gibt es ein ganz anderes Schulsystem. Ich denke, jetzt direkt zu entscheiden, nach Syrien zurückzugehen, wäre für die Kinder besonders schwer, weil sie viel Zeit brauchen, um sich dort wieder zu integrieren und das Schulsystem dort zu verstehen, in einer ganz anderen Sprache. Ja, sie beherrschen Arabisch, sie schreiben Arabisch, aber sie haben nie auf Arabisch Mathe und Physik und Chemie, Geschichte gelernt.

Drei von ihnen haben Syrien nie gesehen.

Jakob, Leya und Yuossof sind hier in Deutschland geboren. Mahmoud ist nach der Revolution 2012 geboren und Abeer 2010, vor der Revolution.

Sie haben ja mittlerweile auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Sehen Sie sich überhaupt nochmal in Syrien wohnen?

Ich wünsche mir sowas. Das Land braucht uns unbedingt. Ich denke, bei den Syrern, die in vielen verschiedenen Ländern sind, gibt es viele, die den Willen haben, wieder nach Syrien zurückzufahren. Die Leute haben eigentlich wirklich große Hoffnung. Viele wollen etwas für das Land machen. Sie wollen das Land wieder aufbauen, wieder alles richtig machen. Aber wie gesagt, das braucht viel Zeit.

Im Bundestagswahlkampf waren die Migration und die Rückkehr von Geflüchteten in ihre Heimat die bestimmenden Themen. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Weil ich auch gleichzeitig der Vorsitzender des Integrationsbeirats im Landkreis bin, höre ich viel. Es gibt ehrlich gesagt viele Migranten, die Ängste haben und sich Sorgen machen. Die Zukunft ist für sie irgendwie unklar, besonders die der Syrer.

Ich persönlich bin seit zehn Jahren hier in Deutschland und hatte wirklich keine schlechten Erfahrungen. Ich höre leider viel. Aber hier im Landkreis haben wir immer eine Lösung gefunden und es hat bis jetzt immer gut geklappt.

Es war auch die Rede davon, gerade durch die AfD, dass Menschen mit Migrationshintergrund zurückgeschickt werden, auch, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Macht Ihnen das Sorgen oder sehen Sie das entspannt?

Mir persönlich nicht, nein. Aber wie gesagt, es gibt viele, die sich Sorgen machen und Ängste haben. [Wenn es stärker werden sollte,] sehe ich für meine Kinder keine gute Zukunft, leider. Man muss vielleicht einen Plan B haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Phillipp Manske und Sebastian Schiller für Antenne Brandenburg und rbb24 Brandenburg Aktuell. Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung.

Sendung: Antenne Brandenburg, 06.03.2025, 16:10 Uhr


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