SWR-„Tatort: Stelzenmann“ mit Ulrike Folkerts | ABC-Z
Es ist eine anerkannte Einsicht, dass „schwarze Pädagogik“ zu gebrochener Persönlichkeit führen kann. Ammenmärchen bedienen sich bei Urängsten und den Manifestationen in Schreckensgestalten. Der „schwarze Mann“, gruselige Gestalten wie mancherorts in der Fassnacht üblich, Knecht Ruprecht mit seiner Rute, aber auch ein drohendes „Gott sieht alles“ – solche Vorstellungen können bei Kindern posttraumatische Belastungsstörungen bewirken.
Einsperren bis zur vollkommenen Hoffnungslosigkeit
Oder sie produzieren Untertanengeister, Menschen, die sich permanent im Überlebensmodus befinden. Ausharren im dunklen Wald, Einsperren bis zur vollkommenen Hoffnungslosigkeit, ein Hamster im Rad als einziger Spielgefährte, so hat es der Täter ausgeheckt, der in einer der beiden Eröffnungen des „Tatort: Der Stelzenmann“ Handlung für Handlung das Gefängnis bereitet für ein Kind, das er gleich entführen und am liebsten nie mehr freilassen wird.
Im zweiten Prolog dieses Krimis taumelt der achtzehnjährige Swen (Samuel Benito) durch die Nacht. Betrinkt sich im Club, ist nicht Herr seiner Sinne, nimmt den Bus, wo ihn etwas Bestimmtes an einem Fahrgast in Panik versetzt. Swen flüchtet, verrammelt sich in der gerade bezogenen Wohnung. Dass er im Gefängnis seiner Vorstellungen lebt, ist auch ein „Lebenslänglich“. Swen wurde vor zehn Jahren vom selben Täter entführt und nach elf Wochen freigelassen. Warum, weiß keiner.
Grauen und seelische Zerstörung
Miguel Alexandre (Regie) und Harald Göckeritz (Buch) setzen im ersten „Tatort“ des Jahres auf das Grauen und die Darstellung seelischer Zerstörung. Die Konstellation, auf die sie setzen, ist nicht neu, aber wirkungsvoll. Der erwachsene Sadist, der im Bann der Mutter/Großmutter, die an ihm Schreckliches beging, sich Stellvertreter-Opfer sucht, mag in der Realität selten vorkommen, kulturell ist er ein festes Muster.
Nicht selten ist bei solchen Erzählungen Misogynie im Spiel, aber es könnte hier auch so sein, dass die weibliche Person, die einst mit dem „Stelzenmann“ drohte, genauso wahnsinnig ist wie der Kindesentführer selbst. Der nun den kleinen Paul (William Vonnemann) auf dem Schulweg entführt und eine Zeugin mit voller Absicht überfährt.
Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Johanna Stern (Lisa Bitter) haben inzwischen gleich drei neue Kollegen ins Ermittlungsteam zu integrieren. Wie sich zeigt, erledigt sich das von selbst. Der LKA-Mitarbeiter Kurt Breising (Bernd Hölscher), im letzten Ludwigshafener „Tatort“ noch ein Kotzbrocken, setzt dieses Mal genauso auf Teamplay wie die Nachwuchskräfte Mara Herrmann (Davina Chanel Fox) und Nico Langenkamp (Johannes Scheidweiler), die Odenthal und Bitter und uns zeigen, dass der Zeitgeist 2025 besser auf Kooperation und Freundschaft stehen sollte. Mit Einzelheiten halten sich Alexandre und Göckeritz nicht auf, die „Backstory“ der Polizisten scheint ihnen und der spannungsbildenden Kamera von Eva Maschke (mit Miguel Alexandre) schlicht egal.
Der Fokus liegt auf der Geschichte der perfiden psychologischen Abhängigkeitsbeziehung von Swen und dem Serientäter, der nun Paul in seiner Gewalt hat. Samuel Benito, der in der Verfilmung des „Zeit Verbrechen“-Podcasts gerade einen hilflosen jungen Mann spielte, der von Polizisten in Eiseskälte zum Sterben auf einer Landstraße ausgesetzt wird, gibt hier wiederum eine erschütternde Vorstellung. Warum sich seine Figur, Swen, bei der Suche nach Pauls Entführer unkooperativ verhält und nur zwischen den Folianten eines Antiquariats Ruhe findet, wird erst spät enthüllt.
Zum Teil rätselhaft bleibt „Der Stelzenmann“ bei aller Emblematik der Motive, das ist seine Stärke. Dass dieser „Tatort“ darüber hinaus zum Ende hin Bilder der Heilung anbietet, macht ihn ebenfalls sehenswert. Das Selbstbewusstsein kann sich trotz schlimmster Unterdrückung entwickeln, davon geht dieser Krimiauftakt des Jahres 2025 aus.