Israels Wirtschaft ist trotz Krieg und Imageverlust erstaunlich stabil | ABC-Z

Sie hat schon einige Krisen im Land mitgemacht, aber so etwas wie derzeit hat Charme Rykower noch nicht erlebt. Seit 17 Jahren arbeitet die Münchnerin in Israel, ist stellvertretende Geschäftsführerin der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer. Sie und ihr Team beraten deutsche Unternehmen, die in Israel investieren wollen. Die Stimmung im Land hat sich in den vergangenen Monaten extrem verändert. Die Mehrheit der Menschen zeigt sich immer unzufriedener mit dem Vorgehen der Regierung von Benjamin Netanjahu, es kommt regelmäßig zu massenhaftem Protest. Auch das Wirtschaftsleben leidet.
Die immer schärfere internationale Kritik am Vorgehen im Gazastreifen führt zu einem Imageverlust Israels. Das spürt auch die Kammer-Vertreterin. Delegationsreisen aus Deutschland fänden seit dem 7. Oktober 2023 – dem Tag des Überfalls der Hamas auf Israel – so gut wie nicht mehr statt, sagt sie. „Deutsche Geschäftsreisen fallen derzeit komplett aus.“
Die größten Investoren
Generell gelten die USA als wichtigster Wirtschaftspartner Israels, doch längst hat die Europäische Union diese Rolle übernommen. Unternehmen aus den 27 EU-Mitgliedstaaten halten mit mehr als 72 Milliarden Euro zusammen doppelt so viele Investitionen im Land wie amerikanische. Umgekehrt haben israelische Firmen in der EU knapp 66 Milliarden investiert, siebenmal mehr als in den USA. Allerdings sind die Geldflüsse seit Oktober 2023 um mehr als ein Viertel eingebrochen.
Größter europäischer Investor sind mit weitem Abstand die Niederlande, zum Teil auch deshalb, weil das Land eine beliebte Steueroase ist und europäische Unternehmen dort Briefkastenfirmen eingerichtet haben. Drittgrößter Investor sind die Kaimaninseln, auch sie sind als Steuerparadies und Heimat zahlloser Briefkastenfirmen für Unternehmen aus anderen Staaten bekannt. Die beiden wichtigsten Branchen, in die ausländische Gelder fließen, sind die Halbleiter- und die IT-Branche.
Anleger ziehen sich zurück
Die großen Konzerne, die in Israel tätig seien, führten ihre Geschäfte weiter, berichtet Rykower, viele hätten jedoch ihre Hauptsitze aus Israel in andere Länder verlegt, allen voran in die USA. Die Lage in dem Land, das immer wieder von Raketen aus Nachbarländern beschossen wird, sei vielen zu unsicher. Neuinvestitionen seien im Moment nicht zu erwarten.
Große Investoren aber ziehen inzwischen ihre Gelder ab: Norwegen, dessen Staatsfonds mit einst 1,9 Milliarden Dollar im Land engagiert ist, hat dieser Tage angekündigt, sich wegen des Gazakriegs schrittweise zurückzuziehen. Die Zurückhaltung von Geldgebern spürt gerade der für Israel wichtige Start-up-Sektor stark: Laut einem Report von IVC, GNY und KPMG Investors flossen 2024 nur 1,15 Milliarden Dollar an Risikokapital ins Land, ein Jahr davor waren es noch zwei Milliarden. Das ist weniger als in allen zehn Jahren zuvor.
Mit großer Sorge betrachtet die Kammer-Vertreterin die von der EU angekündigten Sanktionen gegen Israel. Als Reaktion auf die Entwicklungen im Gazastreifen erwägt die Europäische Kommission unter anderem, Freihandelsvorteile zu streichen. „Sanktionen oder weitere Zölle würden Israel wirklich hart treffen“, meint Rykower. Die EU hat mit Israel seit 2000 ein Assoziierungsabkommen, das Visumserleichterungen und eine Freihandelszone beinhaltet. Waren aus den seit 1967 besetzten Gebieten sind davon ausgenommen.
Die Stärken der israelischen Wirtschaft
Israel ist ein exportorientiertes Land, das sich in den vergangenen Jahrzehnten krisenfest aufgestellt hat. Es investierte in Forschung und Entwicklung, vorangetrieben durch eine traditionell starke Rüstungsindustrie. Israel gibt mehr als jedes andere Land für Forschung und Entwicklung aus, zuletzt waren es sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts – doppelt so viel wie Deutschland, aber auch mehr als ein Drittel mehr als die USA oder Japan.
Daraus ging eine hohe Zahl an Start-ups im Bereich Spitzentechnologie hervor. Schlüsselindustrien wie Halbleitertechnik, Cybersecurity sowie die pharmazeutische und chemische Industrie tragen zur Wirtschaftsstärke bei. Staatliche Anreize wie Steuervorteile und Zuschüsse für Unternehmen, die Investitionen in technologische Entwicklung und Exporte tätigen, entfalten zusätzliche Wirkung. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung gut ausgebildet ist und das Land bestens in die internationale Finanzwelt integriert ist.
So gelang es Israel stets, Krisen und Kriege abzufedern. Auch jetzt beweist die Wirtschaft ihre Belastbarkeit. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg 2024 real um 0,9 Prozent – trotz der schwachen globalen Konjunktur und des kriegsbedingten Arbeitskräftemangels. 2025 sollte sie Prognosen zufolge um 3,5 Prozent wachsen.
Doch die Kriegskosten belasten die Wirtschaft. Nach Schätzungen hat der Konflikt bis Ende 2024 Verluste von mehr als 67,5 Milliarden Dollar verursacht, sowohl als Rüstungsausgaben als auch zusätzliche zivile Kosten und Gewinneinbußen für Unternehmen – eine enorme Last für ein Land mit einer Wirtschaftsleistung von insgesamt 540 Milliarden Dollar jährlich.
In diesem Jahr liegt das Staatsdefizit laut dem israelischen Finanzministerium bei rund fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, nach knapp sieben Prozent im Jahr 2024. Die Staatsschuldenquote ist auf 71 Prozent gestiegen. Sie ist damit etwas höher als in Deutschland, aber noch deutlich niedriger als jene in Italien, Frankreich oder den USA.
Die wichtigsten Geldgeber Israels
Dass die israelische Wirtschaft dennoch nicht abstürzt, erklärt sich aus den enormen Summen, die staatliche wie nicht staatliche Akteure aus unterschiedlichsten Motivationen ins Land schicken. Größter Unterstützer mit Abstand ist die US-Regierung: Laut einem für zehn Jahre geltenden Memorandum of Understanding, dessen Zeitraum sich von 2019 bis 2028 erstreckt, erhält Israel pro Jahr 3,8 Milliarden Dollar an Rüstungshilfe, etwa für die Raketenabwehr Iron Dome. Das Geld ist zweckgebunden und soll für Einkäufe bei US-Unternehmen verwendet werden, kann aber zu einem Teil von Tel Aviv auch dazu genutzt werden, um bei israelischen Rüstungsunternehmen einzukaufen. Eine Studie der Brown University bezifferte die jährlichen Rüstungshilfen aus den USA auf insgesamt 22,8 Milliarden Dollar, inklusive aller Munitionsverkäufe und die Abgabe gebrauchter Waffen.
Eine zweite große Unterstützergruppe sind Spenden von jüdischen Gemeinschaften und Unterstützern aus dem Ausland, die Datenlage dazu ist allerdings unübersichtlich und oft inaktuell. Nach einer Studie der Universität Tel Aviv aus dem Jahr 2021 und einer älteren aus dem Jahr 2012 (Brandeis University) fließen jährlich um die zwei Milliarden Dollar von privaten Geldgebern an israelische Institutionen, die Hälfte davon kommt aus den USA. Im langfristigen Trend sollen diese Spenden allerdings abgenommen haben, heißt es nach Medienberichten.
Eine dritte Gruppe an Finanziers sind die Kreditgeber: Israels Staatsschulden werden in der Mehrheit von lsraelis selbst gehalten, nur knapp 15 Prozent seien in der ausländischen Währung, heißt es in einem Bericht des Finanzministeriums. Im März 2024 hatte die Regierung in Jerusalem Anleihen im Wert von acht Milliarden Dollar ausgegeben, im Februar 2025 folgten weitere fünf Milliarden Dollar, mit Laufzeiten zwischen fünf und 30 Jahren. An Zinskosten muss die Regierung inzwischen jedes Jahr rund 50 Milliarden Schekel (15 Milliarden Dollar) aufwenden.
Dagegen nehmen sich die 1,8 Millionen Euro, die die EU im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik an Israel jährlich überweist, vergleichsweise klein aus. Diese Überweisungen hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen allerdings infrage gestellt. Staatliche Entwicklungshilfe aus dem Ausland bekommt Israel nicht mehr, da es längst den Status als Industrieland erreicht hat. Große Hilfsorganisationen unterstützen hauptsächlich Projekte in den Palästinensergebieten, die nun großteils von Israel besetzt sind. Geringe staatliche Hilfsgelder aus Deutschland fließen derzeit nur noch ins Westjordanland, die über die Palästinensische Autonomiebehörde vergeben werden, teilte das Bundesentwicklungsministerium mit.





















