Berlin

Super-Recognizerin beim LKA: “Gesichter sind für uns unsere Welt” | ABC-Z

Interview mit Super-Recognizerin beim LKA

“Gesichter sind für uns unsere Welt”


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Audio: rbb24 Inforadio | 23.07.2025 | Henning Wächter | Bild: picture alliance/dpa/Arne Dedert

Beim LKA arbeiten seit einiger Zeit auch Menschen, die sich Gesichter außergewöhnlich gut merken können. Manchmal laufen sie in großen Menschenmassen – auf der Suche nach einer Person. Eine “Super-Recognizerin” berichtet über ihre besondere Fähigkeit.

rbb: Sie sind eine der fünf sogenannten “Super-Recognizer” beim Berliner Landeskriminalamt und wollen anonym bleiben. Wir nennen Sie deswegen jetzt Claudia. Warum dürfen wir Ihren echten Namen nicht nennen?

Claudia: Damit wir für Einsätze weiter operativ genutzt werden können – deswegen die Geheimhaltung.

Das heißt, man kann Ihre Arbeit tatsächlich eine Art permanente, verdeckte Ermittlung nennen?

Permanent würde ich jetzt nicht sagen, weil wir ja auch viel am Rechner sitzen und uns Bilder und Videos anschauen. Aber grundsätzlich, wenn wir operative Einsätze unterstützen, ist es sinnvoll, dass man uns nicht kennt.

Sie arbeiten also teilweise in der Öffentlichkeit und teilweise aber auch am Bildschirm. Was überwiegt in Ihrer Arbeit?

Überwiegend sind wir tatsächlich mit den Bildern beschäftigt. Wir haben so viele Aufträge, dass wir mehr als genug zu tun haben, weil wir auch noch eine kleine Einheit sind. Und wir haben für die Gesamtbehörde Aufträge vorliegen – in jedem Deliktsbereich und von jeder Dienststelle. Und Berlin ist sehr groß. Es gibt viel, viel, viel Material, was anzuschauen ist und deswegen sitzen wir sehr viel vor dem Rechner.

Suchen Sie nach einzelnen Personen oder haben Sie ganz, ganz viele Gesichter im Kopf, auf die Sie achten sollen und müssen?

Grundsätzlich ist es so, dass wir mit einem konkreten Auftrag eingesetzt werden. Es gilt, bestimmte Personen in der Masse zu finden und darauf zu achten, ob sie anzutreffen sind. Dann sollen wir den uniformierten Kräften zuarbeiten, damit dann entweder ein Zugriff oder ein Ansprechen erfolgen kann, je nachdem, welche Maßnahmen notwendig sind.

Das heißt, wir arbeiten zu und haben den vorherigen Auftrag zu Personen und konkrete Bilder, die man sich anschaut – zur Fußball-EM waren es ungefähr 50 Personen, um die wir uns gekümmert haben, die wir versucht haben, in der Menge zu finden.

Im Einsatz muss das Bild im Kopf sein, das muss sitzen und dann muss man in die Menge schauen und dieses Bild im Hintergrund immer abrufen.

Claudia*, Super-Recognizerin beim LKA

Und die müssen Sie dann alle gleichzeitig im Kopf haben? 50 Personen, nach denen Sie gleichzeitig eine große Anzahl von Menschen scannen oder absuchen.

Genau. Wir kennen die Personen nicht persönlich, wir haben halt nur ein Bild gesehen. Dann ist die Frage: Wie früh bekommt man die Bilder zu sehen?

Bei Ad-hoc-Einsätzen kann es ja auch mal sehr kurzfristig sein. Dann brennt sich das Bild im Kopf ein. In der Masse haben wir nicht die Möglichkeit, nochmal nachzuschauen in dem Augenblick – vor dem PC ist es einfacher, wenn man das Bild vor sich liegen hat. Aber im Einsatz muss es im Kopf sein, das muss sitzen und dann muss man in die Menge schauen und dieses Bild im Hintergrund immer abrufen.

Ich stelle mir das wahnsinnig anstrengend vor – bei einer solche Masse von Menschen und dann unter Hunderten oder Tausenden zu gucken, ob man jemanden erkennt. Allein bei dem Gedanken daran platzt mir fast der Kopf.

Ja, das passiert bei uns manchmal auch. Natürlich ist das anstrengend. Das verlangt viel Konzentration, und dazu muss man sich in der Menge bewegen. Aber Gesichter sind für uns unsere Welt, das ist das, was wir sofort wahrnehmen. Aber es ist trotzdem anstrengend, keine Frage.

Und man kann Sie auch nicht täuschen, wenn man eine andere Frisur hat oder wenn man einen Vollbart wachsen lässt oder 20 Kilo abnimmt?

Grundsätzlich gehören diese Dinge nicht zu den Gesichtsmerkmalen – das sind zwei Augen, eine Nase, ein Mund. Es ist immer das gesamte Gesicht, was wir erfassen.

Und dann gibt es noch die anderen Merkmale: Sachen wie Tattoos, den Bart, eine Brille. Wenn Sie sich jetzt eine Perücke aufsetzen, einen Bart ankleben – sowas haben wir auch schon gehabt –, dann würden wir die Person trotzdem wieder erkennen, denn die Nase bleibt gleich.

Man kann es nicht erlernen. Es ist einfach da – eine Fähigkeit, die man besitzt.

Claudia*, Super-Recognizerin beim LKA

Ihre besondere Fähigkeit, kann man das trainieren oder müssen Sie das vielleicht sogar?

Man kann es nicht erlernen. Es ist einfach da – eine Fähigkeit, die man besitzt. Und trainieren kann man es auch nicht. Es ist schon so, dass man im Laufe der Zeit sicherer wird, schneller in dem Umgang, gerade wenn man neu dazukommt und sich dieser Fähigkeit gar nicht bewusst war und sie nun hauptamtlich einsetzt. Es ist ja auch etwas anderes, ob ich im Alltag unterwegs bin und jemanden wiedersehe – oder ob ich täglich mehrere solche Aufträge bearbeite.

Wann und wie ist Ihnen überhaupt aufgefallen, dass Sie das können, dass Sie diese besondere Fähigkeit haben?

Es ist mir sehr früh aufgefallen. Schon in meiner Kindheit habe ich gemerkt, dass ich Menschen ganz anders anschaue. Ich habe immer ein Gefühl für das Verhalten von Menschen gehabt, für bestimmte Bewegungen. Bestimmte Menschen sind mir auch immer aufgefallen und auch bestimmte Merkmale in Gesichtern.

Ich bin sehr früh in die Situation gekommen, dass ich so Déjà-vus hatte und immer wieder dachte: ‘Oh, kenne ich, kenne ich.’ Und wenn mein Gegenüber natürlich nicht reagiert hat, war ich immer recht verwundert. Und dann habe ich festgestellt, ich scheine da irgendwas zu haben, besser zu können. Ich hätte es nie als Fähigkeit betitelt.

Das kam jetzt erst durch die Testverfahren – man spricht von Super-Recognizer. Es ist nicht so, dass man es einfach nur ein bisschen besser kann, sondern tatsächlich so viel Fähigkeit davon besitzt, dass man in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen.

Und wie war es dann? Haben Sie gesagt, ich habe erkannt, ich bin da irgendwie anders und besser als die anderen und da frage ich jetzt mal die Polizei, ob sie mich nicht gebrauchen kann?

Ich bin mit absoluter Überzeugung zur Polizei gegangen – und es hatte mit der Fähigkeit überhaupt nichts zu tun. Aber nachdem ich angefangen hatte, merkte ich schnell, dass ich irgendwas kann, was ich nicht erklären kann.

Das war für meine Kollegen ziemlich schwierig. Irgendwann haben sie aufgegeben, haben gesagt: ‘Okay, lass sie einfach machen.’ Sie haben gemerkt, dass das funktioniert. Und das hat sich natürlich auch in der Aufklärungsquote bemerkbar gemacht. Wir haben dadurch viel mehr Taten aufklären können.

Schon in meiner Kindheit habe ich gemerkt, dass ich Menschen ganz anders anschaue.

Claudia*, Super-Recognizerin beim LKA

Lassen Sie uns einen kleinen Blick in die Zukunft werfen: KI ist für so viele Berufszweige ein Buzzword und wird viele Jobs dramatisch verändern. Wie ist das bei Ihnen? Was kann die Technik heute schon erkennen und was erwarten Sie für die nächsten Jahre?

Ich will zu der Technik gar nicht so viel sagen, weil das nicht mein Aufgabengebiet ist – dafür gibt es andere Dienststellen. Aber KI wird natürlich immer mehr und auch hoffentlich noch besser werden.

Ich sehe das so: Wir sind operativ unterwegs, wir machen Recherchen, wir ermitteln selbst. Das kann die KI in den Fällen nicht, die wir auf dem Tisch haben. Wenn man beides kombiniert und KI besser wird, na wunderbar, dann kann ja unsere Arbeit auch nur noch besser werden, dann wären wir vielleicht noch schneller und könnten noch mehr aufklären. Das wäre doch prima.

Glauben Sie, dass Ihre Fähigkeit, Ihr Job, noch lange gebraucht wird?

Davon gehe ich ganz fest aus, ja.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Henning Wächter für rbb24 Inforadio. Bei diesem Text handelt es sich um eine gekürzte und redigierte Fassung des Interviews.


Sendung: rbb24 Inforadio, 23.07.2025, 11:05 Uhr


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