Kultur

“Summertime” von George Gershwin: Sommerlied in Blue | ABC-Z

Billie Holiday, Ella Fitzgerald und Louis Armstrong, Sarah Vaughan, Janis Joplin, Al Green, James Brown, Frank Sinatra, Paul McCartney, Angélique Kidjo, Lana Del Rey, alle haben sie es gesungen, auch Sam Cooke, sanft wiegend, Nina Simone, mit Verzweiflung in der Stimme, und Billy Stewart, der das Lied zum Tanzen brachte. “Summertime, and the livin’ is easy.”

“Sommer, und das Leben ist leicht / Die Fische springen, und die Baumwolle reift / Dein Vater ist reich, und deine Mutter sieht gut aus / Ruhig, kleines Baby, nun weine doch nicht.

Eines Morgens wirst du dich singend erheben / Du wirst deine Flügel ausbreiten und himmelwärts fliegen / Doch bis zu diesem Morgen kann dir nichts etwas anhaben / Mit Daddy und Mommy an deiner Seite.”

Ein Wiegenlied, das zum Welthit wurde, zu einem der meistgeliebten und meistinterpretierten Stücke aller Zeiten.

George Gershwin, der es komponiert hat, und der Schriftsteller DuBose Heyward, der den Text schrieb, haben ihrem Song mächtige Flügel verliehen. Längst hat er sich aus den Armen seiner Schöpfer befreit. Der Saxofonist Albert Ayler hat die Melodie in die rauen Weiten des Free Jazz geführt, der Klarinettist Tony Scott spielte Summertime mit indonesischen Musikern. Es gibt Aufnahmen aus Brasilien, Jamaika, Afrika und Japan, Versionen in allen Tempi, von Disco bis psychedelisch. Seit 90 Jahren: ein endloser Sommer.

Und nichts ist leicht und einfach.

Folgt man dem Lied zurück zu seinen Ursprüngen, ins Amerika der Zwanzigerjahre, zeigt sich, dass Gershwins Evergreen, das bekannteste Stück aus seiner Oper Porgy and Bess, auch vom Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß handelt, von künstlerischer Aneignung, Solidarität und Schmerz. Wer ist der reiche Vater, wer die schöne Mutter? Wer erntet die Baumwolle? Und was droht dem Kleinen, wenn Daddy und Mommy nicht mehr da sind?

Als die Geschichte von Summertime vor hundert Jahren beginnt, ist George Gershwin 26 Jahre alt. 1898 kam er in Brooklyn als Sohn russisch-jüdischer Immigranten zur Welt, früh zeigen sich Fleiß, Wille und Talent. Mit Anfang zwanzig landet er seinen ersten Broadway-Hit, 1924 schafft er den Sprung von der Musicalbühne in die Konzerthalle: Seine gefeierte Rhapsody in Blue, ein Klavierkonzert in den Farben des Jazz, setzt sich spielend hinweg über die Grenze zwischen der klassischen Musik und jener swingenden Liedkunst, mit der er berühmt wurde.

Nun will er eine Oper komponieren, eine “Jazz-Oper”, und eine solche, schreibt er 1925, müsse eine “Negro opera” sein, lyrisch und ekstatisch, denn der “Negro” habe “so viel von beidem in sich”. Ein solches Werk sei freilich nichts fürs erste Haus am Platz, die Metropolitan Opera, sondern denkbar nur an einem Broadway-Theater. “Ich möchte, dass es mit einer schwarzen Besetzung aufgeführt wird”, erklärt er. “Das wäre eine Sensation und etwas völlig Neues.”

Zur Inspiration wird Gershwin ein Roman, der just in jenem Jahr 1925 erscheint: Porgy von DuBose Heyward. Er liest ihn gebannt, in einem Zug, und man versteht sofort, warum er dieses Buch liebt. Porgy ist ein musikalischer Roman mit einer Sprache, so rhythmisch und melodiös wie die Lieder, die seine Handlung begleiten. Geschrieben von einem Weißen, erzählt er vom Leben der Schwarzen im segregierten Süden, in Charleston, South Carolina. Das Rattern der Karren, das Klackern der Würfel, die Gesänge der Bewohner von Catfish Row, einem Backsteinhaus am Hafen – Heyward errichtet eine klingende Kulisse, in der sich ein existenzielles Drama entfaltet: die Geschichte des herzensguten Krüppels und Bettlers Porgy und seiner Bess, drogensüchtig erst und mit dem Draufgänger Crown liiert, bis der einen Mord begeht und untertaucht. Einen Sommer lang leben die beiden ihr unwahrscheinliches Glück in einer Welt, in der Armut und Rassismus herrschen. Dann zerbricht ihre Zweisamkeit.

In Gershwins Oper verbinden sich Wagner und afroamerikanische Folklore

Bewegt schickt Gershwin dem Autor einen Brief. Doch aus der Oper wird nichts, zumindest nicht gleich, denn Heyward, der das Libretto schreiben soll, und seine Frau Dorothy arbeiten bereits an einer Theaterfassung. 1927 feiert sie am Broadway Premiere; Gershwin eilt unterdessen von Musical-Erfolg zu Musical-Erfolg. Erst 1934 findet er auf Heywards sanftes Drängen hin die Ruhe, sich dem Opernplan und seiner Idee einer genuin amerikanischen Kunstmusik zu widmen, deren Glutkern er im afroamerikanischen Erbe erblickt.

Dessen Einflüsse – Blues, Spirituals, den Jazz – hat er schon als Jugendlicher aufgesogen, als er in der Tin Pan Alley das Songwriter-Handwerk lernte. Die “Blechpfannengasse” in Manhattans 28. Straße ist der Sitz der Schlagerindustrie. Hier hockt der Schulabbrecher Gershwin in den Räumen eines Musikverlages am Klavier und gibt blechern klimpernd die neueste Ware zum Besten, bevor er selbst mit Swanee, Lady Be Good! und I Got Rhythm den Broadway erobert; an seiner Seite: sein Bruder Ira, der die gewitzten Songtexte verfasst.

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