Die Superzitrone – Stil – SZ.de | ABC-Z

Hin und wieder heißt es in dieser Kolumne etwas vorwurfsvoll, das Obstsortiment werde im Zeitalter hoch industrialisierter Lebensmittel immer kleiner. Grundsätzlich ist das leider richtig, aber eben doch nicht immer, weshalb es diesmal umgekehrt sein soll: Heute geht es um das Glück, dass die Auslage im Biosupermarkt ums Eck in diesem Winter um eine wunderbare Frucht erweitert wurde, die Bergamotte. Nun werden einige sich vielleicht maximal daran erinnern, dass die Bergamotte dem Earl-Grey-Tee sein frisches Aroma verleiht. Aber sonst? Viele andere werden einfach fragen: die Berga-what?
Tatsächlich ist kaum bekannt, dass es bei der Bergamotte – eine leicht birnenförmige Kreuzung aus Zedratzitrone oder Limette und Bitterorange, das ist unklar – um die aromatischste und wohl ungewöhnlichste Zitrusfrucht der Welt geht. Denn ihre vielen Vorzüge kommen meist im Verborgenen zum Einsatz. Um herauszufinden, was dieses Obst so wertvoll macht, muss man aber nur mit einem Fingernagel die Schale anritzen. Der Duft des dabei austretenden ätherischen Öls füllt mühelos jeden Raum.
Mit seinen 368 einzelnen Aromakomponenten gehört es zu den komplexesten und teuersten Ölen der Branche, man braucht 200 Kilo Früchte für einen Liter, und weder der Boom der englischen Teeindustrie noch der Erfolg der Parfümeure von Grasse, Paris oder Köln wäre ohne dieses Öl im selben Ausmaß vorstellbar: „Es riecht wie ein italienischer Frühlingsmorgen, wie Bergnarzissen und Zitronenblüten, nachdem es geregnet hat“, schrieb der Parfümeur Giovanni Maria Farina 1708 an seinen Bruder. Farina war der Erfinder des Kölnisch Wasser und der Erste, dem es gelungen war, Bergamotte-Öl zu destillieren.
Außerdem verfügt die Zitrusfrucht über große konservatorische (ihr Öl macht Parfüm auch länger haltbar) und antiseptische Eigenschaften. Dem Arzt Francesco Calabrò, der Landarbeiter in Süditalien behandelte, war aufgefallen, dass diese sich bei der Bergamotte-Ernte oft übel schnitten, die Wunden sich aber nie zu entzünden schienen und schnell heilten. Später half Bergamotte-Öl nicht nur gegen Krätze und andere Hautkrankheiten, sondern auch gegen multiresistente Keime. Sogar sein Einsatz gegen HIV und als Antidepressivum wird getestet.

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Allerdings ist die Pflanze kapriziös, etwa 95 Prozent der weltweiten Ernte stammen aus Südkalabrien, wo die Bäume auf einem schmalen Küstenstreifen zwischen Apennin und der Straße von Messina wachsen. Zwar gedeihen Bergamotten auch anderswo, aber ihr Öl wird dort offenbar weniger aromatisch.
Und der Geschmack? Auffällig ist die extreme Frische, dazu Bitternoten. Manche sagen, die Fusion aus Orange und Zitrone sei klar erkennbar. Doch der Saft ist so sauer, dass man ihn früher fälschlicherweise für giftig hielt. Man muss ihn also ein wenig sozialisieren. Meist wird Sirup daraus gekocht, etwa indem man den Abrieb und den Saft einer Bergamotte mit 250 ml Wasser aufkocht, 100 g Zucker zugibt und dann für etwa 15 Minuten sanft einköcheln lässt. Wer die Schale heraussieben möchte, sollte den Sirup vorher ziehen lassen. Danach kann man damit Tortenböden, Nachspeisen oder Cocktails aromatisieren, ähnlich übrigens wie mit kurz aufgekochter Milch oder Sahne, in der man Bergamotte-Abrieb für einige Stunden ziehen lässt. In Italien nutzt man den Sirup auch, um Birnen, Feigen oder Nüsse einzulegen. Fortgeschrittene salzen aufgeschnittene Bergamotten für ein paar Wochen im Einweckglas ein (Rezept wie bei Salzzitronen). Als Gewürz sind sie dann großartig.