Geopolitik

Südafrika: „Schließt das Loch“ – Wo Goldgräber systematisch ausgehungert werden | ABC-Z

Unter der Erde Südafrikas existiert eine kaum zu kontrollierende Parallelwelt: „Zama Zamas“, illegale Goldgräber, die zu Tausenden nach wertvollen Rohstoffen suchen. Die Regierung geht immer entschiedener gegen sie vor. In der Kleinstadt Stilfontein eskaliert die Lage – mit tödlichen Folgen.

Es ist ein absurdes Belagerungsszenario, das sich seit nunmehr zwei Wochen in Südafrikas Kleinstadt Stilfontein abspielt. Dutzende Polizisten belagern im Schichtdienst die Zugangslöcher, die aus einem stillgelegten Bergwerk klaffen. Unter Tage verstecken sich Hunderte Menschen, die dort illegal nach Gold graben, einige Schätzungen gehen gar von mehr als 4000 aus.

Die meisten harren weiter aus, um ihrer Verhaftung zu entgehen. Dabei hatte die Polizei im Zuge der Operation „Schließt das Loch“ zunächst ihre Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser abgeschnitten, eine Ministerin drohte gar offen mit ihrer „Ausräucherung“. Erst in den vergangenen Tagen, als die Proteste der Zivilgesellschaft gegen das harte Vorgehen lauter wurden und zudem ein toter Goldgräber geborgen wurde, ließen die Beamten Anwohner passieren, die Lebensmittel und Wasser unter Tage brachten.

Der Vorfall offenbart eine kaum zu kontrollierende Parallelwelt in Südafrika. Rund 30.000 illegale Gräber von Gold und anderen Mineralien gibt es in dem Land, genannt werden sie hier „Zama Zamas“. Die Regierung geht in diesem Jahr so entschieden gegen sie vor wie nie – 3300 Soldaten wurden dafür eigens abgestellt. Bis in die 1970er-Jahre war das Land der wichtigste Goldproduzent der Welt. Doch die einst unendlich erscheinenden Reserven sind zunehmend erschöpft. 6000 Bergwerke wurden stillgelegt.

Kommerzielle Förderung lohnt sich dort nicht mehr. Aber tief gelegene Reste lösen noch immer einen Goldrausch aus. Gerade in diesen Tagen, nachdem der Goldpreis im Vorfeld der US-Wahlen auf ein Rekordhoch von fast 2800 Dollar pro Feinunze gestiegen war. Zuletzt sank er zwar wieder deutlich, der Preis für das Edelmetall liegt aber seit Jahresbeginn weiterhin rund 24 Prozent im Plus.

Global gesehen, so schätzt es das „Umweltprogramm der Vereinten Nationen“ gemeinsam mit Interpol, hat der illegale Abbau und Handel mit Mineralien jährlich einen Wert von bis zu 48 Milliarden Dollar. Er beträgt rund 20 Prozent der globalen Goldproduktion.

Die meisten „Zama Zamas“ sind mittellose Migranten aus Nachbarländern wie Lesotho, Simbabwe und Mosambik. Doch auch der Anteil der Südafrikaner wächst. Seitdem der African National Congress (ANC) nach seinen desaströsen Verlusten bei den Wahlen im Mai auf eine Koalition mit der liberalen Democratic Alliance (DA) angewiesen ist, ist die Arbeitslosenquote zwar beachtlich gesunken. Doch mit 32 Prozent gehört sie weiter zu den höchsten der Welt. Und in vielen Bergwerken gab es zuletzt Massenentlassungen. Die Betroffenen sehen oft keine andere Erwerbsmöglichkeit, als ihr Handwerk informell fortzuführen.

Für das harte Vorgehen der Polizei, das in diesem Jahr in vielen Bergbaugegenden Südafrikas zu beobachten ist, gibt es zumindest auf den ersten Blick gute Gründe. Schwerbewaffnete Syndikate liefern sich tödliche Konkurrenzkämpfe um die lukrativsten Schächte.

Auch in noch aktive Bergwerke dringen sie vor, dort gibt es immer wieder Schusswechsel mit den Sicherheitsleuten. Derartiges Personal wird immer häufiger eingesetzt, schließlich kalkuliert die Branche allein in Südafrika mit jährlichen Verlusten in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro durch das illegale Handwerk.

Auch die unkontrollierten Sprengungen unter Tage, mit denen die „Zama Zamas“ an die winzigen Goldkörner zu kommen versuchen, verursachen riesige Schäden. Laut offiziellen Statistiken sterben jährlich über 100 Goldgräber in einstürzenden Schächte und an Vergiftungen. Immer wieder sinken auch ganze Straßenabschnitte ab. Und auch die Schäden für die Umwelt sind enorm.

Doch David van Wyk von der emsigen südafrikanischen Bürgerrechtsorganisation „Bench Marks Foundation“ hält den Einsatz der Polizei in der Form dennoch nicht für gerechtfertigt. „So brutal ist die Polizei in der demokratischen Geschichte Südafrikas noch nie gegen ‚Zama Zamas‘ vorgegangen“, sagt er am Telefon. Die nur langsam bröckelnde Strategie der Polizei, weder Wasser noch Essen in die Schächte bringen zu lassen, sei „klar verfassungswidrig“.

Für diese Sicht der Dinge gibt es in den sozialen Medien einigen Gegenwind, viele Südafrikaner befürworten die harte Strategie der Polizei. Van Wyk aber hält den Einsatz für „reine Zeitverschwendung“ und Populismus, mit dem der ANC auf seine Stimmverluste bei den Wahlen reagiere.

Er erkennt zudem „eine gehörige Portion Fremdenfeindlichkeit“, mit der man auf Stimmenfang gehe. Schließlich seien die meisten „Zama Zamas“ Migranten, gegen die im Land generell Stimmung gemacht werde. Die meisten von ihnen seien nicht mehr als schlecht bezahlte Handlanger. Einflussreiche Drahtzieher verschone man dagegen, so sein Vorwurf.

Auch die Bergbaukonzerne würden nicht zur Verantwortung gezogen, sagt van Wyk. Denn die seien nach dem Ende der Förderung gesetzlich verpflichtet, die Schächte so zu versiegeln, dass ein unrechtmäßiger Zugang unmöglich wird. Das finde aber oft nicht statt. Strafen für Firmen, die ihrer Verpflichtung nicht nachkämen, gebe es aber nicht. Genauso wenig wie eine staatliche Strategie, in Gegenden mit schwindenden Rohstoffreserven alternative Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen. „Stilfontein ist eine sterbende Stadt“, sagt van Wyk, „und davon gibt es viele.“

An ein Ende der versteckten Schufterei unter Tage glaubt in Südafrika kaum jemand. Darauf deutet schon der Name hin. „Zama Zama“ bedeutet in der Sprache der Zulu so viel wie: „Probiere es weiter“.

Christian Putsch ist Afrika-Korrespondent. Er hat im Auftrag von WELT seit dem Jahr 2009 aus über 30 Ländern dieses geopolitisch zunehmend bedeutenden Kontinents berichtet.

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