Wirtschaft

Südwest-Grüne wählen Brantner zur Spitzenkandidatin | ABC-Z

Mit dem Versprechen, Wohlstand zu sichern und die infrastrukturelle Modernisierung Deutschlands voranzubringen, starteten die baden-württembergischen Grünen am Samstag in Reutlingen in den Bundestagswahlkampf. Der Spitzenkandidat und noch amtierende Landwirtschafts- und Bildungsminister Cem Özdemir gab mit einer im Kern bildungs- und wirtschaftspolitischen Rede auch einen Ausblick auf den Landtagswahlkampf Anfang 2026. Erkennbar war das Bemühen der Partei, angesichts der wirtschaftlichen Struktur- und Infrastrukturkrise vor allem über die aktuellen Sorgen der Bürger zu sprechen, weniger nur über die ökologische Transformation oder eine liberale Migrationspolitik.

Die Bundesvorsitzende Franziska Brantner und auch Cem Özdemir machten mehrfach deutlich, dass die Grünen bereit sind, mit der Union über eine schwarz-grüne Koalition zu verhandeln und sie hierfür programmatische Brücken sehen. Cem Özdemir bot CDU und SPD, unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl, „ein parteiübergreifendes Zukunfts-Bündnis an“. Es müsse dazu beitragen, Fortschritt, Digitalisierung und Leistung nach vorn zu bringen und auch verhindern, dass „der nächste Verkehrsminister nicht von der CSU“ komme.

Mehrfach zitierte Özdemir den Ende des 18. Jahrhunderts in Reutlingen geborenen Nationalökonomen und Eisenbahnplaner Friedrich List. „Als Basis für Wohlstand braucht es nach List eine freiheitliche Staatsverfassung mit effektiven öffentlichen Institutionen, Infrastruktur und geistiges Kapital.“ Özdemir zog zugleich eine Unterscheidungslinie zum etatistischen Staatsverständnis der SPD sowie der Linken in der eigenen Partei: „Der Staat war in den letzten Jahren zu oft da stark, wo er sich zurückhalten sollte. Und da schwach, wo er stark sein muss.“ Die Sozialdemokratie müsse sich von der Romantik lösen, dass man mit einseitiger Transfer-Sozialpolitik bei Bürgergeld und Rente die Herausforderungen bei Demographie und Fachkräftemangel lösen könne. „Wohlstand muss erst einmal geschaffen werden, bevor er verteilt werden kann“, sagte Özdemir. Ein Satz, wie man ihn auch von der CDU oft hört.

„Vorne dabei sein, wenn Neues entsteht“

Das Thema Klimaschutz streifte Özdemir nur mit seinem Bekenntnis zur E-Mobilität; über die Bilanz der Ampel-Regierung und die des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck sprach Özdemir nicht. Die Rede war auf die Zukunft orientiert: „Nein, es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, dass Baden-Württemberg ein erfolgreicher Standort bleibt. Aber Angst ist kein guter Ratgeber. Angst lähmt“, sagte er. „Künstliche Intelligenz, klimaneutrale Autos, eine ganz neue, personalisierte Medizin, eine Welt ohne Abfall, mit völlig neuartigen Materialien – gespeist aus den Quellen“ – das seien die Dinge, um die sich die Grünen kümmern wollten.

Auch die Bilanz der grün-schwarzen Regierung in Baden-Württemberg sprach Özdemir nur kurz an. „Ich will fortführen, was Winfried Kretschmann und die Grünen in Baden-Württemberg seit nun 13 erfolgreichen Regierungsjahren zeigen: Vorne dabei zu sein, wenn an allen Ecken und Enden Neues entsteht.“

Erst am Freitag hatte der SWR den Windkraftausbau in Baden-Württemberg bilanziert und festgestellt, dass 2024 nur acht Anlagen gebaut worden sind, sich allerdings 800 Anlagen in der Planung befinden. Außerdem hatte am Freitag eine Landtagsabgeordnete mitgeteilt, dass sie die Grünen verlassen und zur CDU wechseln werde.

Die knapp 200 Delegierten machten die Bundesvorsitzende Franziska Brantner zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl. Brantner bekam 92 Prozent für Listenplatz 1. Ihre Aussage für ein Regierungsbündnis mit der Union fiel deutlicher als bei anderen Bundestagskandidaten aus: „Das Agieren der SPD in der Ukraine-Politik ist kein kluges Abwägen. In der SPD crasht der Woidke-Zug auf den Pistorius-Zug. Wir Grünen stehen für Freiheit und Frieden in Europa.“

„Ich habe nicht fertig“

Mit einem überragenden Ergebnis von 94 Prozent wählten die Delegierten Ricarda Lang auf Platz 2 der Bundestagsliste, ein Gegenkandidat aus Waldshut, der überraschend gegen die frühere Bundesvorsitzende angetreten war, bekam keine einzige Stimme. Die Delegierten feierten sie für ihre Arbeit als Ko-Bundesvorsitzende. Lang griff die CDU deutlich an, man dürfe die Wirtschaft nicht den „Jens Spahns dieser Welt“ überlassen. „In diesem Laden“, sagte sie und meinte ihre Partei, werde sie auch in Zukunft eine Rolle spielen: „In mir steckt noch unfassbar viel Kraft, ich habe nicht fertig.“

Für die Plätze drei, vier, fünf und sechs wählten die Delegierten Agnieszka Brugger (94 Prozent), Sebastian Schäfer (96 Prozent), Sandra Detzer (93 Prozent) und Marcel Emmerich (92 Prozent). Sie gehören dem Bundestag schon an. Damit sind die ersten sechs Plätze gleichmäßig für Regierungslinke und Realos aufgeteilt. Die erste Kampfkandidatur auf Platz 7 entschied die zum linken Flügel gehörende Tierschutzpolitikerin Zoe Mayer für sich. Die noch amtierende Beauftragte für Digitalwirtschaft der Bundesregierung und Kandidatin für den Wahlkreis Stuttgart II, Anna Christmann, unterlag. Sie wurde später auf Platz 13 gewählt.

Bei der Bundestagswahl 2021 erreichten die baden-württembergischen Grünen 17,8 Prozent und brachten zunächst 18 Abgeordnete in den Bundestag, vier wurden direkt gewählt. Die Mannheimer Abgeordnete Melis Sekmen trat im Sommer zur CDU über. Die Grünen hoffen – auch aufgrund der derzeitigen Zuwächse in den Umfragen – auf ein Ergebnis zwischen 15 und 17 Prozent. Je nach Ausgang der Wahl und der Zahl im künftigen Bundestag vertretenen Parteien könnte das nach dem neuen Wahlrecht für 14 sichere Mandate reichen. Özdemir verabschiedete sich nach drei Jahrzehnten in Reutlingen von der Bundespolitik, seine Rede endete mit einer klaren Ansage: „Ich trete an, um die Wahl zu gewinnen.“

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