Stürzen Musk und Trump die USA in eine Verfassungskrise? | ABC-Z

Es war nur der letzte in einer Reihe bizarrer Auftritte: Elon Musk stand im Oval Office neben Präsident Donald Trump und versicherte, alle Schritte des von ihm geleiteten „DOGE“ (Department of Government Efficiency) seien völlig transparent und nur dazu da, „Betrug“ zu vermeiden. In den Behörden und Ministerien im Visier dieses Eifers hatten Trumps Exekutivanordnungen, Musks junge IT-Ingenieure und private Wachleute Chaos und Verwirrung gestiftet. Da der Kongress das Haushaltsrecht hat und Musks Untergebene sich sensible Daten angeeignet haben sollen, war mit dem Säuberungsfuror schnell vorläufig Schluss: Bundesrichter der ersten Instanz blockierten sowohl Trumps Einfrieren bereits bewilligter Mittel als auch Musks Griff nach dem Zahlungssystem des Finanzministeriums.
„Checks and balances“ funktionieren also, wollte man denken. Aber die Ausgebremsten drehen seitdem erst recht auf. Musk ätzte bei X gegen die Richter, die man lieber „absetzen“ sollte. Es könne nicht sein, dass ein einzelner Richter mehr Macht habe als die Exekutive, schimpfte er. Vizepräsident J. D. Vance, Absolvent der Yale Law School, behauptete, Richter seien gar nicht dazu da, die Exekutive zu kontrollieren. Der Präsident selbst beteuerte zwar, sich immer an Gerichtsentscheidungen zu halten, sprach aber auch von einer „Kompetenzüberschreitung“ der Richter.
Sukzessive Übernahme des Verwaltungsapparats
Solche Showdown-Toneffekte veranlassten dann auch Medien wie die „New York Times“ und CNN dazu, vor einer Verfassungskrise zu warnen. Es steht die Frage im Raum, was passieren wird, wenn ein Präsident sich über Gerichtsbeschlüsse hinwegsetzt – und wer sie gegen den Willen von Trump durchsetzen könnte. Die Bundespolizei FBI, bei der Trump bereits mit personellen Umbesetzungen angefangen hat? Der Kongress, in dessen beiden Kammern die Republikaner die Mehrheit haben? Kommentatoren wie Charlie Warzel vom Magazin „The Atlantic“ hatten schon vor den Verbalattacken gegen die Gewaltenteilung von einem „administrativen Staatsstreich“ gesprochen – also von einem Putsch eines Teils der Verwaltung gegen einen anderen.
Auch der Faschismushistoriker Timothy Snyder nannte Musks Eindringen in das Bezahlsystem des Finanzministeriums einen „Coup“, der nicht mit Panzern von Regierungsgegnern, sondern mit mobilen Festplatten und aus der Verwaltung heraus passiere. Fünf ehemalige Finanzminister meldeten sich in der „New York Times“ zu Wort. Laufbahnbeamte durch politische Getreue zu ersetzen bedrohe das System der „checks and balances“ ebenso wie die Sicherheit des Landes. Trumps und Musks Vorgehen richte sich gegen „Menschen, ihren Lebensunterhalt und die verfassungsmäßige demokratische Ordnung, die wir haben“, sagte Larry Summers, Finanzminister unter Präsident Bill Clinton.
Die konkreteste Prognose für das, was nun kommen könnte, lieferten bisher Steven Levitsky und Lucan A. Way in „Foreign Affairs“. Anstelle des analytisch eingeschränkt hilfreichen Begriffs „Putsch“ plädieren sie für das Konzept einer dynamischen Staatsaneignung, wie sie von rechten Republikanern seit Jahrzehnten angestrebt werde und im „Projekt 2025“ der „Heritage Foundation“ ausformuliert sei. Im schlimmsten Fall werde der Verwaltungsapparat sukzessive übernommen, ein Machtübergewicht der Exekutive werde etabliert. Behörden und Gesetze würden langsam zu Waffen gegen die Opposition gemacht. Parallel dazu blieben die tradierten Institutionen äußerlich bestehen, auch das Budgetrecht des Kongresses und die Richterschaft. Wahlen würden weiter abgehalten.
Trump ersetzt Laufbahnbeamte durch Loyalisten
Die beiden Politikwissenschaftler knüpfen an Analysen autoritärer Politik innerhalb formell demokratischer Staaten an und bringen den Begriff „competitive authoritarianism“ (wettbewerbsorientierter Autoritarismus). Bekannt seien ähnliche Systeme aus Ungarn, zeitweise aus Polen oder aus der Türkei. Ein autoritär operierender politischer Führer lasse seine eigene Partei und die Opposition in Wettkämpfe eintreten, die für seine Gegner von Wahl zu Wahl immer schwerer zu gewinnen seien, weil das System zugunsten des herrschenden Machtblocks verschoben werde.
In den Vereinigten Staaten geschah eine solche Verschiebung schon durch die Zulassung von Unternehmensgeldern in der Politik durch die „Citizens United“-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. Das Entscheidende am „wettbewerbsorientierten Autoritarismus“ sehen Levitsky und Way aber in der Schwächung von Gegenkräften. Dabei landeten Oppositionelle nicht im Gefängnis oder vor einem Schautribunal, wie bei einem klassischen Putsch. Vielmehr würden Behörden wie das Finanzamt eingesetzt, um Menschen zum Schweigen zu bringen. Wer ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung am Hals habe, werde sich vielleicht nicht mehr trauen, politischen Widerstand zu leisten.
Theoretisch wären so auch Richter einzuschüchtern, auch wenn das bei rund 800 Bundesrichtern, die in Verwaltungssachen eingreifen können, schwer vorstellbar ist. Realistischer ist da schon, dass durch gezielt geförderte Korruption im Polizeiapparat Gerichtsurteile gegen Regierungshandeln letztlich wertlos werden, wenn niemand sie durchsetzt. Die Autoren geben zu bedenken, dass die „Heritage Foundation“ in den letzten Monaten Hunderte, wenn nicht Tausende Mitarbeiter für den öffentlichen Dienst angeworben habe. Gleichzeitig hat Trump bereits damit begonnen, Laufbahnbeamte durch Loyalisten zu ersetzen und auch bei den Polizeibehörden Entlassungen vorzunehmen.
Sie wollen die Republikanische Partei umbauen
Das Vorgehen, ob man es nun einen „Putsch innerhalb der Verwaltung “ nennt oder in der Zukunft einen „wettbewerbsorientierten Autoritarismus“ aufziehen sieht, ist für die wenigsten Beteiligten reiner Selbstzweck. Während es Trump möglicherweise um die Macht um der Macht willen geht, haben die Autoren des „Project 2025“ oder J. D. Vance eine andere Gesellschaft im Blick – durchaus auch nicht ganz die gleiche, weil viele unterschiedliche rechte Strömungen an dem Projekt beteiligt waren, das im Vorfeld der Wahl Pläne für Trumps Regierungszeit entwarf.
Diese ideologischen Fraktionen versuchen schon seit Jahrzehnten, die Republikanische Partei so umzubauen, dass sie mehr ist als eine möglichst effektive Vertretung der Interessen vermögender Amerikaner. Gemeinsam haben Nationalkonservative, christliche Nationalisten und viele Silicon-Valley-Antidemokraten den Wunsch nach einem Nachtwächter-Staat, der die Wohlhabenden gering besteuert, das Sozialsystem zurückfährt, die Gewerkschaften zerschlägt und an den Grenzen vor allem gegen arme und nichtweiße Einwanderer hart vorgeht.
In einer modernisierten Version hierarchischer Gesellschaftsvorstellungen hielte unterhalb der Elite die Familie das Gebilde zusammen, definiert als Frau, Mann und Kinder. Flankiert wird dieses Denken von Interpretationen der amerikanischen Verfassung, die alle auf eine weitreichende Suspendierung der Gewaltenteilung zugunsten der Exekutive hinauslaufen.
Trump solle sich „wenn nötig“ auch über Gerichtsurteile hinwegsetzen
Vance hat in mehreren Interviews in den vergangenen Jahren gesagt, dass sich ein Präsident Trump wenn nötig auch über Gerichtsurteile hinwegsetzen müsse. Den Konvertiten sollen katholische Theoretiker wie Patrick Deneen inspiriert haben, der einen vom Katholizismus geprägten Staat letztlich über die Demokratie stellen wollen würde.
Auch Adrian Vermeule, der im „Wall Street Journal“ schrieb, Vances „Tweets“ lösten noch keine Verfassungskrise aus, soll einen prägenden Einfluss haben. Der Harvard-Rechtsprofessor, der einen „Common Good Constitutionalism“, eine Methode der gemeinwohlorientierten Verfassungsauslegung, als Gegenmodell zum rein historisch ansetzenden „Originalism“, entwickelt hat, will in der Tradition des katholischen Naturrechts eine Art einheitliche moralische Ordnung als Grundlage des Rechtssystems sehen und in diesem Interesse ebenfalls die Exekutive stärken. Gegen den Originalismus wird eingewandt, dass er beliebige Resultate produziert. Vermeules neue postliberale Rechtslehre war im Juni 2023 Gegenstand einer Tagung der Katholischen Akademie in Berlin.
Werden Trump, Vance und Musk die gegen sie ergangenen Gerichtsurteile nun befolgen? Trump musste jedenfalls von einem Bundesrichter noch einmal ermahnt werden, seinen Finanzierungsstopp bis zur weiteren Klärung zu unterbrechen. Auch ist nicht bekannt, ob DOGE alle Daten aus dem Finanzministerium schon vollständig gelöscht hat.