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„Die Suche nach Kwik“ von Julia Steinmetz | ABC-Z

Es ist schon etwas Spezielles, an Land einem Taucher in voller Tiefseeausrüstung zu begegnen. So geschehen vor ein paar Monaten in Hamburg bei der Begleitausstellung zur Publikation des Comics „Die Suche nach Kwik“ von Julia Steinmetz. Unter dem schweren Taucherhelm: die Autorin höchstpersönlich. Sie war in die Rolle des Wirts einer Spelunke namens „Smaragdstrumpf“ geschlüpft, der und die ihrerseits wichtige Rollen für die Handlung dieser Abenteuergeschichte spielen.

Der volle Titel des beim Berliner Schaltzeit Verlag erschienenen Bandes lautet „Die Suche nach Kwik – Aus den Aufzeichnungen des Cosmas von Zwavel. Erster Teil: Von Kwelling nach Swammerdam“. Damit ist man betreffs dessen, was darin erzählt wird, immer noch nicht viel klüger, aber man weiß schon einmal, dass es eine Fortsetzung geben wird, und die barocke Benennung verweist auf die ungefähre Handlungszeit. Ich würde sie angesichts der Staffage des Geschehens (Kleidung, Architektur, Schiffstypen, Pestärzte) im siebzehnten Jahrhundert ansiedeln. Da passt zwar die Taucherausrüstung nicht recht hin, doch das schwere Ledergewand mit dem Metallhelm ist über die gängigen Jules-Verne-Assoziationen derart retro, dass sich niemand daran stören wird. In Zeiten von Steampunk-Begeisterung sowieso nicht. Und da am Schluss des Buchs die historische Okkultistin Helena Blavatsky einen Auftritt hat, ist eh jede chronologische Konsistenz aus den Fugen, denn die lebte im 19. Jahrhundert.

Die Comic-Kolumne von Andreas PlatthausF.A.Z.

Cosmas von Zwavel ist ein Apotheker aus dem im Binnenland gelegenen Ort Kwelling, und er vermisst seinen Freund Willem Aurelius Kwik, dem er dann aus Sorge über einen Fluss und den nahen Kluntjesund in die Hafenstadt Swammerdam nachreist, womit wir so ziemlich alle Bestandteile des Titels beisammen haben – aber immer noch nicht viel mehr wissen. Denn Julia Steinmetz hat eine Phantasielandschaft geschaffen, und ein Phantasiepersonal dazu. Das sieht man gleich, denn Cosmas trägt die Züge eines Totenkopfs. Realismus ist hier nicht zu erwarten.

Aus vielerlei Quellen gespeist

Wozu auch? Abenteuergeschichten leben ja gerade davon, dass darin Anomales geschieht. Besonders reizvoll ist das, wenn es jemandem widerfährt, der eigentlich nur ganz normal leben wollte. Wie Cosmas. Aber nachdem er seinen Hausfrosch Hieronymus aus dessen Terrarium in die freie Wildbahn entlassen hat, weil die mehrwöchige Reise bevorsteht, lässt er sich in aller bürgerlichen Unschuld auf die Unwägbarkeiten einer Überfahrt ein, die denn auch Herausforderungen bereithält, mit der in nördlichen Gewässern nicht zu rechnen war. Menschenfressende Sirenen zum Beispiel.

Seite 79 aus „Die Suche nach Kwik“
Seite 79 aus „Die Suche nach Kwik“Schaltzeit Verlag

Man sieht schon: Steinmetz würfelt zahlreiche Quellen durcheinander, um ihre eigene Welt zu erschaffen. Das tat sie vor allem während eines einmonatigen Stipendienaufenthalts in Marseille vor zwei Jahren. Die dortige maritime Atmosphäre befeuerte die Arbeit an einem Erzählprojekt über die Kapitänin Frauke de Vries und ihren Maat Jens A. Fokker, die gemeinsam auf der „Békassine“ segeln, einem Frachtschiff, das den Namen der frühesten französischen Comic-Heldin trägt (und zugleich „Barkasse“ anklingen lässt). Es tritt samt seiner Besatzung auch in „Die Suche nach Kwik“ auf: Auf ihm fährt Cosmas – dessen Name sich wiederum von einem als Heiligen verehrten Arzt der Spätantike herleitet – nach Swammerdam.

Das Cover von „Die Suche nach Kwik“
Das Cover von „Die Suche nach Kwik“Schaltzeit Verlag

Apokalypse in Aussicht

In Marseille hatte Steinmetz eine sechsseitige Kurzgeschichte namens „Landgang“ über De Vries und Fokker gezeichnet, die auch schon ein phantastisches Element enthielt, indem die Kapitänin bei einer Schatzsuche in einer Grotte auf einen Hippokampen stößt, eines jener Fabelwesen, die sich früher als Zeichnungen auf Seekarten fanden.

Diese Übernahme wiederholt sich in der Cosmas-Geschichte mit den Sirenen. Und man darf wohl hoffen, dass die Crew der „Békassine“ im angekündigten zweiten Teil der „Suche nach Kwik“ wieder zurückkehrt.

Seite 79 aus Julia Steinmetz’ Comic „Die Suche nach Kwik“
Seite 79 aus Julia Steinmetz’ Comic „Die Suche nach Kwik“Schaltzeit Verlag

Wobei es faszinierend ist, die sechsseitige Kurzerzählung mit dem viel längeren Buchprojekt zu vergleichen. Ist „Landgang“ noch erkennbar vom mediterranen Licht Marseilles inspiriert, also sommerlich farbenfroh, steht „Die Suche nach Kwik“ im fahlen nordeuropäischen Licht. Und Cosmas’ schreckenerregendes Äußeres (das allerdings niemanden in seiner Umgebung zu stören scheint) trägt zusätzlich zu einer faustischen Stimmung bei, die auf seiner Reise alles infrage stellt, was die Welt im Innersten zusammenhält. Dass der Folgeband mit dem Titel „Von Swammerdam bis ans Ende der Welt“ angekündigt wird, ist bezeichnend. Apokalyptische Anzeichen gibt es einige – nicht nur das Aussehen von Cosmas, das ihn als nicht den Lebenden zugehörig ausweist.

Julia Steinmetz’ Comic ist aus der Zeit gefallen – inhaltlich wie ästhetisch. Aber das macht ihn eben auch ausgefallen. Genre-Comics haben keinen großen Marktanteil in Deutschland. Dies hier ist einer: Phantastik. Phantastisch auch, dass es dafür einen Verlag gab. Nun muss nur noch Teil zwei folgen. Und darin dann gern mehr zur „Békassine“ und ihrer bärbeißigen Kapitänin. Möge auch der Name der Autorin so bezugsreich sein wie der ihrer Figuren: Dann wird sie fleißig formgebend tätig sein.

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