Studentin Wilma: „Uns ist kognitiv, dass wir wahnsinnig privilegiert sind“ | ABC-Z

Wilma Schneider ist erschöpft. Sieben Stunden hat sie gearbeitet. Am Stück. Putzen. Ihr blond gefärbtes Haar klebt. „Das ist alles Putzmittel“, sagt sie und kämmt sich mit den Fingern durch den langen Zopf. Das Make-up ist verwischt. Sie lässt sich auf den Stuhl im Café fallen, in dem wir uns treffen. Lehnt sich zurück. Und schnauft durch.
Das Putzen, das ist nicht ihr Hauptberuf. Damit hat sie erst vor ein paar Wochen angefangen. Eigentlich studiert sie. Kommunikationsdesign, drittes Semester. Vor einem halben Jahr ist sie nach München gezogen. Lebt in einer WG mit zwei Freundinnen. Für ihr Zimmer zahlt sie 650 Euro im Monat. Für 11 Quadratmeter. Ein halbes Jahr lang hat sie danach gesucht. „Insgesamt zahlen wir 2000 Euro“. Sie hätten genommen, was sie kriegen konnten. 2000 Euro. Für 60 Quadratmeter. „Ich glaube, das ist für München echt okay.“
„Papa zahlt Unterhalt. Und Kindergeld.“
Wilma Schneider ist 22 Jahre alt. Klassisch Gen Z. Sie ist jung. Sie war nach dem Abi erstmal reisen. Sie studiert, was Kreatives. Sie geht auf Partys. Und sie wird von ihren Eltern unterstützt. „Papa zahlt Unterhalt. Und Kindergeld“. Auf etwas über 1000 Euro kommt sie damit. „Das reicht halt nicht.“ Deshalb geht sie jetzt putzen. Bei der Bekannten einer Freundin. Und bei deren psychisch krankem Stiefsohn. „Ist nicht geil. Aber das Geld stimmt. Ist schon okay“. Sie sieht es als Übergangslösung. Im nächsten Jahr würde sie gern an ihrer Fakultät arbeiten. Wie viel am Ende vom Monat übrig bleibt? „Nothing.“ Sie lacht. „Ist jetzt nicht die Zeit, um groß was anzusparen.“
So wie ihr geht es vielen. Bei den meisten deutschen Studierenden ist das Geld knapp:
Und doch. Das Gefühl, große Abstriche machen zu müssen, hat Schneider nicht. „Klar, ich würde schon gerne öfter neue Klamotten kaufen. Aber das ist aus Sicht der Nachhaltigkeit sowieso scheiße. Das ist schon okay.“
In ihrem Studiengang arbeiten „quasi alle“ nebenher. „Und trotzdem werden wir alle noch von unseren Eltern unterstützt. Ich glaube, das ist uns allen schon bewusst, dass wir wahnsinnig privilegiert sind. Nicht nur, dass wir studieren dürfen. Sondern auch, dass wir einen kreativen Studiengang haben.“ Ihr sei klar, dass kreative Studiengänge, wie ihrer einer ist, den Staat häufig viel mehr Geld kosteten als „gewöhnliche“. „Es ist ein Privileg, kreativ arbeiten zu dürfen. Meine Leidenschaft zum Beruf zu machen.“
Gen-Z-Vorwürfe kann sie nicht mehr hören
Die gängigen Vorwürfe an ihre Generation kann sie langsam nicht mehr hören. „Jaja, wir sind alle faul und wollen nicht arbeiten, schon klar. Aber mal ehrlich: Wenn ich einfach so 1000 Euro mehr im Monat hätte – warum sollte ich dann jetzt noch arbeiten?“
Dass viele in ihrem Alter abgestempelt werden, macht ihr zu schaffen: „Ich identifiziere mich damit nicht, ich weiß, dass ich nicht faul bin. Und trotzdem ist mir meine Gesundheit und meine Zufriedenheit ist wichtiger als alles andere.“ Sie merke, zum Beispiel bei der Wohnungssuche, bei Bewerbungen, dass diese Gen-Z-Vorurteile oft im Raum stünden. „Erwachsene“ – sie hält inne. Lacht. „Na ja, ältere Erwachsene, ich bin ja auch erwachsen – die sind oft sehr herablassend.“
Generell fühlt sich ihre Generation von den „Erwachsenen“ oft unverstanden. Etwa von den Politikern und Politikerinnen. „Die Themen, die uns jeden Tag beschäftigen, sind vielen völlig egal. Oder sie nutzen sie, um Stimmung zu machen, anstatt wirklich zu verstehen, worum es uns geht.“ Sie nennt das Beispiel „Gendern“. „Ich kann die Diskussionen um das Thema gar nicht mehr hören. Was ist denn so schlimm daran, dass wir eine gleichberechtigte Sprache wollen? Dass wir Frauen mit-meinen wollen? So schlimm, dass man es in Bayern verbieten muss?“.
Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident, hatte im Frühjahr das Gendern an Schulen, Hochschulen und Behörden verboten. „An dem Tag haben wir in der Uni alle geheult“. Nicht wegen fehlender Sternchen. Nicht nur. „Sondern, weil es sich nach Rückschritt anfühlt. Danach, als würden wir und das, wofür wir brennen, was uns wichtig ist, ausgebremst werden.“ Es gehe um so viel mehr, als den Markus Söders dieser Welt bewusst sei.
Vertrauen in die Politik lässt immer mehr nach
Dass solche Menschen Politik machen, bestimmen, wohin sich dieses Land entwickelt, mache ihr manchmal richtig Angst. „Ich habe nicht das Gefühl, dass es auch nur einen einzigen Menschen in einer Machtposition gibt, der die gleichen Werte vertritt wie ich. Oder wie viele in meiner Generation.“ Gleichberechtigung. Klimaschutz. Abtreibung. All diese Themen. Das Vertrauen in die Politik schwinde, immer mehr. „Ich glaube, da muss sich wirklich was verändern. Sonst verlieren die uns komplett.“
Ob sie trotzdem positiv in die Zukunft blicken könne? „Hm. Ja und nein. Ich habe verschiedene Anteile in mir. Natürlich freue ich mich auf mein Leben. Auf das, was es noch alles für mich bereithält. Aber ich habe auch Traurigkeit in mir. Angst. Davor, in welcher Welt, in welchem Deutschland ich dieses Leben führen werde.“