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Stromausfall: Wer hat in Berlin den Strom gekappt? – Panorama | ABC-Z

Der Königsheideweg in Johannisthal, einem beschaulichen Ortsteil des Bezirks Treptow-Köpenick im Osten Berlins, führt in den Wald. Hier steht zwischen Bäumen und nur wenige Meter entfernt von einer Siedlung, in der die Straßen Alpenrosenweg oder Agavensteig heißen, der Strommast, an dem Unbekannte in der Nacht zum Mittwoch ein Stromkabel in Brand gesetzt haben. Zwischenzeitlich waren nicht nur 50 000 Haushalte im Bezirk ohne Strom, auch die Notrufnummern waren nicht erreichbar; Straßenbahnen und S-Bahn-Leitungen fielen aus. Altenheime, Schulen und die großen Unternehmen in Adlershof waren betroffen. Viele Kitas und insgesamt elf Schulen blieben am Mittwoch geschlossen, ebenso Hotels, Cafés und Supermärkte. Auch auf der großen Rudower Chaussee brennt kein Licht, gelegentlich überrascht eine Ampel damit, dass sie funktioniert.

Aus etwa 40 Meter Höhe läuft der verkohlte Rest von dem, was mal das Kabel war, vom Strommast herunter. Man kann sich vorstellen, wie hell und hoch die Flammen gelodert haben, die einige Anwohner sahen, als sie nachts um drei auf ihren Balkon gingen. Die Siedlung war vom Stromausfall nicht betroffen – nur die Laster und Bagger blockieren nun die Zufahrtswege. Seit Mittwochmorgen wird hier gearbeitet, um die Leitung im Boden freizulegen, „ich sage mal, hier ist sehr viel Loch passiert“, fasst Henrik Beuster vom Unternehmen Stromnetz Berlin es zusammen. Der verkohlte Teil der Leitung soll abgeschnitten und die beiden Enden sollen dann in einem recht aufwendigen Verfahren mit Muffen verbunden werden.

Donnerstagmorgen wollten sie ursprünglich damit fertig sein und die etwa 20 000 Haushalte, die im Bezirk immer noch vom Strom abgeschnitten sind, wieder versorgen. Daraus ist inzwischen offiziell „spätestens Donnerstagabend“ geworden. Anwohner Hubertus hat sich inzwischen mit dem Chef der Kabel-Crew unterhalten und glaubt nicht an den Zeitplan, es sind einfach zu viele Meter. „Aber was soll ich mich da aufregen? Ich bin einfach froh, dass hier kein Haus gebrannt hat.“ Das ist tatsächlich ein kleines Wunder: Gegenüber dem Mast steht eine massive Tanne im Vorgarten eines großen Hauses. Ob die Täter, zu denen es bislang keine Informationen gibt, dieses Risiko bewusst einkalkuliert haben, weiß man natürlich nicht. Und auch wenn Justizsenatorin Felor Badenberg im Fernsehen versichert: „Wir kriegen die“, glaubt Hubertus auch daran nicht so wirklich. „Solche Leute wissen genau, was sie tun, die RAF hat man auch erst nach 30 Jahren gefasst.“

Die Frage nach den Tätern wird natürlich auch bereits politisch diskutiert, auch der Bundesinnenminister hat sich dazu zu Wort gemeldet. Martin Matz, innenpolitischer Sprecher der SPD, geht davon aus, dass der oder die Täter „Insiderwissen“ gehabt haben müssen: „Vom Standpunkt des Mastes aus ist überhaupt nicht erkennbar, dass daran ausgerechnet Adlershof hängt.“ In Adlershof gab es zu DDR-Zeiten Rüstungsindustrie, heute ist es ein Technologiepark, dort sitzen etwa Atos, Siemens oder Rohde & Schwarz. Im Bekennerschreiben, das am Mittwoch im Internet aufgetaucht war, wird das Gebiet mit dem „militärisch-industriellen Komplex“ in Zusammenhang gebracht. Matz sagt, die Häufigkeit von Bränden oder Anschlägen nehme auch in Berlin zu. Kritische Infrastruktur müsste einerseits besser geschützt werden, und es müssten mehr Mittel in den Katastrophenschutz investiert werden, der über Jahrzehnte vernachlässigt wurde.

Einer der konkreten Schritte, die Berlin in diesem Bereich bereits unternommen hat, ist der sogenannte Katastrophenleuchtturm im Bezirksamt Adlershof. Hier ist die Anlaufstelle für alle Anwohner, die Hilfe, Informationen oder einfach Strom brauchen. Hier findet man Rettungskräfte und eine große Ladestation, an der am Mittwoch Dutzende Smartphones, Tablets und Laptops aus der Nachbarschaft hängen, während ihre Besitzer einen Kaffee oder einen – ungekühlten – Eistee trinken.

Zum Beispiel Andreas und Daniel, die sich heute den Tag freigenommen haben, weil sie keinen Strom zu Hause haben. Daniels kleine Tochter durfte mit zur Ladestation kommen, ihre Geschwister machen Mittagsschlaf zu Hause, die Kita ist ja zu. Alles halb so wild, sagt Daniel: „Man lebt jetzt halt mal in den Tag hinein.“ Andreas ist sich sicher: „Die Leute, die dafür verantwortlich sind, das zu reparieren, die kümmern sich schon.“

Die beiden sind Nachbarn. Als gestern früh nichts mehr ging, da hätten eben die Leute im Haus, die einen Campingkocher haben, Kaffee für alle gekocht. Abends haben sie im Hof gegrillt und im Schein von Taschenlampen und Kerzen noch ein Picknick gemacht. Dass sich jemand über mangelnden Katastrophenschutz und andere Fragen aufregen könnte, versteht Andreas nicht. Aber das sei vielleicht auch Erfahrungssache, sagt er und lacht. „In der DDR war ja ständig Stromausfall. Als ich meiner Mutter gestern erzählt habe, was los ist, haben wir beide gesagt: ‚Genau wie früher.‘“

Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg fälschlicherweise als Innensenatorin bezeichnet.

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