Streit um Straßenumbenennung in Berlin: Ein Antisemit, der Bürgerwille und die CDU | ABC-Z
Eben noch haben sich er und das Paar, das neben ihm wartet, ganz freundlich unterhalten, plötzlich wird die Stimmung eisig. „Also ich hab’ da ehrlich gesagt keen Bock drauf“, sagt die Frau und erklärt, dass eine Umbenennung der Steglitzer Treitschkestraße, um die es gleich in der öffentlichen Ausschusssitzung gehen soll, für sie als Anwohnerin einen unzumutbaren Aufwand bei der Änderung ihrer Dokumente bedeutet.
„Ach, kommen Sie, das passiert ja auch nicht alles von jetzt auf sofort“, will sie der erste beruhigen, „und es geht doch um die Inhalte. Nicht darum, dass jeder mal ‘ne halbe Stunde vor dem Computer sitzen muss.“ Die so Angesprochene will das nicht gelten lassen: „Ich hab‘ gelesen, also der Treitschke, so tief steckte der jetzt auch nicht drin.“ Sie wendet sich ab: „Na, dit kan ja ‘ne heiße Diskussion werden.“
In der Sitzung des Ausschusses, mit rund 80 ZuhörerInnen laut der Vorsitzenden Katharina Concu (FDP) „so gut besucht wie noch keine zuvor“, bleibt die Fraktion der Treitschke-VersteherInnen dann eher im Hintergrund. Als das Mikrofon für gut 20 Minuten geöffnet wird, kommen die meisten Wortmeldungen von Menschen, die nach eigenem Bekunden in der Treitschkestraße wohnen und deren Umbenennung uneingeschränkt befürworten. „Ich habe mir damals wirklich überlegt, ob ich überhaupt eine Wohnung in einer Straße mit diesem Namen kaufen soll“, sagt eine Frau.
Umbenennung in Betty-Katz-Straße
Das tatsächliche Meinungsbild unter den AnwohnerInnen der 900 Meter langen Seitenstraße hinter der Shoppingmall „Boulevard Berlin“ ist allerdings ein anderes: Die meisten von ihnen haben offenbar kein Interesse daran, dass der Name des Historikers Heinrich von Treitschke von den Straßenschildern verschwindet.
Dass dessen bekannteste Schrift „Die Juden sind unser Unglück“ von 1879 klar antisemitisch ist und einige Jahrzehnte nur zu gern von den Nazis zitiert wurde, interessierte eine Mehrheit in der Vergangenheit wenig. Bei einer Befragung im Jahr 2012 fielen drei Viertel der Rückmeldungen negativ aus, bei einer weiteren zum Jahreswechsel 2022/23 waren sogar fast 85 Prozent dagegen.
Dabei steht eigentlich – nach schier endlosem Streit – die Entscheidung der Bezirksverordnetenversammlung fest, die Straße nach Betty Katz umzubenennen, die das Jüdische Blindenheim in Steglitz leitete und 1944 in Theresienstadt ermordet wurde. Nur die CDU stemmt sich seit vielen Jahren gegen das Treitschke-Aus und hatte auch jetzt erreicht, dass der Kulturausschuss sich am Mittwoch noch einmal mit der Namenswahl auseinandersetzen muss.
Im Vorfeld hatte die direkt in Steglitz gewählte Berliner CDU-Abgeordnete Claudia Wein einen Brief an die AnwohnerInnen der Treitschkestraße verschickt, in der sie ihnen versichert, ihre Partei respektiere den Bürgerwillen und lehne eine Umbenennung „entschieden“ ab. Zur Begründung schreibt Wein, die sich am Mittwoch krankgemeldet hat, Treitschkes „Ansichten und seine Rolle in der Geschichte“ seien „umstritten“, aber der Straßenname stelle „ein historisches Dokument dar, das die Entwicklung unserer Stadt widerspiegelt“.
Die Geschichte sei komplex, aber „Teil unserer Identität“, und „die Erinnerung daran, dass Bildung und Kultur nicht davor schützen, Positionen mit menschenfeindlicher Wirkung zu vertreten“, dürfe „nicht ausgelöscht werden, sondern soll uns als Mahnung dienen“. Die Begriffe Antisemitismus oder Judenhass verwendet Wein in ihrem Schreiben, deren AdressatInnen sie zur zahlreichen Teilnahme an der Sitzung einlädt, nicht.
Jahrelanges Gezerre, umstrittene Kompromisse
Komplex ist auch die Geschichte der Umbenennungsversuche. In den 2000er Jahren war neben der CDU auch die FDP dagegen. Als sich das änderte, traten plötzlich die Grünen auf die Bremse, die mittlerweile eine Zählgemeinschaft mit der CDU eingegangen waren. Als bis heute umstrittener Kompromiss wurde schon Ende 2008 eine angrenzende Grünanlage nach Harry Bresslau benannt, Treitschkes Kontrahenten im sogenannten Berliner Antisemitismusstreit. Eine Informationsstele soll über die Geschichte aufklären.
Nachdem 2021 Grüne, SPD und FDP eine Zählgemeinschaft geformt hatten, geriet die CDU ins Hintertreffen. Dennoch torpediert sie weiter die Umbenennung, so gut sie kann. Dass ihre VertreterInnen am Mittwoch reichlich kleinlaut wirken, liegt wohl nicht nur an den Argumenten der anderen Fraktionen, sondern auch an den beiden Gästen, die diese eingeladen haben: den Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, und den der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg.
Ein „geistiger Brandstifter“ sei Treitschke gewesen, sagt Klein. Man müsse zwar immer abwägen, ob die Namensgeber von Straßen neben ihrem Judenhass auch „Großes geleistet“ hätten – er erwähnt Martin Luther und Richard Wagner. Im Fall von Treitschke sei die Bewertung aber „so eindeutig, dass wirklich unverständlich ist, warum diesem Mann noch ein ehrendes Gedenken zukommt“. Seine Bezeichnung der Juden als „Fremdkörper“ in der deutschen Kultur wirke bis heute.
Ähnlich äußert sich Königsberg, der meint, eine direkte Verbindung zur Gegenwart ziehen zu können. „Israel ist unser Unglück“ sei heute die Parole, derer sich die „Hamas-Freunde“ bedienten. Jedenfalls, so Königsberg, wolle doch wohl „niemand in diesem Raum in einer Die-Juden-sind-unser-Unglück-Straße wohnen“.
Linke: CDU muss auf „Schleimspur“ tanzen
Der ebenfalls jüdische Grünen-Bezirksverordnete Daniel Eliasson verweist darauf, dass die Diskussion über die Umbenennung eben nicht nur die AnwohnerInnen der Straße etwas angehe. Und wer Treitschke wie die CDU-Abgeordnete Wein lediglich als „umstritten“ bezeichne, stehe nicht entschlossen gegen jeden Antisemitismus. Die anwesenden CDU-Verordneten hätten es wiederum „nicht mal geschafft, Herrn Klein zu applaudieren“.
Nicht als einziger, aber besonders prägnant bringt es der Linken-Verordnete Dennis Egginger-Gonzalez auf den Punkt: Ob die CDU es denn gemäß ihrer Argumentation auch befürworten würde, wenn der Theodor-Heuss-Platz immer noch Adolf-Hitler-Platz hieße, fragt er. Er glaubt, dass zumindest die CDU-Ausschussmitglieder eigentlich gar nicht an Treitschke hingen, aber Gefangene einer „strategische Fehlentscheidung“ seien: „Ihr Fraktionsvorsitzender“ – der Anwalt Torsten Hippe – „hat Sie auf diese Schleimspur gesetzt, auf der sie jetzt tanzen müssen. Das tut mir fast schon leid.“
Zu Beginn der Sitzung hatte der CDU-Stadtrat für Bürgerdienste, Tim Richter, länglich aufgezählt, welche Dokumente und Verträge die AnwohnerInnen bei einer Straßenumbenennung ändern müssen – und was das etwa im Falle der Beantragung eines neuen Personalausweises kostet. Bevor der Ausschuss mit der Mehrheit der Zählgemeinschaft der Umbenennung zustimmt und den Vorgang zurück an die BVV verweist, meldet sich unter den AnwohnerInnen auch eine Vertreterin der an der Treitschkestraße gelegenen evangelischen Patmos-Kirche zu Wort.
Die Gemeinde könne sehr gut mit Betty Katz als Namensgeberin leben – auch wenn sie vor vielen Jahren angeregt hatte, die Straße nach dem Bischof Kurt Scharf zu benennen. Außerdem sei man gern bereit, gerade ältere Menschen bei den notwendigen Behördengängen zu unterstützen. Als ein anderer Redner anregt, einen solchen Service könnten doch auch die Christdemokraten anbieten, wenn es ihnen darum gehe, den AnwohnerInnen Härte zu ersparen, werden die Gesichter der CDU-Verordneten besonders lang.