Streit um „Oberindianer“ bei Lindenberg: Das sagen Indigene | ABC-Z
Berlin. Wegen der Verbrechen in der Kolonialzeit sind bestimmte Wörter in Deutschland heute tabu. So sehen Indigene den Sprachgebrauch.
Die Stiftung Humboldt Forum wird Mitte November Udo Lindenbergs Kult-Song „Sonderzug nach Pankow“ von acht verschiedenen Chören singen lassen. Das Wort „Oberindianer“, das Lindenberg auf Erich Honecker münzte, wird dabei zensiert. Das (leicht) veränderte Lied soll bei der Veranstaltung „Vielstimmig II“ am 16. und 17. November im Foyer des Humboldt Forums von 200 Stimmen interpretiert werden. Angesichts der Verbrechen, die während Deutschlands Kolonialzeit (1884 bis 1919) geschehen sind, gelten bestimmte Wörter wie beispielsweise „Mohren“, „Neger“ oder auch „Indianer“ schon länger als abwertend. Dies führt mittlerweile häufig zu Veränderungen bei Straßennamen, die nicht von allen begeistert aufgenommen werden.
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Ein Sprecher der Stiftung Humboldt Forum erläuterte die Veränderung von „Sonderzug nach Pankow“ aus dem Jahr 1983 gegenüber der Morgenpost: „Mit den Chören abgestimmt und derzeit geplant ist, „OberI*******“ zu singen, wobei das i gehalten werden soll. Wir sind hier aber noch in der weiteren Abstimmung.“ Manch einer mag die Entscheidung belächeln oder sich an die Film-Satire „Alter weißer Mann“ über die Tücken der Wokeness erinnert fühlen.
„Nachtmensch“ – Udo Lindenberg den ganzen Tag nicht zu erreichen
Udo Lindenberg selbst, der Schöpfer des Liedes, das auf der Melodie des US-amerikanischen Klassikers „Chattanooga Choo Choo“ beruht, war bis Redaktionsschluss nicht für ein Statement zu erreichen. Einer seiner Mitarbeiter namens Peter Lanz, der Anfragen weiterleitet, erklärte: „Udo ist ein Nachtmensch. Er schläft manchmal bis 16.30 Uhr.“ Der 78-jährige würde sich gegebenenfalls äußern, wenn er wach sei.
Peter Lanz, der darauf wertlegt, dass er nicht Udo Lindenbergs Manager ist, weil „Udo sein eigener Manager ist“, fand Gefallen am Kommentar von Morgenpost-Redakteurin Birgitta Stauber „Wer Udo den „Oberindianer“ nimmt, zerstört Geschichte“ und repostete diesen auf seinem Facebook-Account mit den Worten: „Das ist sooo richtig!“
Das ist soooo richtig!
Posted by Peter Lanz on Wednesday, October 30, 2024
Doch welche Aktualität und Notwendigkeit der respektvolle Umgang mit indigenen Völkern hat, zeigt eine Nachfrage bei den Betroffenen: Den Indigenen. Die Morgenpost fragte diese, ob ihnen der richtige Sprachgebrauch wichtig ist und wie sie sich selbst sehen.
Häuptling aus Brasilien: „Wir sind weder Indianer, noch irgendein Volk“
Von Udo Lindenberg und seinem Song hat Timei Asurini vom Volk der Asurini do Xingu in Brasilien noch nie etwas gehört. Mit dem Begriff „Indianer“ kann er sich jedoch nicht identifizieren. „Wir sind weder Indianer, noch sind wir irgendein Volk, wir sind Eingeborene“, erklärt Asurini. „Wir leben schon immer hier!“ Timei Asurini nahm vor einem Jahr per Videocall an einem hochkarätigen Roundtable des Human Rights Film Festival in Berlin teil. Seitdem steht er mit der Autorin in Kontakt. Erst vor 54 Jahren wurde sein Volk von der Außenwelt entdeckt.
Timei lebt wie seine Vorfahren ganz schlicht und im Einklang mit der Natur. Moderne Technik zu gebrauchen und portugiesisch zu sprechen, hat er nur gelernt, um die Welt um Hilfe anzuflehen: „Wir leben in der meist entwaldeten Zone der Erde“, sagt Timei. Das Leben seines Volkes, das nur noch aus 250 Personen bestehe, sei in ernster Gefahr, da es der Ausbeutung der Bodenschätze und der Rodung der Wälder im Wege stehe. Seine Heimat sei eine „vermintes Kriegsgebiet“, das ausgebeutet werde. Forscher, vor allem aus den USA, kämen immer wieder in den Regenwald, um die Asurini zu beobachten. Aber geholfen habe ihnen bisher kein einziger.
Survival International: „Viele Indigene wollen nicht Indianer genannt werden“
Auch der Waldwächter Marçal Guajajara, bekannt aus der Doku „We are Guardians“, betrachtet sich selbst als Indigener, also als „Eingeborener“ oder als „Mitglied der Araribóia“. Doch ihn beschäftigen weit existenziellere Probleme: Vor fünf Jahren wurde sein Stammesgenosse Paulo Guajajara von Holzfällern durch einen Kopfschuss getötet. Seine Mörder wurden nie vor Gericht gestellt. Seit 2014 wurden mindestens 600 indigene Waldwächter beim Schutz ihrer Territorien ermordet.
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Ein Sprecher von Survival International aus dem Büro Berlin bestätigt, dass „die Bezeichnung „Indianer“ von vielen Indigenen als Diskriminierung empfunden wird, „weil sie aus der Kolonialzeit stammt und eine Fremdbezeichnung ist.“ Viele Indigene wollten nicht „Indianer” genannt werden, sondern bevorzugen die Namen der indigenen Völker, denen sie angehören. „Der Begriff „Indianer” wirft sie alle in einen Topf und ruft bestimmte Klischees hervor. Das dadurch entstehende Bild wird der Vielfalt indigener Völker nicht gerecht“, so der Sprecher. „Indianer“ werde mit „Rückständigkeit” assoziiert, „was dem Landraub und der Auslöschung der indigenen Völker Tür und Tor öffnet.“
Vorsitzende der Native American Association: „Verbot des Wortes Indianer sehe ich kritisch“
Carmen Kwasny, Vorsitzende der Native American Association of Germany (NAA) mag Lindenbergs Lied. Sie findet aber, dass „es einen weiteren Austausch darüber geben sollte, wie wir damit umgehen“, denn es gehe doch im Grunde darum, „dass wir alle heilen. Dass wir aufarbeiten, was in der Kolonialzeit geschehen ist.“ Das Wort Indianer sei an sich nicht rassistisch. „Ein Verbot haben wir nie gefordert und auch das Winnetou-Verbot ist ein Medien-Konstrukt. Es gebe viele Native American Tribes und Communities , bei denen das Wort „Indian“ ein Teil des Namens ist. „Ein Grund, auf das Wort „Indianer“ zu verzichten, wäre die Tatsache, dass es mit zu vielen Stereotypen verbunden ist“.
Kwasny findet auch die Verwendung des Wortes „Woke“ in dem Zusammenhang bedenklich, weil das Wort aus der afro-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung stammt. Heutzutage werde es auf einmal als Schimpfwort für Andersdenkende benutzt. Ein Thema, mit dem sich auch die führende US-Bürgerrechtsorganisation Legal Defense Fund (LDF) derzeit beschfäftigt: