Streik: Worum es im Konflikt zwischen Journalisten und Verlegern geht – Wirtschaft | ABC-Z

Am Donnerstag und am Freitag dieser Woche streiken viele Redakteurinnen und Redakteure der Süddeutschen Zeitung – wie so oft in den vergangenen Monaten. Hintergrund ist eine Auseinandersetzung zwischen den beiden großen Journalistengewerkschaften und dem Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger BDZV. Die Stimmung auf beiden Seiten ist gereizt, zudem müssen viele Leserinnen und Leser an den Streiktagen auf das gewohnte journalistische Angebot verzichten. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu diesem Konflikt.
Worüber wird genau gestritten?
Der Tarifvertrag für fest angestellte Zeitungsredakteure wird neu verhandelt. Anders als in vielen anderen Tarifkonflikten geht es bei dieser Auseinandersetzung nicht nur um eine prozentuale Steigerung der Gehälter, die dann eben höher oder niedriger ausfallen kann. Beide Seiten sehen ihre wirtschaftliche Zukunft grundsätzlich in Gefahr – deshalb ist die Stimmung so angespannt. Die Arbeitgeber sehen sich durch den strukturellen Wandel in der Branche bedroht: Viele Verlage haben Schwierigkeiten, angesichts sinkender Print-Auflagen ein funktionierendes Geschäftsmodell zu finden und mit Journalismus im Digitalzeitalter Geld zu verdienen. Die Arbeitnehmer wiederum verweisen auf Reallohnverluste der vergangenen Jahre und artikulieren die Sorge, der Beruf könnte abgewertet werden und eine Laufbahn im Journalismus für jüngere Menschen künftig nicht mehr attraktiv sein.
All das spiegelt sich im Ringen um den Tarifvertrag. Dieser regelt zum einen die Höhe der Gehälter und zum Zweiten die genaue Struktur der einzelnen Tarifstufen. Die legen fest, in welchem Berufsjahr Journalisten einen Gehaltssprung machen und wie viele solcher Gehaltsstufen es überhaupt geben soll.
Was wollen die Arbeitnehmer?
Die Vorstellungen beider Seiten lagen am Anfang der Verhandlungen weit auseinander. Die Deutsche Journalisten-Union (dju), die zu Verdi gehört, ging mit der Forderung nach zwölf Prozent mehr Lohn – bezogen auf eine Laufzeit von einem Jahr – in die Verhandlungen, der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) mit 10,5 Prozent. Die Forderungen wurden von den Gewerkschaften mit Verweis auf die hohe Inflation in den Vorjahren begründet – und mit der Tatsache, dass der vorherige, im Jahr 2022 geschlossene Tarifvertrag nur sehr moderate Erhöhungen vorsah, weil damals die Folgen der Energiekrise noch nicht voll absehbar gewesen waren.
Und was wollen die Arbeitgeber?
Das erste Angebot der Arbeitgeber, das im März vorgelegt wurde, sah Lohnzuwächse in drei Etappen vor: 120 Euro Erhöhung pro Monat ab Anfang 2025, 1,5 Prozent im Jahr 2026 und noch einmal 1,0 Prozent 2027. Für noch mehr Aufregung als die niedrigen angebotenen Gehaltssteigerungen sorgte bei den Gewerkschaften, dass die Arbeitgeber auch eine veränderte Struktur bei den Gehaltsstaffeln forderten. Dies hätte zur Folge gehabt, dass die Gehälter mit zunehmenden Berufsjahren kaum noch gestiegen wären.
Was verdienen Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen derzeit?
Junge Redakteurinnen und Redakteure verdienen derzeit 3591 Euro brutto pro Monat. Nach vier Jahren Berufserfahrung steigt das Gehalt auf 4078 Euro, nach acht Jahren auf 4706 Euro und nach 14 Jahren auf 5178 Euro. Volontärinnen und Volontäre, die erst in den Beruf einsteigen und zu Redakteuren ausgebildet werden, müssen im ersten Ausbildungsjahr mit derzeit 2202 Euro brutto auskommen, im zweiten Jahr sind es 2521 Euro brutto pro Monat. Für Redakteure mit besonderen Funktionen, zum Beispiel Korrespondentinnen und Teamleiter, gibt es besondere Tarifgruppen, in denen das Entgelt höher und die Berufsjahresstufen anders geregelt sind. Den Verlagen ist es unbenommen, übertarifliche Zulagen und höhere Gehälter zu zahlen – das ist aber nicht die Regel.
Wie begründen die Arbeitnehmer ihre Forderungen?
Die Gewerkschaften verweisen auf Kaufkraftverluste infolge der Inflation der vergangenen Jahre. Tatsächlich ist die Lohnentwicklung im Journalismus im Vergleich zu anderen Branchen unterdurchschnittlich. So haben zum Beispiel Zeitungsredakteure, die mindestens acht Dienstjahre absolviert haben, ihr Monatsgehalt seit 1. Januar 2020 bis heute um 3,5 Prozent steigern können. Die Teuerung in diesem Zeitraum beträgt laut Statistischem Bundesamt mehr als 21 Prozent. Auch Beschäftigte anderer Branchen haben Reallohnverluste erlitten, aber bei Weitem nicht so stark. In der Versicherungswirtschaft zum Beispiel – dort wird gerade ebenfalls über einen Tarifvertrag verhandelt – beträgt das Lohnplus von Anfang 2020 bis Mai 2025 etwa 10,2 Prozent. Im öffentlichen Dienst, wo die Gewerkschaften eine starke Stellung haben, sind die Bezüge im gleichen Zeitraum sogar um durchschnittlich 18,6 Prozent gestiegen, der Wert unterscheidet sich dabei je nach Einkommensgruppe. Blickt man in die Vergangenheit, wird deutlich, dass die Gehaltsentwicklung bei Zeitungsjournalisten mit der Teuerung nicht mitgehalten hat: Wären die Gehälter seit dem Jahr 2004 so gestiegen wie die Inflation, müssten Volontärinnen und Volontäre im zweiten Ausbildungsjahr heute etwa 340 Euro brutto pro Monat mehr verdienen, als sie tatsächlich bekommen. Für Redakteurinnen und Redakteure mit fünf Jahren Berufserfahrung stünden sogar mehr als 1200 Euro brutto zusätzlich zu Buche.
Wie argumentieren die Verleger?
Die Zeitungsverlage, die im Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) organisiert sind, machen geltend, dass die wirtschaftliche Lage der Branche schlecht und deshalb ein hoher Tarifabschluss nicht zu finanzieren sei. „Die Verlagsbranche steht vor enormen wirtschaftlichen Herausforderungen“, erklärte Georg Wallraff, der Verhandlungsführer für den BDZV, Ende vergangenen Jahres. Rückläufige Erlöse im Geschäft mit der gedruckten Zeitung und hohe Investitionen in die digitale Transformation würden keinen Spielraum für hohe Gehaltssteigerungen lassen. Es müsse ein Abschluss gefunden werden, „der die Interessen der Beschäftigten und die wirtschaftliche Realität der Branche gleichermaßen berücksichtigt“.
Wie ist die wirtschaftliche Lage der Verlage konkret?
Das Geschäft der Zeitungsverlage ist bereits seit mehreren Jahren unter Druck. 2023 ging der Umsatz der BDZV-Mitgliedsunternehmen um zwei Prozent auf 6,68 Milliarden Euro zurück, neuere Zahlen gibt es nicht. Zahlen zur Gewinnsituation liegen nicht vor. Fest steht aber, dass es einen Umbruch in der Branche gibt: Die gedruckten Zeitungen verlieren Auflage, Menschen informieren sich zunehmend digital. Das bedeutet, dass einerseits die Umsätze zurückgehen, gleichzeitig aber auch hohe Investitionen notwendig sind, um die Transformation des Geschäftes hin zu neuen digitalen Produkten und Vertriebswegen zu schaffen. Dazu kommen steigende Kosten bei der Zeitungsproduktion: Papier und Energie wurden zuletzt teurer, durch den höheren Mindestlohn erhöhen sich die Kosten der Zustellung. Die Erlöse durch Werbeanzeigen sind bereits seit Langem rückläufig, mächtige neue Wettbewerber wie Google oder der Meta-Konzern (Instagram, Facebook) machen den Verlagen seit Jahren Kunden und Anzeigen abspenstig.
Ist die Situation für alle Verlage gleich?
Die Lage in der Branche, die stark mittelständisch geprägt ist, ist sehr unterschiedlich. Im Süden etwa laufen die Geschäfte angesichts der wirtschaftlichen Stärke der Regionen besser als im Norden oder Osten. Überregionale Zeitungen wie die Süddeutsche Zeitung sind bei der Transformation hin zum Digitalen wirtschaftlich erfolgreicher als Regionalzeitungen. Während regionale Abozeitungen noch fast 90 Prozent ihres Umsatzes mit Print machen, liegt dieser Anteil bei überregionalen Anbietern nur noch bei 50 Prozent, Tendenz weiter fallend.
Gibt es gar keine Annäherung?
Doch, eigentlich sah es sogar schon nach einer Einigung aus. Nach langem Hin und Her schienen sich Ende Mai alle Seiten auf eine Tariferhöhung von durchschnittlich 8,6 Prozent über knapp zweieinhalb Jahre verständigt zu haben, die aus Einmalzahlungen und prozentualen Erhöhungen in verschiedenen Stufen bestehen sollte. Zu einem Tarifabschluss kam es dann aber dennoch nicht – warum, dazu gibt es unterschiedliche Darstellungen. Die Gewerkschaften sagen, die Verleger hätten plötzlich wieder auf Forderungen bestanden, die schon vom Tisch gewesen seien. Dabei ging es konkret um eine Reduzierung des Urlaubsgelds für all jene, die von 2026 an in den Beruf einsteigen. Zudem sollten Berufsjahre, die nicht in Zeitungsverlagen, sondern etwa beim Rundfunk erworben wurden, bei der Tarif-Einstufung nicht mehr automatisch berücksichtigt werden. Die Verleger wiederum sagen, diese Punkte seien für sie Voraussetzung für einen Tarifabschluss gewesen. Die Gewerkschaften hätten wider besseres Wissen eine Einigung kommuniziert, die es nie gegeben habe. Von einem „klaren Vertrauensbruch“ war die Rede.
Wie geht es nun weiter?
Die Fronten sind verhärtet, die Stimmung ist schlecht. Nach dem letzten erfolglosen Einigungsversuch boten die Verleger einen sogenannten „Kurzläufer“ an – 100 Euro als monatlicher Festbetrag, rückwirkend seit Jahresanfang und mit einer Laufzeit von 15 Monaten. Die Gewerkschaften lehnten das ab. Der nächste Verhandlungstermin ist nun für den 18. Juli in Hamburg angesetzt.