Streik der US-Hafenarbeiter: Das sind die gewaltigen Folgen für Europa | ABC-Z
An der Ost- und Golfküste der USA streiken die Hafenarbeiter, sie fordern 77 Prozent mehr Lohn. Es droht ein längerer Ausstand, der den globalen Seehandel erheblich beeinflusst. Eine europäische Reederei reagiert bereits sehr konkret.
Geht es um die Löhne der Hafenarbeiter in den USA, dann ist das Land zweigeteilt: Die Arbeiter an der Westküste mit dem größten Containerhafen in Los Angeles haben in den vergangenen Jahren erfolgreich gestreikt und höhere Stundenlöhne von derzeit 55 Dollar (50 Euro) ausgehandelt. Vereinbart ist, dass dieser Lohn in den kommenden Jahren weiter steigen wird.
Ihre Kollegen an der Ostküste haben in den vergangenen Jahren dagegen große Tarifauseinandersetzungen vermieden. Sie verdienen derzeit durchschnittlich 39 Dollar in der Stunde. Doch das ist jetzt vorbei: Seit Anfang Oktober sind die Hafenbeschäftigten an der gesamten Ostküste wie auch an der Golfküste der USA im Streik. Der Internetdienst G-Captain berichtet von 45.000 Arbeitern in 36 Häfen.
Fast ein halbes Jahrhundert lang hat es einen solch großen Arbeiterstreik in den Ostküstenhäfen nicht mehr gegeben. Ihre Gewerkschaft fordert 77 Prozent mehr Gehalt über sechs Jahre. Kurz vor Streikbeginn hatten die Arbeitgeber noch 50 Prozent Lohnzuwachs angeboten. Nun könnte es zu einem längeren Arbeitsausstand kommen.
Bereits seit Juni gibt es keine Verhandlungen mehr zwischen der Arbeitgebervertretung United States Maritime Alliance und der Gewerkschaft International Longshoremen‘s Association. Sie vertritt in dem Tarifstreit ausschließlich ihre Mitglieder.
Neben dem Lohn für die Hafenarbeiter geht bei der Auseinandersetzung auch um die Automatisierung der Verladeanlagen. Im Unterschied zu Asien oder Teilen in Europa ist der Automatisierungsgrad der Containerverladung in den US-Häfen in weiten Teilen niedrig.
Streik der US-Hafenarbeiter macht Exporte schwieriger
Schifffahrtsexperten und Ökonomen sind sich einig: Ein möglicherweise wochenlanger Streik der Hafenarbeiter an der Ostküste würde den weltweiten Seehandel deutlich beeinflussen. Der Export von Waren auch aus Europa in die USA würde schwieriger werden, die Exportmengen dürften zumindest kurzfristig sinken. Nach Schätzungen der Londoner Hongkong & Shanghai Banking Corporation wäre rund die Hälfte aller Containereinfuhren in die USA und ein Sechstel des globalen Containertransports von dem Arbeitsausstand betroffen.
Zunächst einmal wird es lange Staus vor den Häfen an der Ostküste geben. Nach Angaben des „Handelsblatts“ könnten sich in der nächsten Woche 260 Containerschiffe vor den betroffenen Hafenstädten stauen.
Zudem dürften mehrere Hunderttausende Container nicht zum Seetransport zur Verfügung stehen, wenn sie auf diesen Schiffen feststecken. Wiederum die Großbank HSBC schätzt, dass ein langandauernder Streik Auswirkungen auf knapp zwei Prozent der weltweiten Containerschiffsflotte haben könnte.
Die Containerreedereien stehen vor der Aufgabe, möglichst viele Schiffe zum Beispiel in die Häfen an der Westküste umzulenken. Experten der HSBC nennen einen Anteil von 45 Prozent der US-Importe aus Asien, die auf diesem Umweg in die USA gelangen könnten. Auch Luftfracht ist eine Alternative für den Transport in die Vereinigten Staaten von Amerika, wenn auch die Frachtpreise deutlich über dem Seetransport liegen.
Internationale Reedereien wie Hapag-Lloyd aus Hamburg erwarten „erhebliche Auswirkungen“ auf ihre Liniendienste in die betroffenen US-Häfen. Die dänische Containerreederei Maersk spricht von Verzögerungen im Seetransport und höheren Preisen. Eine konkrete Reaktion auf den Streik gibt es dort schon: Maersk nimmt Kühlcontainer nicht mehr an, wenn sie über Seerouten Richtung Ostküste verschifft werden sollten.
Die Schifffahrt trifft der Streik in den USA zur Unzeit. Angriffe von Huthi-Rebellen im Roten Meer auf Frachtschiffe aus westlichen Staaten haben dazu geführt, dass etliche Reedereien ihre Schiffe auf dem Weg zwischen Asien und Europa um die Südspitze Afrikas fahren lassen.
Dieser Umweg verlängert die Seereisen um bis zu zehn Tage und er bindet Kapazitäten an Schiffen und Containern. Schiffsraum zum Seetransport ist also gerade eher knapp als üppig verfügbar. Bislang hat sich die Regierung der USA unter dem Präsidenten Joe Biden aus dem Konflikt herausgehalten.
Dies könnte sich mit zunehmender Dauer und Dramatik der Ereignisse ändern. Über sogenannte Notstandsbefugnisse könnte die Regierung Einfluss auf den Streik nehmen.
Birger Nicolai ist Wirtschaftskorrespondent in Hamburg. Er berichtet über Schifffahrt, Logistik, den Tankstellen- und Kaffeemarkt sowie Mittelstandsunternehmen.