Streichquartette in Bad Tölz: Hochenergetisch bis schwindelerregend – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Es gibt Konzerte, bei denen man nach drei Tönen weiß: Das kann ja einiges werden, nur langweilig wird es nicht. So ist es mit dem jungen dänischen Novo Quartet. Ein Takt Haydn und schon ist eine musikalische Energie freigesetzt, die das Publikum im Bad Tölzer Kurhaus von der ersten bis zur letzten Note in Bann hält. Eine schönere Eröffnung hätte sich die inzwischen weit übers Oberland hinaus strahlende Konzertreihe „quartettissimo“ des Vereins Klangerlebnis nicht wünschen können.
Doch was hat es mit diesen ersten Noten von Joseph Haydns Opus 20 Nummer 4 auf sich? Beim Kopenhagener Novo Quartet kommen sie aus der Tiefe, klingen dumpf, unbestimmt, als würde die Suche nach einem Thema beginnen. Das wird dann auch recht schnell gefunden und darf sich in leuchtendem D-Dur entfalten, in der Mischung aus edler Klangkultur und subtiler Phrasierung, die dem Quartett zu eigen ist wie ihre Bereitschaft, auch in diesem klassischen Stück an die expressiven Extreme zu rühren. Ihr Haydn ist kein mild lächelnder Papa Haydn, sondern ein leidenschaftlicher Komponist, der das Freundliche in munter aufgespielten Triolen ebenso kennt wie das Dunkle, Schmerzhafte, das sich in glühenden Moll-Passagen ausdrückt.
Makellose Ausgewogenheit
Der langsame Satz wird so zum seriösen Gespräch mit momentweisem Diskussions-Charakter. Intensiv lassen die jeweils zwei Musikerinnen und Musiker die herben Dissonanzen spüren, ohne dabei über die Stränge zu schlagen. Schlicht makellose Ausgewogenheit ist ihnen eine Selbstverständlichkeit, auch im kess die Synkopen betonenden und gänzlich untanzbaren Menuett oder im hinreißenden „Presto scherzando“-Finale. Hier zeigt das Quartett mit flirrenden kurzen Vorschlägen und robust musikantisch gefiedelten All’ongharese-Episoden, welches Leben in der Partitur steckt.
Ideale Advokaten also für die in Deutschland so gut wie nie aufgeführte Kammermusik von Carl Nielsen. Dass die Musik des genialen Dänen – Meisterwerke des zwanzigsten Jahrhunderts – generell selten gespielt wird und das ein Skandal ist, bietet Stoff für angeregte Pausengespräche. Da hat man schon gehört, welche enorme Sogkraft in Nielsens Opus 5 enthalten ist, wenn es so brillant interpretiert wird wie hier.
Gespenstisches Pianissimo
Geradezu schwindelerregend wirkt die motorische Kraft, die das Novo Quartet im Kopfsatz mit orchestraler Klangfülle entwickelt. Charakterisierungskunst beweist das Quartett hier, wenn etwa das Seitenthema in einer süß ausgesungenen, an Brahms erinnernden C-Dur-Melodie auftaucht oder die Durchführung in gespenstischem Pianissimo einsetzt. Das Quartett scheut sich nicht, dynamische Randgebiete zu erkunden, vom dichten Forte des Beginns zum scheuen Piano, das auch den zweiten, liedhaft simplen Satz bestimmt.
Hier wie dort erweist sich Nielsen als Garant unerschöpflicher musikalischer Motorik und das Novo Quartet als Hochenergie-Musizierende, wenn in den Satzverlauf plötzlich die erste Violine mit einer Skala nach oben schnellt wie eine Leuchtrakete: Hier wird mit Lust und Leidenschaft musiziert. Hörbar ist das besonders im „Allegretto scherzando“, in dem die Streicher regelmäßig Töne mit diskretem Portamento-Spiel anschneiden. Fast nahtlos geht der Satz über ins tänzerisch ausgelassene Finale, das die vier mit schrägem Charme präsentieren und, etwa wenn die Bratsche eine Solo-Melodie zu Pizzicato-Begleitung ausführt, mit gesanglicher Schönheit. Erste Bravo-Rufe.
Mit dem f-Moll-Quartett Nielsens dürfte zumindest der Verdacht gesät worden sein, dass Skandinavien noch viel mehr musikalische Schätze birgt als im üblicherweise hörbaren Repertoire repräsentiert sind. Matias Vestergårds „Hjerteblad“ (Herzblatt – nicht wegen der Fernsehsendung, sondern wegen eines botanischen Fachbegriffs) ist musikalisch leider eher dünn. Das Stück, vor wenigen Tagen vom Novo Quartet uraufgeführt, besteht aus drei relativ kurzen Sätzen, von denen lediglich der dritte klanglich erhebliche Momente enthält. Er entspinnt sich als eine Art Choral, bei dem Wohlklang und schlimme Dissonanzen sich ineinanderschieben.
Ganz in seinem Element ist das Quartett wieder bei Robert Schumanns Opus 41 Nummer 3. Immer auf der Suche nach dem angemessenen Ausdruck spielen die vier den Kopfsatz in mäßigem Tempo, das es erlaubt, die zarten Melodien präzise zu artikulieren und dabei die kontrapunktischen Verschränkungen zu durchleuchten. Der zweite Satz, ungewöhnlicherweise ein Variationensatz, wird hier zur Sammlung von Charakterstücken, alle geboren aus dem nervösen, energisch synkopierten Thema, ehe der langsame Satz, eine der großen Kammermusik-Schöpfungen der Romantik, schlicht so wirkt: tränentreibend.
Mustergültig gestaltete Couplets
Ein elegant galoppiertes Finale mit mustergültig gestalteten Couplets zeigt ein letztes Mal die Kunst des Quartetts, jeder Episode ihre eigene Stimmung zu verleihen, ohne dabei das Große, Ganze aus den Augen zu verlieren.
Verdienter Jubel schallt auf das 2018 gegründete Quartett ein. Doch die Kopenhagener lassen sich nicht lange um eine Zugabe bitten. Sie spielen den Tango „Jalousie“ eines weiteren Kompatrioten, Jacob Gade. So endet der denkwürdige Konzertabend wie er begonnen hat. Mit Verve, Witz und umwerfender Leidenschaft für gute Musik.