Straßenmusiker in Sankt Petersburg singen gegen Putins Regime | ABC-Z

Dutzende junge Leute tanzen, springen und singen auf dem breiten Bürgersteig, jemand spielt E-Gitarre, einer trommelt, und eine junge Frau mit hellem Haar steht am Keyboard. Sie heißt Diana Loginowa, ist 18 Jahre alt und besucht eine Musikhochschule. Als Naoko tritt sie mit ihrer Straßenband Stoptime auf den Straßen von Sankt Petersburg auf. Im Hintergrund der Feiernden sieht man die prächtige Kasaner Kathedrale am Newskij-Prospekt im Zentrum von Russlands „nördlicher Hauptstadt“.
Das Video zu dem Auftritt hat sich über soziale Medien verbreitet, unter anderem auch durch Marina Achmedowa, die es auf ihrem Telegram-Kanal gepostet hat. Sie arbeitet für putintreue Medien, ist Mitglied im Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten und hat vor Kurzem Loginowas Band im neostalinistischen Stil der Zeit denunziert, da Stoptime Lieder „ausländischer Agenten“ aufführe – von Künstlern also, die in Russland nicht mehr auftreten dürfen und nicht mehr in ihrer Heimat leben können ohne Gefahr zu laufen, verfolgt zu werden.
Das Lied aus dem Clip vor der Kasaner Kathedrale etwa stammt von dem regimekritischen Noize MC. „Kooperative Schwanensee“ heißt es übersetzt. Der Text, den die Menge laut und auswendig mitsingt, verbindet wortspielerisch die notorische Datschengenossenschaft „Osero“ (See), den Männerbund um Putin aus der Wochenendhaussiedlung am Komsomolzensee nördlich von Sankt Petersburg, der zur Heimstatt der aktuellen Macht- und Geldelite Russlands wurde, mit Pjotr Tschaikowskys Ballett. Der 40 Jahre alte Rapper, der eigentlich Iwan Alexejew heißt und sein Heimatland kurz nach dessen Überfall auf die Ukraine von 2022 verlassen hat, macht in dem Lied Propagandaphrasen wie die von Russland, das sich (unter Putin) „von den Knien erhoben“ habe, lächerlich und singt dann, er wolle Ballett sehen, „sollen die Schwäne tanzen“.
Die jungen Russen verstünden nicht, „was an der Front passiert“
Denn seit das sowjetische Fernsehen anlässlich des Ablebens von drei Sowjetführern in den Achtzigerjahren „Schwanensee“-Aufführungen sendete und dann wieder während des Putsches im August 1991, steht das Ballett für den Tod der Herrscher ebenso wie für Sprach- und Ratlosigkeit des Machtapparats.
Stoptime haben auch Lieder anderer verfemter russischer Künstler im Repertoire, doch besonders das Video zur „Kooperative Schwanensee“ ging viral. Putins Menschenrechtsratsmitglied Achmedowa schrieb auf Telegram zu den Bildern der jungen Russen, diese verstünden nicht, „was derzeit im Grenzgebiet, was an der Front passiert“, und seien so daran gewöhnt, nicht nachzudenken, „dass es ihnen vorkommt, es gäbe keinen Krieg, wenn Putin dies wollte“.
Das spiegelt die offizielle Umdeutung des Angriffskriegs zum Verteidigungsringen. Achmedowa regte an zu prüfen, ob „die Straßensängerin“ offenlege, dass sie „Lieder ausländischer Agenten“ singe. Das spielt auf die stetig anwachsende Repressionsgesetzgebung um die „Agenten“ an und fordert Putins Strafverfolger auf, tätig zu werden.
Die Studentin soll die russische Armee „diskreditiert“ haben
Am Dienstag legte Achmedowa nach und schrieb, die Musikerin versammle Leute „nicht spontan zu ihren Konzerten“, sondern über einen Telegram-Kanal der Gruppe, „die Konzerte praktisch wie Demonstrationen ankündigt“. Das, so Achmedowa, „ändert die Sache“ – eine Anspielung auf Russlands Versammlungsgesetzgebung, die kritische Kundgebungen praktisch ausschließt und harte Strafen vorsieht. „Die Leute gehen zielgerichtet auf die Straße, um zu protestieren. Manche kommen aus anderen Städten. In den Kommentaren äußert sich ein Protestpublikum“, schrieb Achmedowa. Die Gruppe habe aber „Angst bekommen“ und angekündigt, künftig weder Zeiten noch Orte der Auftritte bekannt zu geben. Das hatte die Gruppe wirklich kurz zuvor auf ihrem Kanal geschrieben und mit „Sicherheitserwägungen“ begründet.
Doch am Mittwoch wurde Loginowa festgenommen, nach Angaben des Petersburger Mediums Fontanka von Beamten des „Zentrums für Extremismusbekämpfung“ auf eine Polizeiwache gebracht und über Nacht festgehalten. Die Wache wurde demnach von vielen Kräften abgeriegelt, man nennt das „Plan Festung“. Am Donnerstag wurde die Studentin in Handschellen einem Gericht vorgeführt. Ihr werden zwei Ordnungswidrigkeiten vorgeworfen: die russische Armee „diskreditiert“ und die „öffentliche Ordnung“ gestört zu haben. Allein wegen dieses zweiten Punkts erhielt sie zunächst 13 Tage Arrest. Im Wiederholungsfall drohen ihr wegen solcher Vorwürfe Strafverfahren und lange Lagerhaft.





















