Steuern: Entlastung der Mitte? Rechnung zeigt, was der SPD-Vorschlag wirklich bedeutet | ABC-Z
Die SPD will die Mehrheit der Steuerzahler entlasten und „die höchsten ein Prozent der Einkommen“ stärker zur Kasse bitten. Experten erwarten aber nur geringe Entlastung für die Mehrheit – oder Spitzensätze von weit über 50 Prozent. Dabei gibt es eine andere Option.
Kaum kündigt sich eine Bundestagswahl an, kommt zuverlässig das Thema Steuerentlastung für die arbeitende Mitte auf. „Wir wollen, dass die Menschen mehr Geld in der Tasche haben“, heißt es in einem neuen Strategiepapier, mit dem die SPD in den Wahlkampfmodus schaltet.
Die große Mehrheit der Steuerzahler, nämlich 95 Prozent, will die Partei entlasten und dafür „die höchsten ein Prozent der Einkommen etwas stärker in die Verantwortung nehmen“, so das Versprechen. Die genaue Formel für diese Gleichung wollen die Sozialdemokraten nun ausarbeiten.
Einfach wird das nicht. Unabhängig von politischen Zielen und Wünschen steht dem vor allem die Steuermathematik im Weg. Damit die Mitte nennenswert entlastet wird, müssten Spitzen- und Reichensteuersatz drastisch steigen. Aktuell wird jeder zusätzliche Euro ab einem zu versteuernden Einkommen von 67.000 Euro mit 42 Prozent besteuert und ab knapp 280.000 Euro mit 45 Prozent.
„Das Problem des SPD-Steuerkonzepts ist, dass der Partei eine Gegenfinanzierung der Steuerentlastung durch das obere Prozent vorschwebt“, sagt Martin Beznoska, Steuerexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Die oben erzielbaren Mehreinnahmen seien zu gering, um unten nennenswert zu entlasten.
Er bezieht sich dabei auf ein Konzept des Seeheimer Kreises, des Wirtschaftsflügels der SPD. Das sieht unter anderem vor, dass der Spitzensteuersatz später greift, der Reichensteuersatz auf 48 Prozent erhöht wird. „Das Entlastungsvolumen einer derartigen Reform für die unteren 95 Prozent liegt bei knapp sieben Milliarden Euro – also eine Mini-Entlastung“, sagt Beznoska. Zum Vergleich: Der jährliche Ausgleich der kalten Progression in der Einkommensteuer liege aktuell bei rund sechs Milliarden Euro.
„Wollte man eine echte Reform mit einem Entlastungsvolumen von zum Beispiel 30 Milliarden Euro von dem oberen Prozent der Einkommensteuerzahler gegenfinanzieren, so müsste der Spitzensteuersatz in Bereiche von 52 Prozent und der Reichensteuersatz auf 55 Prozent steigen“, sagt Beznoska. Das seien absurd hohe Steuersätze vor dem Hintergrund, dass diese als Grenzsteuersätze auch Fachkräfte, Führungskräfte und Einzel- und Personenunternehmen träfen, deren aktuelle Steuerbelastung im internationalen Vergleich ohnehin schon sehr hoch sei.
Stefan Bach, Steuerexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält Spitzensteuersätze von mehr als 50 Prozent ebenfalls für unrealistisch. Er verweist auf die Gefahr von Ausweichreaktionen gerade bei der Zielgruppe, die steuerlich in der Regel sehr gut beraten ist. „Wir hatten in den 1990er-Jahren zwar Spitzensteuersätze von 53 Prozent, plus Soli. Aber damals hatten die Steuerzahler noch viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten“, sagt Bach. Effektiv hätten viele weniger gezahlt.
Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) habe dann ab dem Jahr 2000 den Spitzensteuersatz schrittweise auf 42 Prozent gesenkt und dafür Gestaltungsmöglichkeiten gestrichen. Dies hält er auch in der jetzigen Situation für den besseren Weg. „Da geht noch einiges, vor allem bei Unternehmern oder Vermietern, die unter den Spitzensteuersatzzahlern einen hohen Anteil haben“, sagt Bach.
Er verweist ebenfalls auf das Dilemma: Erhöht man die Spitzensteuersätze um drei Prozentpunkte auf 45 und 48 Prozent, lässt sich beim obersten Prozent nicht allzu viel holen. Selbst wenn man bei den obersten drei Prozent ansetzt, kommt Bach in einer groben Rechnung sogar nur auf jährliche Mehreinnahmen in Höhe von vier Milliarden Euro. „Damit kann man die gebeutelte Unter- und Mittelschicht nicht nennenswert entlasten“, sagt Bach. Ein Durchschnittsverdiener spare dadurch gut 100 Euro im Jahr, wenn man im Gegenzug den Grundfreibetrag um 450 Euro anhebt. „Das sind zwei Cappuccinos im Monat“, sagt der Steuerexperte des DIW.
Union kündigt „Blaupause für Steuerreform“ an
Wer den berühmten „Mittelstandsbauch“ im Einkommensteuertarif tatsächlich abflachen will, muss also bereit sein, auf Einnahmen zu verzichten. Vor diesem Hintergrund wird spannend, wie die in den Umfragen zur Bundestagswahl führende CDU das von ihr angestrebte Reformkonzept für die Einkommensteuer finanzieren will. Die Grundzüge will die Partei Anfang Januar im Rahmen einer Agenda 2030 präsentieren.
Im Vorjahr wurde nur bekannt, dass sich die Union bei ihrem Vorschlag an einem Konzept des Steuerzahlerbundes orientieren will. Das könne „eine Blaupause für eine Steuerreform sein“, sagte Carsten Linnemann, der heutige CDU-Generalsekretär, im Vorjahr gegenüber WELT AM SONNTAG. Das Modell des Steuerzahlerbundes sieht vor, dass der Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst ab 100.000 Euro greift. Mit 45 Prozent wird jeder Euro besteuert, der über ein Einkommen von 300.000 Euro hinausgeht. Und ab einer Million Euro gibt es eine neue, zusätzliche Tarifstufe mit einem Grenzsteuersatz von 48 Prozent. Nur wer im Jahr mehr als 1,1 Millionen Euro zu versteuern hat, zahlt nach diesem Modell mehr.
Der neue Höchstsatz von 48 Prozent ist innerhalb der Union umstritten. Dort ist man sich aber in jedem Fall bewusst, dass dieser nicht reicht, um die angestrebte Steuerentlastung bei geringeren Einkommen zu finanzieren. Der Bund der Steuerzahler gibt die geringeren Einnahmen bei der Umsetzung des Modells mit 38 Milliarden Euro an. Das Geld müsste an anderer Stelle gespart werden.
Karsten Seibel ist Wirtschaftsredakteur in Berlin. Er berichtet unter anderem über Haushalts- und Steuerpolitik.