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Europa-League-Verwunderung Bodö/Glimt: Das ist der Außenseiter aus Norwegen – Sport | ABC-Z

Für ganz oben reicht es derzeit nicht beim Team von ganz oben, aber wen stört das schon? Es sind ja erst fünf Spieltage absolviert in Norwegens Eliteserien. Und wer aufs Tableau schaut, findet gleich hinter Tabellenführer Brann Bergen jenen Klub, der noch mal 1653 Autokilometer weiter nördlich zu Hause ist: der FK Bodö/Glimt. Nach einem langen Winter hat die Fußballsaison gerade erst begonnen in Nordeuropa, aktuelle Wettervorhersage in der 50 000-Einwohnerstadt nördlich des Polarkreises: Regen, Wind, kaum mal mehr als sieben Grad in den kommenden Tagen. Helvete, wie die Norweger sagen – verdammte Hölle. Zumindest für Sport ohne Ski.

Man kommt um ein paar Klischees nicht herum, wenn es um die Geschichte dieses Klubs geht, der gerade Europas, nun ja, coolster Außenseiter ist. Das bisher größte Kapitel dieser Erzählung wird am Donnerstagabend in London geschrieben: Halbfinal-Hinspiel der Europa League, Tottenham Hotspur gegen Den Gule Horde, wie sie Bodö/Glimt nennen. Die „gelbe Horde“ fällt nun in England ein, und auf der Webseite des norwegischen Champions zählen sie die Minuten bis zum Anpfiff runter. Eine Elf aus dem Königreich in einem Europapokal-Semifinale – das gab’s noch nie.

„Ein großartiges Stück norwegischer Fußballgeschichte“, seien die Erfolge der Gelben, jubilierte die Zeitung Aftenposten, „die europäischen Teams fallen wie die Fliegen.“ Rausgepurzelt sind gegen Bodö in Europas zweithöchstem Klubwettbewerb tatsächlich Vereine aus der oberen Mittelschicht. Im Viertelfinale erwischte es Lazio Rom nach einem Drama im Elfmeterschießen, davor verloren bereits Besiktas Istanbul, Braga und der FC Porto gegen die Nordmänner.

Daheim im Aspmyra-Stadion hat eine Serie ihren Lauf genommen, die selbst im Land der Trolle sagenhaft wirkt: 30 der letzten 37 Europapokal-Partien bestritt Bodö vor den meist frierenden 8270 Fans erfolgreich, darunter war 2021 mal ein 6:1 gegen AS Rom. Und beim Thema Frost gelangt man schon zu den Voraussetzungen für den Bodö-Boom. Denn natürlich begünstigen diesen Lauf auch die äußeren Umstände. Vor dem Viertelfinal-Hinspiel gegen Lazio Mitte April hatte es zum Beispiel derart geschneit, dass erst eine Armada an Helfern den Platz freischaufeln musste. Für „italienische Seidenfüße“ seien das nicht die besten Bedingungen gewesen, merkte Bodö-Sprecher Simen Pedersen damals verschmitzt an.

In Bodö pfeift der Wind und es wird auf Kunstrasen gespielt – das mögen weit angereiste Fußballer aus dem Süden gar nicht

Dass der Kunstrasen der heimischen Arena ein wesentlicher Faktor ist, nehmen sie gerne in Kauf. Für skandinavische Fußballer sind derartige Geläufe wegen der Witterung Alltag, für an Gras gewöhnte Profis aus dem Ausland stellen sie ein Handicap dar. Bälle springen seltsam auf, manche Stelle auf dem Feld fühlt sich nach Aussagen geplagter Gegner stumpf an, die Angst vor Verletzungen begleitet Gäste in Bodö wie die Sturmböen aus dem Nordatlantik. Und doch gibt es auch sportfachliche Gründe für das Erstarken des Vereins, der nach Jahren des Fahrstuhldaseins erst seit 2018 wieder dauerhaft die erste Liga bespielt.

Seither gab es vier Meistertitel in den Jahren 2020, 2021, 2023 und 2024, mehrmals erreichte man zudem die Gruppenphase des Europapokals. Dabei kostet der Kader kaum mehr als 43 Millionen Euro, was in Norwegens Fußball für die Krösus-Position reicht, im Vergleich zu Deutschland aber allenfalls Zweitliga-Niveau ist. Der Karlsruher SC etwa weist in seinem Jahresbericht fast identische Mittel aus.

Statt mit Geld hilft sich Glimt mit Geschick und langfristiger Methodik. „Diese Mannschaft ist aus Spielern aufgebaut, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht so gut waren, und dann wurden wir zu einer unglaublich guten Mannschaft“, erzählte Trainer Kjetil Knutsen nach dem Lazio-Coup. Er stammt aus Bergen, arbeitet aber schon seit sieben Jahren im Verein und hat gemeinsam mit dem sportlichen Leiter Havard Sakariassen ein Konzept mit vielen einheimischen Fußballern entwickelt. In Bodö scouten sie akribisch, um Spieler zu finden, die sich in Knutsens Ballbesitzfußball einfügen.

Das 4-3-3-System interpretiert das Team taktisch variabel, was in Norwegen einen Stilbruch bedeutet. Denn viele Teams leben ihre England-Orientierung immer noch in starrem Kick&Rush aus. Ein bekannter Name ist allenfalls Mittelfeldmann Jens Petter Hauge, geboren in Bodö, der ein wenig Bundesliga-Erfahrung in Frankfurt sammelte. Auf ihn wird es ebenso ankommen wie auf Stürmer Kasper Högh, einen Dänen, der schon sieben Mal traf in der Europa League. Wie auch immer es ausgeht gegen das große Tottenham, Coach Knutsen ist schon jetzt von Wikingerstolz ergriffen: „Es ist so verdammt großartig für Glimt und den norwegischen Fußball. Wenn wir es schaffen, können es auch andere schaffen.“ Und so träumen sie ganz oben in Europa – trotz der Kälte.

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