Wirtschaft

Start-up-Region Rhein-Main: Was München und Berlin besser machen | ABC-Z

Frau Ott, Herr Müller, Mitte Juli hat Futury den Exist-Leuchtturmwettbewerb des Bundeswirtschaftsministeriums gewonnen und zählt damit zu den führenden Start-up Factories des Landes. Was haben Sie damit erreicht?

Charlie Müller: Das ist für uns ein erstes wichtiges Zwischenziel – aber eigentlich vor allem ein Auftrag. Das Programm läuft über fünf Jahre, und für uns beginnt die eigentliche Arbeit jetzt erst. Wir müssen all das umsetzen, was wir in unserem Konzept beschrieben haben: wie wir unsere Start-up Factory gestalten und wie wir noch mehr Start-ups und Ausgründungen unterstützen können.

Die von Futury eingeworbenen zehn Millionen Euro privaten Kapitals werden nun durch Fördermittel des Bundes auf bis zu 20 Millionen Euro aufgestockt. Was passiert mit dem Geld?

Müller: Das nutzen wir, um die Angebote für Start-ups zu schaffen, damit vor Ort mehr gegründet, aber auch die Qualität an Start-ups erhöht wird. Ganz konkret: Wir bieten Bildungsprogramme für Studierende an, damit das Thema Gründen mehr in den Vordergrund rückt. Außerdem bauen wir Programme für Gründer in der Anfangsphase auf und bringen Start-ups und Wissenschaft mit der Industrie zusammen, damit Pilotprojekte entstehen. Zudem haben wir viel hier in den Futury „Startup Space“, das physische Zuhause für Start-ups investiert.

Sie sitzen seit Kurzem am Bertramshof in Frankfurt. Aktuell ziehen immer mehr Start-ups als Mieter ein. Was soll hier für ein Ort entstehen?

Melissa Ott: Neben Bürofläche brauchen Gründer einen Ort zum Arbeiten und Vernetzen. Mit unserem Startup Space entsteht ein lebendiger Kosmos für Gründer, die mit Industriepartnern, Mentoren, Investoren und Talenten wachsen und skalieren wollen. Wir haben hier circa 150 Arbeitsplätze, die in den nächsten Wochen vermietet werden.

Müller: Die Region braucht einen klaren Identifikationsort. Wir können unseren Startup Space mit Formaten für Gründer, Industriepartner, Studierende und Wissenschaftler bespielen. Neben uns ziehen das House of Digital Transformation und das Gründerzentrum der Goethe-Uni ein, und wir haben Eventfläche für die Vernetzung aller Teilnehmer im Ökosystem. Eine perfekte Basis für Gründung und Skalierung.

Zum Teilen von Ideen: Der Start-up Space bietet den Jungunternehmen auch Präsentationsräume.Lucas Bäuml

Sie haben sich das Ziel gesetzt, bis 2030 1000 Start-ups in der Region hervorzubringen. Wie wollen Sie das schaffen?

Ott: Wir sehen ein hohes Potential in der engen Zusammenarbeit mit den Universitäten. Seit Anfang des Jahres arbeiten wir mit der TU Darmstadt, der Frankfurt School, der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz und der Goethe Universität in Frankfurt zusammen. Die Hochschulen sind mittlerweile auch unsere Gesellschafter. Statistiken zeigen, dass wir in Deutschland beim Thema Forschung mit den USA mithalten können. Nur die Kommerzialisierung funktioniert bei uns nicht in gleichem Maße. Die Unis sind unser ganz großer Hebel. Die Forschungstalente können das Gründungsgeschehen steigern, gerade beim Thema Künstliche Intelligenz, Deep Tech oder Lifescience. Genau das wollen wir unterstützen.

Müller: Die Zahl 1000 haben wir nicht aus Marketinggründen gewählt, sondern gemeinsam mit Universitäten und Gründungszentren sorgfältig nachgerechnet. Gleichzeitig müssen wir neben der Quantität auch die Qualität im Blick behalten. Es geht nicht darum, 20 neue Dating-Apps zu entwickeln, sondern Technologien zu fördern, die ein hohes Disruptions- und Wertschöpfungspotential haben.

Laut der Datenbank Startupdetector, auf die sich auch der Start-up-Verband beruft, gab es in Hessen 196 Neugründungen im Jahr 2024. Da muss ja noch einiges passieren.

Ott: Absolut – genau dafür gibt es nun uns. Wir wollen diesem Ökosystem einen richtigen Schub verschaffen. Das machen wir durch die vielen neuen Programme, die wir starten. Und auch mit Futury Capital – unseren Venture Capital Funds – investieren wir selbst Kapital in Start-ups. Uns ist vollkommen bewusst, dass Start-ups volatil und risikoreich sind und nicht jedes überlebt. Aber unser Ziel ist zunächst einmal, dass überhaupt mehr Start-ups entstehen. Im zweiten Schritt vernetzen wir sie mit Industriepartnern, damit sie erste Kunden gewinnen und damit wiederum attraktiv werden für Investoren.

Wie bewerten Sie die Situation des Start-up-Ökosystems in der Region, auch im Vergleich zu München oder Berlin?

Müller: Ausbaufähig. Wir haben hier die Banken, den Finanzplatz, den Flughafen, viele Dienstleister und Industrie – strukturell läuft hier vieles gut. Für echte Innovationen bestand lange keine Notwendigkeit. Andere Regionen wie München sind ein leuchtendes Beispiel: Dort wurde das Gründungsgeschehen der TU München gezielt in ein Innovations-Ökosystem überführt. Das Zauberwort heißt „konzentriert“. Bei uns ist das noch zu viel Gießkanne: Es gibt viele Förderinstrumente, das erzeugt aber eher Wildwuchs. Eine unserer größten Aufgaben ist es, das zu koordinieren und zu bündeln.

Ott: Das Positive: Es gibt viel, auf dem wir aufbauen können. Rhein-Main ist strukturell extrem stark – sowohl bei Universitäten und Gründern als auch bei Industrie, Wertschöpfung und dem Finanzsektor. Nur sind diese Puzzleteile bisher zu fragmentiert. Diese müssen besser ineinandergreifen.

Was macht München besser als Frankfurt?

Müller: München hat schon vor mehr als 20 Jahren begonnen, Start-ups mit klarem Fokus zu fördern. Der direkte Kontakt zur TU und damit zu den Forschern, bei denen Technologien entstehen, war von Anfang an gegeben. Es gab einen klaren Fahrplan: informieren, Know-how zu Entrepreneurship vermitteln und mit der Wirtschaftskraft der Region die Skalierung vor Ort ermöglichen. Auch die Politik hat in Bayern mitgezogen. Vergleicht man etwa das Hessische Hochschulgesetz mit dem Bayerischen Hochschulinnovationsgesetz, sieht man das schon am Namen. Zudem hat Technologietransfer in Bayern einen deutlich höheren Stellenwert, und die Universitäten haben dort in diesem Bereich einen gezielteren Auftrag.

Ott: Start-ups haben in Bayern einen anderen Stellenwert. Ministerpräsident Söder kommt an die TU München und spricht darüber – das schafft auch einen Medienwert. Zudem prüft Bayern die Landesgesetze, um Anpassungen zu ermöglichen – sei es im Hochschulgesetz oder aktuell mit dem Vorstoß, dass Stiftungskapital von bis zu fünf Prozent in Venture Capital investiert werden kann, ohne die Gemeinnützigkeit zu verlieren.

Muss die Region mehr herausarbeiten, welche Branchen hier stark sind, etwa Fintech oder auch Life Science?

Ott: Wir haben uns genau angeschaut, wo in der Region die Industriesektoren stark sind, Arbeitsplätze schaffen und Wirtschaftswachstum treiben – und gleichzeitig, wo die Forschung besonders stark ist. Daraus haben sich für uns drei zentrale Industriecluster ergeben: erstens Life Science und Health Care, mit Paradebeispielen wie Biontech in Mainz, Merz in Frankfurt, dem Industriepark Höchst und Merck in Darmstadt. Zweitens Fintech sowie Finance und Banking. Und drittens Aviation und Space, wo wir mit der ESA in Darmstadt und dem Flughafen in Frankfurt als Drehkreuz enormes Potential haben.

Der Sitz von Futury und dem Futury Start-up Space: Der Bertramshof.
Der Sitz von Futury und dem Futury Start-up Space: Der Bertramshof.Lucas Bäuml

Ott: Wir haben zwei Technologieschwerpunkte definiert, in denen unsere Universitäten führend sind. Zum einen Soft-Tech-Themen wie Datenanalyse und Künstliche Intelligenz, zum anderen Deep-Tech-Bereiche wie Verfahrenstechnik, Quantencomputing und Robotik. Die wirklich spannenden Ideen entstehen dann an den Schnittstellen zwischen der Technologie und den Industriekomponenten.

Müller: Ein Beispiel: Wir haben hier in Frankfurt eine enorme digitale Infrastruktur – mit großen Rechenzentren und dem DE-CIX als einem der weltweit führenden Internetknoten. Durch kaum eine andere Stadt fließen mehr Daten. An der Schnittstelle mit den Akteuren des Finanzplatzes können genau daraus neue Geschäftsmodelle und Lösungen entstehen. Wenn wir diesen Blick einnehmen, werden auch die Potentiale für Start-ups sichtbar.

Also mehr von den Stärken der Region aus schauen und dort an den Bedarfen der Unternehmen orientieren?

Müller: Ja, wir brauchen Fokus, Fokus, Fokus. Wo sind wir wirklich gut und haben die Anwenderindustrien, denn die müssen die Lösungen der Start-ups pilotieren und als Kunden kaufen. Da findet am Ende die industrielle Skalierung statt. Natürlich ist nicht alles, was politisch wünschenswert ist, auch wirtschaftlich umsetzbar. Genau deshalb setzen wir auf die enge Zusammenarbeit mit Industriepartnern und privatem Kapital. Sie geben uns ihr Vertrauen aber nur dann, wenn wir marktnah arbeiten und echte Mehrwerte schaffen. Inzwischen unterstützen uns mehr als 30 Partner – und für die müssen wir Relevanz schaffen. Das gelingt, indem wir Substanz in den Produkten, Technologien und Teams der Start-ups entwickeln. Als Factory heißt das für uns jetzt: ins Machen kommen, Strukturen aufbauen und so gezielt Start-ups hervorbringen, die das erfüllen.

Ott: Wir gehen gezielt in die Industrie, fragen nach den konkreten Herausforderungen und bringen die Partner anschließend mit Start-ups und Talenten aus der Wissenschaft zusammen, damit sie marktorientiert passende Lösungen entwickeln. Auf diese Weise entsteht ein produktives Ökosystem.

Damit Start-ups wachsen können, braucht es auch gute politische Rahmenbedingungen. Gründen kann man überall, wachsen nicht. Wie beurteilen Sie das?

Müller: Das stimmt, ist aber keine Besonderheit der Rhein-Main-Region. In den frühen Phasen funktioniert die Finanzierung meist ganz gut. Schwieriger wird es in den späten Phasen – vor allem bei Deep-Tech-Themen mit hohem Disruptionspotential, wo schnell Finanzierungen in dreistelliger Millionenhöhe nötig werden. Ein Beispiel ist Laserfusion als künftige Energiequelle. Dafür fehlt es bisher an passenden Anlaufstellen. Hinzu kommt: Wir brauchen einen liquiden und tiefen Finanzmarkt. Seit Jahren reden wir über eine echte Kapitalmarktunion in Europa, doch bislang gehen viele Start-ups im späteren Stadium lieber in New York an die Börse. Hier müssen wir in Europa deutlich besser werden. Positiv hervorzuheben ist die WIN-Initiative, ausgehend von der KfW, die in die richtige Richtung weist . . .

. . . die Initiative für Wachstums- und Innovationskapital in Deutschland, ein Bündnis von Politik, Wirtschaft, Start-ups und der KfW, das die Finanzierung von Start-ups und Scale-ups stärken möchte.

Müller: Dort wurden im ersten Schritt zwölf Milliarden Euro Kapital zugesagt, drei Milliarden von der KfW, neun Milliarden privat. Das soll jetzt noch mal erhöht werden auf insgesamt 25 Milliarden Euro. Wenn die strukturiert über Venture Capital Funds bereitgestellt werden, haben wir einen wichtigen Schritt gemacht, um auch großvolumige Finanzierungen vor Ort zu stemmen und nicht aus dem Ausland heraus.

Für mehr Tempo: Der Start-up Space bei der offiziellen Eröffnung am Mittwoch.
Für mehr Tempo: Der Start-up Space bei der offiziellen Eröffnung am Mittwoch.Ben Kilb

Kommen wir ein bisschen konkreter zu Futury. Sie feiern ja in diesem Jahr zehnjähriges Bestehen. Was haben Sie bisher erreicht?

Müller: Wir haben bereits zahlreiche Programme umgesetzt – sowohl im Bereich Incubation für die Frühphase als auch im Bereich Acceleration für die Wachstumsphase. In diesem Rahmen haben wir mit vielen Start-ups gearbeitet, einige sogar mitgegründet, beim Aufbau begleitet und bei der Skalierung unterstützt, mittlerweile mehr als 80, und das immer mit einem starken Bezug zur Industrie. Dafür stehen uns inzwischen mehr als 120 Industriepartner zur Seite, von großen Konzernen bis hin zum Mittelstand.

Mit Futury Capital, an dem Futury zu 20 Prozent beteiligt ist, investieren Sie auch selbst in Start-ups.

Müller: Genau, über zwei Venture Capital Funds, mit zusammen 80 Millionen Kapital. Den dritten bauen wir gerade auf. Das Portfolio der Unternehmen, in die Futury Capital investiert, hat bisher zusammen mehr als eine Milliarde Kapital eingesammelt. Das ist schon ein echter wirtschaftlicher Effekt.

Welche Rolle spielt da das Thema Entrepreneurship? Müsste das an den Unis nicht mehr vorangebracht werden?

Ott: Ich habe an der TU Darmstadt unter anderem Elektrotechnik studiert. Das Thema Gründen wurde allerdings im Studium kaum behandelt. Wenn Studierende über fünf Jahre hinweg ausschließlich auf eine sichere Unternehmens- oder Wissenschaftskarriere vorbereitet werden, darf man sich nicht wundern, dass kaum jemand den Schritt ins Gründen wagt. Genau das wollen wir mit unseren Partner-Unis und der Politik ändern.

Müller: Die entscheidende Frage ist, worauf wir unseren Fokus legen. Manche Themen können wir abhaken – bei der Entwicklung von KI-Modellen werden wir in Europa nicht die führende Rolle spielen. Ganz anders sieht es bei der industriellen Anwendung dieser Modelle aus: Hier haben wir einen starken Kern, den man nicht so leicht kopieren kann. Ähnlich ist es beim Quantencomputing, das gerade massiv an Bedeutung gewinnt. Wollen wir wieder drei, vier Jahre zuschauen, bis der Zug abgefahren ist – oder endlich handeln? Das Gleiche gilt für personalisierte Medizin, Medikamentenentwicklung oder neue Energiequellen wie Laserfusion. Wir haben viel Zeit verloren. Jetzt ist es höchste Zeit, wach zu werden.

Wo wollen Sie in zehn Jahren stehen?

Müller: Um in der fußballbegeisterten Region und Stadt die Analogie zu benutzen: Wenn die Gründerstädte München und Berlin gerade um die Deutsche Meisterschaft spielen, müssen wir dafür sorgen, dass wir jedes Jahr Champions League spielen. Zuverlässig und planbar. Und dann müssen wir schauen, ob wir mal nach der Deutschen Meisterschaft greifen. Aber eins nach dem anderen.

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