Starnberg: Protestwelle gegen winterlichen Sparzwang – Starnberg | ABC-Z
Reiche Starnberger, arme Stadt, Bürger in Aufruhr: Die Stadtverwaltung der Kreisstadt hat seit Anfang November insgesamt 52 Fuß- und Radwege sperren lassen, die im Winter nicht mehr von Schnee und Eis befreit werden sollen. Bis 31. März sollen kleine Verbindungswege und Treppenanlagen, die sich abseits definierter Straßen über das gesamte Stadtgebiet verteilen, nicht mehr betreten werden. In der Bevölkerung wächst derweil der Unmut über diese Regelung, die der Stadtrat mit großer Mehrheit bereits im Februar beschlossen hatte. Doch nun stehen die Telefone im Rathaus nicht mehr still. Erboste Bürger machen ihrem Ärger Luft über die kurios anmutende Lösung, Eltern bangen um die Sicherheit ihrer Kinder auf den Schulwegen, die politische Opposition von der FDP bedauert, dass Starnberg „ein derart peinliches und gar lächerliches Bild abgibt“ und fordert die sofortige Rücknahme. Für viele ist es schlicht nicht hinnehmbar, dass die Stadt sich zurückzieht und öffentliche Wege sperrt, statt nachhaltige Lösungen zu schaffen. Doch an der umstrittenen Regelung lässt sich vorerst wohl kaum etwas ändern – es sei denn, die Bürger übernehmen selbst Verantwortung.
Monatelang hatte das Thema keinerlei Bedeutung, jetzt poppt es wieder auf – und das mit Vehemenz. Denn für Betroffene bedeuten die Sperrungen der „beschränkt-öffentlichen Wege“ teilweise große Umwege. Obwohl es diesen Herbst bislang nicht geschneit hat, sind die jeweiligen Wegeverbindungen – überwiegend im Stadtgebiet, einige wenige in den Ortsteilen Söcking, Perchting und Hadorf – bereits jetzt für die nächsten fünf Monate gesperrt. Das stößt nicht gerade auf Begeisterung, sind die Wege doch oft wichtige, autofreie Abkürzungen für Fußgänger, Schulkinder, Roller- und Radfahrende sowie ältere Menschen mit Stock, Rollator oder Rollstuhl.
Zu den gesperrten Verbindungen zählen unter anderem die Wege von der Giselastraße zur Josef-Fischhaber-Straße, der Dr.-Paulus-Weg oder der Gustav-Otto-Weg zwischen Gautinger Straße und Moosstraße. Oft sind es nur ein paar Treppenstufen wie am Fernbergweg, die gesperrt sind, Kindern nun aber einen gefährlichen Weg zur Schlossbergschule über die bürgersteiglose und viel befahrene Ottostraße beschert. Auch der Weg entlang des Georgenbachs, die Treppen von der Haupt- zur Schlossbergstraße, zum Kirchplatz oder zum Achheimviertel sind betroffen. Beschränkt-öffentliche Wege sind im deutschen Straßen- und Wegerecht definiert als öffentlich gewidmete Verkehrsflächen mit untergeordneter Verkehrsbedeutung. Ihre Nutzung ist auf bestimmte Verkehrsarten oder -zwecke beschränkt, beispielsweise als selbständige Geh-, Rad-, Kirch- oder Schulwege. Auf der Homepage der Stadt Starnberg findet sich die vollständige Liste. „Während des genannten Zeitraums werden diese Wege nicht geräumt oder gestreut, weshalb eine Nutzung in der Wintersaison nicht möglich ist“, teilt die Stadtverwaltung mit – und bittet um Verständnis. Zugänge zu privaten Grundstücken sollen weiterhin uneingeschränkt möglich bleiben.
Die Verantwortung für die aktuelle Situation trägt mehrheitlich der Stadtrat. Obwohl die Verwaltung im Februar dringend dazu geraten hatte, die Räumpflicht auf beschränkt-öffentlichen Wegen betroffenen Anwohnern aufzuerlegen – die Gesetzgebung lässt eine solche Möglichkeit mittlerweile zu – stimmte das Gremium dagegen. Das sei den Anliegern nicht zumutbar, hieß es. Und im Grundsatz gilt: gleiches Recht für alle. In den Vorjahren hatte die Stadt die Räumpflicht nur mithilfe externer Firmen bewerkstelligen können. Die Kosten dafür betrugen jährlich – je nach Wetterlage – rund 60 000 bis 70 000 Euro. Zumal die Mitarbeiter des Betriebshofs im Winter derart überlastet seien, dass sie nicht auch noch die 52 Verbindungswege und Treppenanlagen in Starnberg tagsüber gesetzeskonform schneefrei halten könnten.
Auch Bürgermeister Patrick Janik (UWG, CSU, SPD, BLS) ist mit dieser kostensparenden Lösung alles andere als glücklich. Gleichwohl fühlt er sich an den Sparbeschluss des Gremiums gebunden. In der Debatte im Februar standen drei Optionen zur Wahl: Entweder räumen die Anlieger die Wege weiterhin selbst, wie es seit 50 Jahren Usus war. Oder die Stadt lässt räumen, was angesichts leerer städtischer Kassen ausgeschlossen schien. Somit blieb nur die dritte Option: Die Stadt sperrt in vorauseilender Weitsicht vor dem Winter alle betroffenen Wege – aus gutem Grund: Eine Schadenersatzklage aufgrund eines Glätteunfalls mit Personen- oder Sachschaden würde ein Vielfaches kosten. Und ein simples Schild mit der Aufschrift „Betreten auf eigene Gefahr“ entbindet die Stadt eben nicht von ihrer Verkehrssicherungspflicht.
Hauptproblem aus Janiks Sicht ist eine offensichtliche Ungleichbehandlung. Anwohner mit Grundstücken entlang „normaler“ Straßen müssen die Gehwege freihalten, Anrainer beschränkt-öffentlicher Wege aber nicht. „Die Unterscheidung habe ich bis heute nicht verstanden“, sagt Janik. Diese „Regelungslücke“ sei mittlerweile zwar gerichtlich geklärt, sagt der Bürgermeister: Auch auf beschränkt-öffentlichen Wegen könne eine Räumpflicht verhängt werden. Doch da spielte der Stadtrat nicht mit. Janik kritisiert daher die „stete Hemmung des Stadtrats“, den Bürgern eine Pflicht aufzuerlegen. Würde das Gremium eine allgemeingültige Verkehrssicherungspflicht beschließen, „dann müsste ich auch nichts sperren lassen“, sagt Janik. „So aber habe ich keine andere Wahl“.
Mitarbeiter des Rathauses und des Betriebshofs müssen wüste Beschimpfungen über sich ergehen lassen
Derweil müssen Mitarbeiter des Rathauses und des Betriebshofs angesichts der Sperrungen wüste Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Aber trifft es die Richtigen? „Die Mitarbeiter setzen nur um, was der Stadtrat beschlossen hat“, sagt Janik. Und der sträubte sich bislang hartnäckig dagegen, den Anliegern der Fuß- und Radwege eine Räumpflicht aufzuerlegen. Somit wird es vorerst bei den Sperrungen bleiben – auch wenn sich bislang kaum jemand daran hält.
Ob die aktuelle Lösung der Weisheit letzter Schluss ist, bleibt abzuwarten. Derzeit rollt eine Protestwelle durch die Stadt, auf die der Stadtrat mit hoher Wahrscheinlichkeit reagieren wird. Das Verständnis in der Bevölkerung für die unpopulären Sperrungen ist schlicht nicht vorhanden. Allein am Geld – so die überwiegende Meinung – könne es im ansonsten so reichen Starnberg doch nicht liegen. „Es ist nicht hinnehmbar, dass die Mobilität und Bewegungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger auf diese Weise eingeschränkt wird“, schreibt etwa ein erboster Bürger aus Söcking. „Die Menschen in Starnberg haben ein Recht auf eine funktionierende Infrastruktur, gerade in den kalten Wintermonaten.“
Wünschenswert wäre perspektivisch wohl eher eine angemessenere Teillösung für die insgesamt 52 Fuß- und Radwege als eine radikale Sperrung. Und es gäbe noch eine weitere, bislang aber noch weitgehend unbekannte Möglichkeit: Im Ortsteil Hadorf hat sich ein engagierter Anlieger bereit erklärt, den Winterdienst – und damit die Verkehrssicherungspflicht – für einen Weg zugunsten seiner Mitbürger zu übernehmen. Die Stadt wird ihm demnächst eine Streukiste hinstellen, damit bei Eis und Schnee niemand ins Straucheln gerät.